Wie stehen Hindus zur Evolutionstheorie?

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In der Darwinschen Theorie wurde die Bedeutung der Zerstörung in einem ganz eigenen Sinne erkannt aber fälschlicherweise als Selektion bezeichnet. Dieser Begriff ist sinnentstellend gewählt, denn ein Züchter selektiert die Individuen mit den von ihm gewünschten Merkmalen zur Weiterzucht. Er betreibt damit eine positive Auslese.

So etwas findet in der Natur nicht statt.

Die sogenannte Selektion in der Evolutionstheorie eliminiert Individuen, deren Merkmale für ein Leben in der betreffenden Umgebung nicht mehr geeignet sind. Die Eliminierung erfolgt jedoch nicht selektiv durch irgendeine Instanz, die sie aktiv vornimmt, sondern sie ist einfach die Folge unzureichender Möglichkeiten unter bestimmten neu eingetretenen Umweltbedingungen Nachkommen hervor zu bringen.

Eine Eliminierung kann aber nichts dazu beitragen, dass neue Merkmale entstehen. Die Entstehung neuer Eigenschaften und Fähigkeiten geschieht auf einer anderen biologischen Ebene nämlich in der Keimbahn. In der hinduistischen Anschauung wird die Lebenserhaltung durch die Kräfte des Vishnu symbolisiert, die Erhaltung des Lebens an sich, und durch Brahma als Kraft der Neubeginne.

Gäbe es diese Kräfte nicht, würde die sogenannte Selektion nur zum Aussterben von Individuen und Arten führen. Das Aussterben kann aber keine neuen Merkmale erzeugen, denn diese entstehen genetisch und zwar unabhängig davon, ob Träger anderer Merkmale vorhanden sind oder nicht. Sie entstehen auch dann, wenn eine Zerstörung von etwas Vorhandenem voraus gegangen ist aber nicht deshalb!

Die hinduistische Sicht bezieht sich nicht auf die heute verwendete Evolutionstheorie. Die Zerstörung durch Shiva und die Neubeginne durch Brahma beziehen sich auf große Zusammenhänge in der Entwicklung der Welt. In der Astronomie weiß man heute, dass es im Universum Evolutionsepochen gab, mit Generationen vergleichbar, von denen jede eine ganz neue Entstehungsstufe darstellt.

Die hinduistische Anschauung betont bestimmte grundlegende Gesetzmäßigkeiten, ohne sehr ins Detail zu gehen. Sie beinhaltet auch die Seite der Lebenserhaltung und Neuentstehung, die in der Darwinschen Theorie noch fehlt, was auch Darwin selbst aufgefallen war und was er selbst kritisch reflektiert hat, ohne dabei zu einer für ihn zufriedenstellenden Lösung zu kommen.

Die Darwinsche Lehre ist zwar nicht falsch, aber sie hat das Wesentliche eben noch nicht erfasst, weil die Faktoren die zu sinnvollen Neumutationen führen damals noch nicht erforscht waren und auch heute noch nicht so einfach erforscht werden können. Was man nicht erklären kann, nennt man notgedrungen Zufall. Darwin war in diesem Punkt mit seiner eigenen Theorie nicht zufrieden. Auch sie muss sich weiter entwickeln in Sinne einer Evolution der Erkenntnisse. Man kann den Begriff des Zufalls ersetzen mit Freiheit oder Entwicklungsoffenheit. Das weitet den Horizont und löst die Denkblockaden, die das Wort Zufall erzeugt. Die Epigenetik hat inzwischen neue Türen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis in dieser Richtung geöffnet.

Die hinduistische Symbolik kann wirkungsvoll daran erinnern, dass die Suche nach einer sinnvollen Ergänzung

der heute verwendeten Evolutionstheorie noch lange nicht zu Ende ist. Wir sind erst ganz am Anfang.

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evaness  06.11.2010, 08:08

Ich habe die Frage oben gar nicht beantwortet. Wie "die Hindus" zur Evolutionstheorie stehen,

weiß ich nicht. Vielleicht meldet sich noch ein Hindu und schreibt es uns. Verallgemeinern kann

man es wahrscheinlich genauso wenig wie bei Angehörigen anderer Religionen. Das sind heute

glücklicherweise Fragen der individuellen Sichtweise.

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kgunther  06.11.2010, 13:10
@evaness

Eva, diesmal sind Deine Ausführungen ergänzungsbedürftig: Es gibt in der Natur sehr wohl "positive Auslese", keineswegs nur die "Eliminierung" lebensuntüchtiger Varianten.. Wenn durch ungerichtete Mutation eine Variante geschaffen wird, die einen Überlebensvorteil bewirkt, dann hat diese Variante eine höhere Chance zur Reproduktion, die Mutation bleibt erhalten. Beispiel: Eine Pfauenvariation, die ein noch prächtigeres Federkleid hat und deshalb von den Weibchen bevorzugt wird. Auch eine Farbvariante, die unter den herrschenden Bedingungen weniger leicht einem Raubtier zum Opfer fällt, ist ein bespiel für porotive Selektion.

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evaness  06.11.2010, 19:14
@kgunther

Die Bevorzugung durch Partner ist die einzige echte Selektion im wörtlichen Sinne, denn dabei gibt es ein Lebewesen, das ein anderes auserwählt. Sie fördert allerdings hauptsächlich den Geschlechtsdimorphismus.

Die besser getarnten Beutetiere werden von niemandem "auserwählt". Die schlechter getarnten werden öfter gefangen und gefressen und daher stärker dezimiert. Übrig bleiben ist kein Auserwählt-Sein, keine Selektion.

Auch die erfolgreicheren Räuber werden von niemandem auserwählt. Sie schlagen mehr Beute und können deshalb mehr Nachkommen großziehen.

Beim Selektionsbegriff schwingt ja immer so etwas mit, als seien die geschickteren, schlaueren, stärkeren oder auch Rücksichtsloseren Gottes Lieblinge, die er eben auserwählt hat, weil sie nunmal die Erfolgreicheren sind. Das wiederum scheint die Rücksichtslosigkeit zu rechtfertigen, die mit evolutionstheoretischen Argumenten begründet wird, in Wahrheit aber einer im Unterbewusstsein noch wirkenden religiösen Prägung entspringen. Der Erfolgreichere ist nicht der Auserwählte, der positiv Selektierte. Niemand hat ihn auserwählt außer er sich selbst.

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evaness  06.11.2010, 19:31
@evaness

Angenommen wir würden uns parteiisch auf die Seite eines imaginären Gottes stellen, der parteiisch zu den Erfolgreicheren hält, können wir behauten, er hätte sie eben auserwählt = positiv selektiert.

Aber was hat das mit einer naturwissenschaftlichen Evolutionserkenntnis zu tun? Das sind religiös-autoritäre Vorstellungen, die in ein naturwissenschaftliches Mäntelchen gehüllt werden.

Ich hänge mich ganz bewusst an dem Wort Selektion auf, das "Auslese" bedeutet:

"se" und "legere" = "sich" etwas "lesen, sammeln".

Eine Ernte ist nicht möglich, wenn niemand da ist, der erntet. Eine Auslese ist nicht möglich, wenn niemand da ist, der ausliest. Ich lehne diese Wertung ab, die durch das entsteht, was bei der Verwendung des Begriffes Selektion mitschwingt, weil es so aussieht, als seien die Erfolgreichen eben doch von einem Gott ausersehen. Wie und auf wessen Kosten sie zum Erfolg kommen, danach wird nicht gefragt. In der Tierwelt kann man das alles wertungsfrei sehen, aber diese angeblichen "Naturgesetze" werden ja auf den Menschen übertragen, was als besonders wissenschaftlich gilt. Deshalb sollte man es damit schon sehr genau nehmen.

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evaness  06.11.2010, 19:46
@evaness

Ja, neue Merkmale können durch Erfolg erhalten bleiben und die Merkmalsträger können sich erheblich stärker vermehren und andere verdrängen. Erhaltung und Vermehrung würde ich Vishnus Zuständigkeitsbereich zuordnen. Wenn man das mit Neuentstehung verwechselt in Brahmas Zuständigkeitsbereich, wir es eben ungenau.

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evaness  06.11.2010, 20:51
@evaness

Die Entstehung neuer Merkmale geschieht in der Keimbahn auf der molekulargenetischen Ebene.

Die Vermehrung und Ausbreitung neuer Formen die manchmal mit einer Verdrängung älterer Formen verbunden ist, geschieht auf der Ebene der geschlüpften oder geborenen Individuen und der von ihnen gebildeten Populationen. Das ist nicht der Bereich der Entstehung sondern der Bereich der Bewährung.

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jobul  06.11.2010, 21:27
@evaness

Einen Unterschied zwischen positiver und negativer Auslese gibt es in der Evolution nicht. Man sollte auch aufhören, die Selektion an irgendwelche Eigenschaften zu knüpfen. Man kann sie nur hinnehmen: Was überlebt überlebt, warum auch immer.

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evaness  23.11.2010, 09:04
@jobul

Danke.

Für die Theologen wollte ich noch etwas ergänzen:

Die Prinzipen Brahma, Vishnu und Shiva kann man

als Entsprechung zur Dreifaltigkeitslehre sehen.

Brahma als Entsprechung zum Gottvater, der die Neubeginne iniziiert.

Vishnu als Entsprechung zum ins Leben geborenen Sohn, welcher die

Leben erhaltenden Energien, Liebeskräfte, Vergebung, Unsterblichkeit

usw. verkörpert.

Shiva als Entsprechung zum Heiligen Geist, der die Zerstörung des

biologischen Lebens zulässt, nach ihr noch existiert, die Lebensenergien

auf einer jenseitigen Seinsebene erhält und für ihre Überleitung zu den

Neubeginnen sorgt.

So kann die Evolution auch als mit der christlichen Dreifaltigkeitslehre

durchaus kompatibel angesehen werden. Auch hier wird die Ergänzungs-

bedürftigkeit der Theorie durch Erkenntnisse über das Wirken weiterer Kräfte oder Faktoren ersichtlich.

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evaness  23.11.2010, 09:09
@evaness

Besonders der Kräfte der Lebenserhaltung, die

auch als Herzenskräfte bezeichnet werden können,

welche dem Christusimpuls entsprechen würden.

Die gehören ins Evolutionsgeschehen mit hinein.

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evaness  23.11.2010, 09:15
@evaness

... wenn die Evolution nicht durch unser zu eng gefasstes

Verständnis und daraus gezogene falsche Schlussfolgerungen

zu einer Fehlentwicklung in Richtung Niedergang und Zerstörung

werden soll. Ohne die Kräfte der Mitte kann das nichts werden.

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evaness  23.11.2010, 10:04
@evaness

Evolution ist eben NICHT "Recht des Stärkeren, Mord und Totschlag, Krieg, Durchsetzung durch Auslösung von Artgenossen". Bei der Entstehung neuer Arten wirkt ein viel wichtigeres Prinzip, das Prinzip der Konkurrenz-Vermeidung:

Biologie - Konkurrenzausschlussprinzip,....

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Zoroastres  29.10.2016, 16:24
@evaness

Natürlich werden besser getarnte Beutetiere eher auserwählt, sowas nennt man dann Attraktivität. Stärkere Individuen haben beispielsweise einen Pluspunkt, weil das nützlich ist und die Sexualpartner eher darauf ansprechen. Woher sollte sonst unser Sinn für Schönhiet kommen, wenn es ohneehin irrelevant ist, wen wir als Partner wählen?

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Zoroastres  29.10.2016, 16:27
@evaness

Kompliziertes Thema und kaum durch einige wenige Gesetze zu begründen, vor allem wenn dann irgendwann die Psyche ins Spiel kommt

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> "Dies ist weder die erste Welt, noch ist es das erste Universum. Es gab vorher und es wird nachher viel mehr Welten und Universa geben, als es Tropfen im Wasser des heiligen Flusses Ganges gibt." Es gibt drei wichtige Figuren in dieser Geschichte. Die Hindus glauben, dass sie alle drei Teil des Höchsten sind und für verschiedene Handlungen des Höchsten stehen. Es sind Brahma, der Schöpfer, Wischnu, der Bewahrer, und Schiwa, der Zerstörer. Aus der Zerstörung entsteht neues Leben, deshalb ist Schiwa zugleich Neuschöpfer. Wenn das alte Universum zerstört ist, gibt es nichts mehr als einen riesigen Ozean. Auf diesem treibt Wischnu auf der Schlange Ananta dahin und manche sagen, dass aus seinem Nabel eine Lotusblume wächst und Brahma daraus entsteht. Manche erzählen, dass Brahma sich in zwei Teile teilt und so dass Männliche und das Weibliche erschafft. Dann wird er wieder eins, und so entstehen Menschen und alle anderen Lebewesen. Andere sagen, dass alles aus verschiedenen Teilen von Brahmas Körper entsteht. Dieses Universum, diese Welt und dieser Brahma werden von Schiwa zerstört werden, wie alle vorher und alle nachher. Doch Wischnu taucht immer wieder auf. Und aus Wischnu entsteht der Brahma des neuen Universums, und der Zyklus geht weiter. (Zusammenfassung der Schöpfungsgeschichte der Hindus aus MARTIN PALMER/ESTHER BISSET: Die Regenbogenschlange. Zytglogge Verlag, Bern 1987, S. 32 ff.)

http://www.weltinderschule.uni-bremen.de/religion1.htm

evaness  06.11.2010, 06:42

Schön!

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