Danke, dass Du so ehrlich und schonungslos schreibst. Es braucht sehr viel Mut, das so auszusprechen – besonders in einem Zustand, der sich nach innen so lähmend und nach außen so funktionierend anfühlt. Allein das zeigt: In Dir ist noch eine Kraft, die gesehen werden will. Eine Stimme, die sagt: „Ich will das so nicht mehr.“ Und die verdient es, gehört zu werden.
Was Du beschreibst, ist nicht Faulheit. Es ist kein „sich gehen lassen“.
Es ist ein Zustand tiefer Erschöpfung, innerer Erstarrung – vermutlich entstanden durch viele Jahre, in denen Du mehr geschluckt hast, als Dir gutgetan hat. Mehr geleistet hast, als tragbar war. Mehr funktioniert hast, als gesund war.
Was Du spürst, ist keine Schwäche – sondern eine Schutzreaktion Deines Systems.Wenn Menschen über so lange Zeit „nicht mehr können“, ist das oft ein Zeichen dafür, dass etwas in ihnen zu früh, zu oft, zu lange überfordert war. Was dann folgt, ist nicht unbedingt sichtbare Verzweiflung, sondern oft das, was Du so treffend beschreibst:
innere Taubheit, funktionierende Fassade, totale Überforderung bei kleinsten Aufgaben – und gleichzeitig ein messerscharfes Bewusstsein darüber.
Du weißt, was Du tun müsstest – aber Du kannst es nicht.
Und genau das ist der Schmerz:
„Ich bin bei vollem Bewusstsein, aber abgeschnitten von meiner Kraft.“
Was kannst Du tun?1. Akzeptiere, dass Du das nicht alleine lösen musst – und auch nicht kannst.
Du brauchst keine Tipps zur besseren Tagesstruktur. Du brauchst einen sicheren Raum, in dem Du nicht funktionieren musst, sondern sein darfst.
Traumasensibles Coaching, tiefenpsychologische Therapie oder psychosomatische Reha können hier der erste Schritt sein – nicht als „Behandlung“, sondern als Einladung an Dich selbst.
2. Fang nicht beim Großprojekt an – fang bei der Würde an.
Würde bedeutet in dem Fall: Ich tue heute eine einzige Sache, um mir Respekt entgegenzubringen.
Nicht, weil ich es „muss“, sondern weil ich es mir wert bin. Das kann sein:
- 1 Glas Wasser trinken
- 1 Minute bewusst atmen
- 1 Teller nicht in den Müll, sondern ins Waschbecken legen
Diese scheinbar kleinen Dinge sind der erste Widerstand gegen die Leere. Sie sind die ersten „Ich bin noch da“-Impulse.
3. Vergiss Motivation. Arbeite mit Verbindlichkeit.
Wenn Du jemanden hast – eine Person, der Du vertraust –, erzähl ihr eine Sache, die Du morgen tun willst. Und bitte sie, Dich zu fragen, ob Du es getan hast. Nicht als Kontrolle – sondern als Brücke zwischen Wollen und Tun.
4. Lass Deine Scham nicht lauter sein als Deine Sehnsucht.
Du willst leben. Sonst hättest Du das nicht geschrieben.
Du hast die Kraft, große Dinge wie einen Wohnungskauf durchzuziehen – das ist kein Zufall. Da ist eine Kompetenz in Dir, die unter der Schicht aus Erschöpfung noch existiert.
Und sie wird zurückkommen, wenn Du aufhörst, gegen Dich zu kämpfen – und beginnst, Dich mit Dir zu verbünden.
Eine letzte Sache, die mir wichtig ist:Du musst den Berg nicht heute besteigen. Du musst nur entscheiden, nicht länger unten sitzen zu bleiben, ohne Hilfe zu rufen.
Vielleicht ist dieser Beitrag schon Dein erster Ruf.
Und vielleicht darfst Du Dir heute nicht die Frage stellen „Wie schaffe ich das?“,
sondern:
„Wer kann mich begleiten, damit ich es nicht allein muss?“
Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du nicht aufhörst, an Dich zu glauben – auch wenn Du es gerade nicht fühlst.
Du bist nicht allein.
Und es ist nicht zu spät.
Herzliche Grüße
Ralf