Wie kann es sein, dass Kinder missbrauch solange durchstehen?

3 Antworten

Da kommen wohl zwei Faktoren zusammen.

Evolutionstechnisch sind wir als Kinder darauf programmiert, den Eltern gefallen zu wollen. Kinder, die in der Natur (und vermutlich teils bis in die letzten 100) von den Eltern verstoßen wurden, sind gestorben. Auf die Basis runtergebrochen brauchen Kinder ihre Eltern zum Überleben. Entsprechend ist die erste Reaktion von Kindern, die Schuld bei sich zu suchen, zu beschwichtigen. Und es wird so gehandelt wie das Kind glaubt, die Eltern würden es dadurch lieber mögen.

Kinder entwickeln noch ihr Verständnis zu sich selbst und zur Gesellschaft. Sie haben kein Bild davon, was normal ist, ihr ganzes Leben dreht sich um die Familie, was anderswo passiert, ist nicht bekannt. Und sie wissen natürlich auch nicht was gesetzlich verboten ist, was zu tun ist in solchen Situationen, wer kontaktiert werden kann.

Dazu kommt, dass das alles hinter verschlossenen Türen stattfindet. Und Teils von den Eltern noch manipuliert wird.

Diese Dinge in Kombination sorgen dafür, dass Kinder ihren Eltern sehr viel durchgehen lassen, die Schuld bei sich suchen und ihre Eltern trotzdem lieben. Klar, je älter das Kind wird, desto eher wird es sich dem ganzen bewusst. Aber auch ältere Kinder stehen oft noch zu ihren Eltern und haben teils Angst davor, ihnen weggenommen zu werden.

Kleine Anekdote zum Thema subjektive Normalität: meine Eltern haben mich nie geschlagen, das war damals auch schon verboten, aber trotzdem nicht unüblich. Mein Nachbar allerdings hat von seiner Mama gelegentlich den Po versohlt bekommen. Ich habe mal mit ihm darüber geredet, für ihn war das unvorstellbar, dass meine Eltern das nicht auch machen und er hat das bei sich sogar noch verteidigt, dass das ja nur passieren würde, weil er manchmal unartig ist. Soviel also dazu. Und Schläge hätte man wohl noch beliebig durch Schlimmeres ersetzen können.

Die haben noch noch nicht genug Erfahrungen gemacht

Kinder haben oft das Gefühl, machtlos und hilflos zu sein und sind manipulierbar: Wenn ihnen gesagt wird oder sie denken, dass ihnen sowieso keiner glaubt, schweigen sie und leiden still vor sich hin. Auch sind solche Vorfälle schambehaftet, man spricht nicht gern drüber. Mitunter kommt auch der Eindruck auf "für mich interessiert sich ja keiner und die Erwachsenen sind ja sowieso alle beschäftigt".

Kinder werden oft nicht ernst genommen erst recht mit ihren Sorgen und Nöten und "sollen sich nicht so anstellen", auch wenn die meisten Erwachsenen sagen werden, dass das genaue Gegenteil der Fall sei. Und die Kinder merken es genau, wenn Erwachsene sie nicht ernst nehmen und mehr oder weniger abtun oder abwimmeln und so tun, als seien die Sorgen der Kinder nicht der Rede wert.

Aus diesem Grund machen viele Kinder und Jugendliche auch jahrelanges Mobbing mit und schweigen sich darüber aus - es ist meist eine Mischung aller dieser aufgezählten Elemente. Mir selber ist es genauso gegangen im Kindergarten und später an der Realschule (Grundschule war gut); ich habe erst als Erwachsener offen drüber reden können und es auch lange Jahre mehr oder weniger verdrängt.

Meine Gedanken als Kind waren, ich kriege das heute noch zusammen ... mir glaubt doch das alles keiner, die Erwachsenen halten alle zusammen und alle sind gegen mich, es bringt nix und wenn ich was sage, wird es noch schlimmer und ich bin der dreckige Lügner, mich will sowieso im Kindergarten und in der Realschule keiner haben ... und ich wurde oft auch benachteiligt gegenüber anderen Kindern, da kam mir der Eindruck auf, dass ich es sowieso schlechter habe und gerade mir ohnehin keiner glaubt, weil die anderen alle zusammenhalten und am längeren Hebel sitzen. Der Konrektor, unter dem ich besonders litt und unter dem viele Kinder litten, war ja öffentlich soooo beliebt und so ein netter, christlicher Vorzeigebürger, Lektor, Kommunionhelfer, was auch immer - da hätte mir NIE jemand geglaubt, im Gegenteil ... ausgelacht hätten sie mich.

Das Resultat waren ganz grauenhafte und verstörende Gefühle bis hoch zu Schulangst und ein imaginärer Freund, den ich jahrelang brauchte, um halbwegs durch den Alltag zu kommen... ich frage mich heute echt, wie ich das geschafft habe.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung