Wie wird Menschenwürde nach Kant begründet?

5 Antworten

Würde ist ein achtungsgebietender Wert. Bei dem Übergang vom autonom handelnden Menschen zur Auffassung, jeder Mensch habe Würde, ist die Selbstzweckhaftigkeit wesentlich.

Immanuel Kant betrachtet den Menschen als zwei Bereichen zugehörig. Der Mensch ist einerseits als ein Naturwesen ein empirisches Wesen, also Gegenstand von Erfahrung, zur Erscheinungswelt gehörend (homo phaenomenon), ein Teil der Sinnenwelt, andererseits Vernunftwesen, ein intelligibles Wesen, zu einer geistig einsehbaren Welt gehörend (homo noumenon). Als Vernunftwesen hat der Mensch Freiheit.

Grundlage der Würde ist die Autonomie (Selbstbestimmung), ein gesetzgebendes Wesen im Reich der Zwecke zu sein. In Menschen ist ein Wille anzutreffen, der Vorstellung gewisser Gesetz gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen (auf der Grundlage praktischer Vernunft). Diese Selbstzweckhaftigkeit (Zweck an sich selbst) ist unbedingt zu achten. Sie ist ein uneingeschränkt für alle Menschen gültiger Zweck. Dies ist eine sittliche Pflicht. Würde ist ein absoluter innerer Wert, der jedem vernünftigen Subjekt als Zweck an sich selbst zukommt. Ein Zweck an sich selbst ist ein Zweck, dessen Dasein an sich selbst einen absoluten Wert hat und an dessen Stelle kein anderer Zweck gesetzt werden kann, dem sie bloß als Mittel dienen sollen. Menschen sind keine Sachen, sondern Personen (vernunftbegabte Wesen).

Die Würde gründet darauf, Vernunftwesen zu sein. Dies gehört allgemein zur Gattung Mensch. In welchem Ausmaß das Vernunftvermögen von individuellen Menschen tatsächlich verwirklicht wird oder jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt nur der Möglichkeit so etwas ist, ist für die grundlegende Beurteilung unerheblich. Wer dagegen verstößt, einen Menschen nicht nur als bloßes Mittel zu behandeln (Abweichung vom kategorischen Imperativ), mißachtet auch die Menschheit in seiner eigenen Person.

einige zentrale Textstellen von Immanuel Kant zu Selbstzweckhaftigkeit und Würde :

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen Sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen (AA IV 428/BA 64 - 65):
„Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauch für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Sitten (1785). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen Sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen (AA IV 429/BA 66 - 67):
„Der praktische Imperativ wird also folgender sein: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten(1785). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen Sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen (AA IV 433/ BA 74 – 75):
„Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle.“

Albrecht  13.06.2012, 00:23

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen Sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen (AA IV 434 - 435/BA 76 - 77):
„Die Vernunft bezieht also jede Maxime des Willens als allgemein gesetzgebend auf jeden anderen Willen, und auch auf jede Handlung gegen sich selbst, und dies zwar nicht um irgend eines anderen praktischen Beweggrundes oder künftigen Vorteils willen, sondern aus der Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetz gehorcht, als dem, das es zugleich selbst giebt.

Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.

Was sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, hat einen Marktpreis; das, was, auch ohne ein Bedürfniß vorauszusetzen, einem gewissen Geschmacke, d. i. einem Wohlgefallen am bloßen zwecklosen Spiel unserer Gemüthskräfte, gemäß ist, einen Affectionspreis; das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Werth, d. i. einen Preis, sondern einen innern Werth, d. i. Würde."

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berkersheim  13.06.2012, 10:45
@Albrecht

Super-Einleitung: "Würde ist ein achtungsgebietender Wert. Bei dem Übergang vom autonom Handelnden Menschen zur Auffassung, jeder Mensch habe Würde, ist die Selbstzweckhaftigkeit wesentlich." Dickes DH

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emily4294  07.01.2013, 21:03

Heey :)

ist zwar lange her, dass du des gepostet hast, aber kennst / hast du noch die Quelle?

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Albrecht  07.01.2013, 21:09
@emily4294

Die Antwort ist von mir selbst geschrieben.

Quellenangaben sind darin vorhanden: Textstellen von Immanuel Kant stehen in Anführungszeichen und Hinweise, in welchem Werk dies wo genau steht, sind hinzugefügt.

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annasunflower  20.02.2016, 18:36

Hallöchen, erst einmal herzlichen Dank für die tolle Antwort! Ich weiß, es ist jetzt schon sehr lange her, aber ich habe dazu nochmal eine Frage: Auf der einen Seite betrachtet Kant die Menschenwürde als allgemeingültig, auf der anderen Seite gilt für ihn aber auch ein absolutes Lügenverbot. Was wäre, wenn ich, um das Leben eines Menschen zu schützen, lügen müsste (bspw. Oskar Schindler)? Ist das nicht eine große Schwäche von Kants Ethik? 

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allnightdaylong  29.03.2019, 21:21
@annasunflower

Nun, eine Schwäche muss dies ja nicht sein. Dadurch, dass auch der Nazi eine Würde hat, die sich mitunter aus seiner Autonomie ergibt, kannst du ihn ja am Tod des Juden verantwortlich machen. Dir selbst hingegen kann man jedoch keine Schuld am Tod des Juden zuschieben, da du mit der Wahrheit selbst nicht die Absicht haben kannst, jemanden umzubringen (Zumindest im Falle Schindlers).

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Ein jeder Mensch hat rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinem Nebenmenschen und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden anderen verbunden.

DIe Menschheit selbt ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Menschen (weder anderen noch von sich selbst) bloß als Mittel, sondern muss jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden, und darin besteht eben seine Würde (die Persönlichkeit), dadurch er sich über alle anderen Weltwesen, die nicht Menschen sind und doch gebraucht werden können, mithin über alle Sachen, erhebt. Gleich wie er also sich selbst für keinen Preis weggeben kann (welches der Pflicht der Selbstschätzung widerstreiten würde) so kann er auch nicht der ebenso notwendigen Selbstschätzung anderer als Menschen entgegenhandeln. Das ist: Er ist verbunden, die Würde der Menschheit jedem andern Menschen praktisch anzuerkennen, mithin beruht auf ihm die Pflicht, die sich auf die jedem anderen Menschen notwendigen zu zeigende Achtung bezieht..

Quelle: I.Kant- Von der Menschenwürde §38 aus: Metaphysik der Sitten 1793

Nach Kant ist der Mensch "Zweck an sich" bzw. darf nie Mittel zum Zweck sein, was z.B. die Menschenwürde verletzen würde, da jeder das Recht haben muss, zu existieren und ebenso selbstbestimmt (autonom) zu leben bzw. zu handeln. Darin darf er nicht eingeschränkt werden.

es heißt natürlich 2. Jeder Mensch hat Würde, nicht 1.