Als ich angefangen habe zu klettern, habe ich 130 Kilo (auf 1,88m) gewogen, hatte Oberarme die kaum dicker waren, als mein Handgelenk (und das, was da war, war kein Bizeps) und nach den drei bis vier einfachsten Routen war ich so platt, dass ich nachher ins Auto eingestiegen bin und dachte "Mist, Servolenkung kaputt". Trotzdem war dieses spezielle Gefühl da "Kann ich nicht, macht aber trotzdem Spaß" - und weil es trotz der sportlichen Vollkatastrophe, die mir völlig klar war, Spaß gemacht hat, bin ich auch dran geblieben und habe einen enormen Antrieb entwickelt, mich zu verbessern, und das hat eine positive Aufwärtsspirale ergeben.
Ich muss übrigens dazu sagen, ich habe leichte Höhenangst. Wackelige Leiter? Gar nicht meins. Von einer Brüstung von einem Hochhaus runtergucken? Da wird mir schnell flau. Aber Routen mit Seilsicherung am Klettergurt oder auch Bouldern mit dicker Matte drunter? Easy. Totale Kontrolle. Ich bin sicher und habe weder Probleme mit den 4 Metern der Boulderroute noch mit den 18 Metern der Seilroute.
Was das Thema Abnehmen angeht, ist Klettern ein grandioser Sport. Es ist ein sogenannter Kraftausdauer-Sport, heißt du hast eine hohe Belastung auf der Muskulatur über lange Zeit. Das baut zwar nicht viele Muskeln auf (ein bisschen dennoch), aber wenn du gar nicht muskulös werden willst, ist das völlig okay. Aber du tust genug für deine Muskeln, dass du sie schützt und auch minimal aufbaust und treibst durch die Kombination von Kraft und Ausdauer deinen Stoffwechsel ordentlich hoch. Das Problem beim Abnehmen ohne Kraftsport (und Klettern ist jetzt nicht der intensivste Kraftsport, aber es ist ein Sport mit Kraft und das reicht) und/oder in einem zu großen Defizit ist, dass du neben Fett auch Muskeln verlierst und dein Stoffwechsel langsam in einen Energiesparmodus geht. Mit einem dezenten Kaloriendefizit und Kraftsport nimmst du schonender und nachhaltiger ab.
Wenn du momentan stagnierst, hast du vielleicht ein bisschen mit dem Kaloriendefizit übertrieben. Fang mal deinen Stoffwechsel etwas ein, wenn du mit dem Klettern beginnst. Leg los mit dem Sport, iss in einem leichten Überschuss für ein paar Wochen, nimm ruhig noch mal 2-3 Kilo zu - und dann guck, dass du im Langzeitschnitt ein Defizit von 500 erreichst, gerne mal mit 800, mal nur 300 und auch alle 1-2 Wochen ein Tag, wo du es dir mal gutgehen lässt und 300-500 in den Überschuss gehst. So verwirrst du deinen Stoffwechsel und vermeidest, dass er sich auf die dauerhaft niedrige Kalorienzufuhr einstellt. So dauert das zwar länger, kennt aber nur noch eine Richtung, nämlich abwärts, ohne Plateau wo es stagniert.
Kletterer sind übrigens hochsoziale Menschen - selbst wenn man für sich alleine da ist, bildet man schnell kleine Grüppchen, die eine Route gemeinsam lösen wollen und wenn man es dann geschafft hat, gibt's einen Fist-Bump. Das kann durchaus auch mit ungefragten Tipps anfangen. Vielleicht tut dir das auch gut im Bezug auf deine Sozialphobie. Nimm die Tipps an, sie helfen dir immer. Und du wirst feststellen: Alles coole Leute hier, mit denen redet man gerne, selbst wenn man sie nicht kennt. Wobei ich dazu sagen muss, so dieses eher US-amerikanische Gym-Klischee mt den eingebildeten Muskelbergen gibt es in Deutschland ja auch nicht - egal, ob du ins Gym gehst oder in eine Kletterhalle - entweder du wirst nicht wahrgenommen (im Gym noch wahrscheinlicher, als in der Kletterhalle), oder die Leute zollen dir Respekt, dass du in den Sport einsteigst und dich verbessern willst und Sprüche sind eher Komplimente für die tollen Fortschritte.
Was aber auch wichtig ist: Es gibt Kurse für Klettertechnik. Als Anfängerin wirst du fast nur frontal klettern. Bauch und Gesicht zur Wand, vielleicht nicht optimal stehende Füße ("Klettern ist wie Ballett, du hast seltsame unbequeme Schuhe an, mit denen du nur auf Zehenspitzen stehst" - merk dir den Spruch) und angewinkelte Arme. Lerne Technik wie das korrekte Antreten (das ist für alles, was folgt wichtig), Eindrehen mit Hüfte zur Wand, den Haltearm lang lassen, ... - das geht in Kursen am Besten. Je früher du anfängst, desto schneller kannst du die korrekte Technik adaptieren, je länger du "falsch" kletterst, desto länger brauchst du, sie zu lernen. Es gibt mittlerweile auch unheimlich gute Online-Tutorials von Kletterern wie Magnus Midtbo und vielen Anderen, aber besser ist, wenn die Strecke vom Tutorial zur Umsetzung nicht "angucken, zur Halle fahren, umziehen, ausprobieren", sondern "Tipp bekomme und umsetzen" ist und auch wenn jemand live draufgucken kann.
Filme dich auch gerne mal in ausgewählten Routen. So kannst du deinen Fortschritt tracken (das motiviert, weil es jedes mal besser aussieht) und dich vielleicht auch, wenn du dir die Videos noch mal anguckst, selbst korrigieren.
Was du aber vielleicht auch merken wirst ist, Klettern braucht Kraft. Je mehr Technik du verwendest, desto mehr wird es vom Bizeps-Workout Frontalklettern zum Ganzkörper-Workout. Körperspannung ist durch nichts zu ersetzen, als noch mehr Körperspannung. Vielleicht willst du also irgendwann auch ein Zusatz-Workout einbauen, das dein Klettern verbessert. Klar, Klettern sollte im Vordergrund stehen, aber je nach Defizit kann ich dir ein paar Tipps geben, welche Sportarten einen enormen Übertrag aufs Klettern haben und die als kleines Ergänzungstraining durchaus taugen. Solltest du nach einem halben Jahr Klettern/Bouldern mal einen Drang zur weiteren Selbstoptimierung verspüren:
- Gym mit Maschinen: So fing es bei mir an. War auch anfangs sehr hilfreich, weil ich wirklich gar keine Muskulatur hatte. Das Problem auf Dauer ist, dass isoliert angesprochene Muskeln auch nur Isolation lernen. Nachdem es einige Zeit geholfen hat, wurde es irgendwann kontraproduktiv (mehr als das eigene Körpergewicht am Latzug gezogen, aber immer noch kein Klimmzug, irrer Pump im Bizeps nach wenigen Routen), weshalb ich mittlerweile kein Isolationstraining mehr mache. Es war am Anfang nicht falsch (wäre aber auch besser anders gegangen), aber irgendwann muss man aus diesem Modus ausbrechen, sonst wird es irgendwann falsch.
- Körpergewichtstraining: Die Königsklasse. Hier arbeitet der ganze Körper, das bringt viel funktionale Kraft und Körperspannung, die sich irre gut aufs Klettern überträgt. Ich bin irgendwann vom Isolationstraining im Gym auf Calisthenics (in Eigenregie) und (weil ich auch in Gruppen mit Anleitung trainieren wollte) Poledance (ja, als Mann, auch nicht der Einzige in der Gruppe aber doch in großer Minderheit) umgestiegen - das hilft irre gut und ja, das geht auch, wenn man schwer und schwach ist und man wird leichte rund stärker dadurch und kann irgendwann Klimmzüge und auch mehr als das. Poledance war übrigens nach Klettern mein zweiter "Kann ich nicht, macht aber trotzdem Spaß" Moment und ist nicht mehr nur ein Ergänzungssport sondern mein zweiter Spaß-Treiber für den Sport geworden.
- Yoga: Körperspannung und Beweglichkeit
- Ballett: Und zwar auch abseits von meinem lustigen Spruch mit den unbequemen Schuhen in denen man auf Zehenspitzen steht, der eigentlich mehr dazu dienen soll zu veranschaulichen, dass du Klettertritte am Besten mit der Fußspitze und nicht dem Innenrist oder Außenrist antrittst. Im Ballett gibt es z.B. das Dégagé, eine Gewichtsverlagerung von einem auf das andere Bein, die auch so in der Kletterwand vorkommt, und wenn du aus einem Plié (die kleine Ballett-Kniebeuge) in ein Relevé-Passé (also ein Fuß Halbspitze, den anderen am Knie angelegt) oder gar eine Drehung (Pirouette) gehen kannst, ohne umzukippen, das ist fast das gleiche wie ein kleiner Dyno (also sprungartiges Aufstehen mit nur noch einem Fuß auf dem Tritt oder kleiner Sprung) in der Kletterwand. Zudem werden Körperspannung und Beweglichkeit ähnlich gut trainiert, wie im Yoga.
Wenn du also irgendwo Defizite entdeckst, nimm das, was am ehesten zu deinem Defizit passt als Sport dazu - du wirst es nicht bereuen.