Kann es Wahrheit sein, dass sich die Unwahrheit dauerhaft durchsetzt?
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6 Antworten
Vielleicht für ein paar Jahre und höchstens für wenige Jahrzehnte. Dann ist Schluss damit: "Die klare Sonne bringt es an den Tag".
Die Frage enthält ein Paradoxon: Wenn die Unwahrheit sich dauerhaft durchsetzt, könnte das als “Wahrheit der Unwahrheit” angesehen werden, was scheinbar der Unwahrheit widerspricht. Dieses Paradoxon entsteht, weil wir Wahrheit und Unwahrheit vermischen. Objektiv bleibt die Wahrheit immer wahr und die Unwahrheit unwahr, unabhängig davon, ob Menschen sie erkennen. Subjektiv kann sich die Unwahrheit jedoch durchsetzen, wenn sie geglaubt oder akzeptiert wird. Das macht sie aber nicht zur objektiven Wahrheit, sondern nur zur verbreiteten Überzeugung. Die Aussage, dass “es wahr ist, dass sich die Unwahrheit durchsetzt,” beschreibt also nur die Wirkung der Unwahrheit, ohne sie selbst wahr zu machen.
Gibt ja Wahrheiten, die Konventionssache sind, wie zum Beispiel die richtige Grammatik oder Bedeutung von Worten, richtige Verhaltensweisen etc. Da ist etwas demokratisch wahr, also wahr, wenn die (deutliche) Mehrheit es so sieht. Es gibt ja keine objektiv richtige Grammatik oder objektive Ethik.
Aber wirkliche (Un)wahrheiten, also objektive Dinge, wie naturwissenschaftliche Gegebenheiten oder Zahlenverhältnisse oder Ereignisse die sich eindeutig so oder so zugetragen haben und über die jetzt geredet wird, werden nicht wahrer, wenn sie öfter (oder sogar ausschließlich) falsch behauptet werden.
Eine gewisse Zeit vielleicht, aber nicht dauerhaft. Es ist so, wie es auf dem indischen Löwenkapitell-Wappen in Sanskrit steht und aus dem Mundaka Upanishad (Mantra 3.1.6) stammt:
सत्यमेव जयते
satyameva jayate
die Wahrheit siegt immer.
Der 1. Satz heißt im Mantra vollständig:
Die Wahrheit siegt immer, nicht die Falschheit.
सत्यमेव जयते नानृतं
satyameva jayate nānṛtaṃ
Das ist möglich, aber nicht absolut, selbst wenn es den Anschein hat.