Wie ist das Leben im Rollstuhl?

5 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hi Benedikt581

Selkiade hat da schon etliche sehr gute Details und Arguments genannt.

Ich kenne das von meiner Frau her (Rolli-Fahrer), die ich ca. 15 Jahre gepflegt habe.

Mal so die Antwort auf deine Frage: Wie ist das Leben ... schwierig. Das darf man nicht unterschätzen. Wenn man einfach mal so rumguckt - da sitzt halt jemand im Stuhl und muss nicht laufen. Nee - das Leben ist anders.

  • nur mal daheim: du brauchst überall einen Weg, der breit genug ist, um durchzukommen. Da kann die Einrichtung von Wohnungen auch ein Problem werden, weil die Fläche einfach begrenzt ist. Vielleicht willst du auch mal auf den Balkon - auch da muss man durch eine Engstelle und über die Schwelle - nicht einfach. Stell dir vor, du willst einen Kaffee mitnehmen - das ist noch schwieriger.
  • mal eben was von einem Raum in den anderen zu schaffen - klappt mit kleinen Sachen, aber sobald die größer werden, wird das nichts. Wenn dann noch Treppen dazwischen sind, dann ist das schon großes Kino.
  • Stell dir mal einen Spaziergang in einem Park vor - schön - Nicht? Schön in einer Allee unter Bäumen im Schatten flanieren. Das muss man sich aber mal detaillierter ansehen: die schmalen Reifen des Rollstuhls bohren sich in den Kies und der Rolli bleibt fast direkt stehen und kommt nicht weiter. Vielleicht schiebt noch jemand, aber auch dessen Kraft ist endlich.
  • die anderen Situationen in der Stadt wurden schon beschrieben

Wie reagieren die Menschen? - Muss ich sagen: überwiegend verständnisvoll und freundlich, aber sie sehen eben nur ihre Sicht. Was ich damit meine: Ich habe es nur selten gesehen, dass einfach mal ein Fremder hingelangt und geholfen hätte, wenn ein Rollstuhlfahrer an einem Bordstein hängenbleibt. Da fehlt es einfach daran, dass man die Situation nicht kennt. Sobald man dann als Begleiter mal direkt um Hilfe bittet - dann geht das wieder.

Wie reagiert aber der Rolli-Fahrer - das ist ein Aspekt, der hier noch gar nicht angesprochen wurde: er ist ständig Situationen ausgesetzt, die eigentlich für den Nicht Rolli-Fahrer ganz Ok sind, er muss sich aber wirklich plagen. Er kämpft mit Hindernissen, die kaum einer sieht - das ist eine große Belastung. Ich habe es erlebt, dass dann auch der Rolli-Fahrer psychisch einknickt.

Nachtrag (ich finde es im Moment nicht). Da gab es eine TV-Serie, bei denen Leute für 40 Tage etwas Besonderes machen mussten - das könnte RTL gewesen sein). Da gab es auch eine Sendung "40 Tage im Rollstuhl" - das war extrem realistisch und lehrreich. Vielleicht suchst du mal auf Youtube danach - die müsste dort sein.

Benedikt581 
Fragesteller
 22.07.2023, 14:44

Vielen Dank für deine Antwort, das ist wirklich sehr gut geschrieben. Es ist genau dieser Perspektivenwechsel, den ich gesucht habe.

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norbertk62  22.07.2023, 15:23
@Benedikt581

Könnte sein, dass du es gefunden hast. Wie ich mich erinnere: das war ein Experiment, ein sportlicher Typ hat sich drauf eingelassen und dann ging es los. Soweit passt das zusammen.

In meiner Erinnerung war da noch ein Freund des Sportlers, der ihm permanent zur Seite gestanden war. Es war unheimlich beeindruckend, wie sich die Beziehung zwischen den Beiden verändert hat. Spoiler: der Freund hat alle Widrigkeiten abgefedert, musste aber auch einiges einstecken. Genau das war es, warum ich empfehle, solche Sendungen zu verfolgen. Ich habe es erlebt: das Familienleben verändert sich auf einen Schlag.

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Das Leben im Rollstuhl ist vielschichtig.

Man muss halt mit gewissen Hindernissen leben und gut planen wenn man etwas unternimmt.

Auch sind die Reaktionen der Menschen sehr unterschiedlich. Das geht von Mitleid bis Ignoreranz.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Was erlebt man als Rollstuhlfahrer oder deren Begleitung?

Ich erlebe alles mögliche. Meine Erlebnisse sind kaum anders als die von Fußgängern. Ich gehe auf Konzerte und Festivals, studiere, mache Sport, treffe Freunde usw.

Wie reagieren die Menschen?

Meist gar nicht es kommt super selten vor, dass mir unnötigerweise Hilfe angeboten wird. Negative Reaktionen sind auch super selten. Zuletzt regte sich jemand im Bus auf, dass der Bus wegen mir jetzt noch mehr Verspätung hätte (der Busfahrer musste aussteigen und die Rampe für mich ausklappen).

Mir als Begleitperson ist besonders häufig aufgefallen, dass die Menschen mit mir reden anstatt mit der betroffenen Person selber. Die Menschen sind wohl der Meinung:

körperlich eingeschränkt = geistig eingeschränkt,
als könne man mit der Person keine anständigen Gespräche führen.

Und das stimmt so natürlich nicht. Klar gibt es Menschen die geistig eingeschränkt sind und im Rollstuhl sitzen. Aber das ist natürlich nicht bei jeder Person im Rollstuhl so.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Ich kann nur aus Sicht der Begleiterin sprechen und nur für die Situationen, die ich selber miterlebt habe (andere Menschen haben vielleicht genau gegenteilige Erfahrungen gemacht oder nehmen Situationen anders war):

Wenn ich mit den RollstuhlfahrerInnen aus meiner alten Gruppe unterwegs war, dann war die Reaktion sehr durchmischt. Manche Menschen waren sehr freundlich und zuvorkommend. Manchmal gab es aber auch richtig unfreundliche Reaktionen.

Was auffällt und sehr ärgerlich ist, dass wir immer wieder auf Barrieren gestoßen sind. Sei es die fehlende Bordsteinabsenkung oder die zugestellten Durchgänge in irgendwelchem Läden. Auch Schlaglöcher - vor allem kleine, tiefe - sind sehr hinderlich gewesen.

Mal mit einem der Menschen im Rollstuhl in die Stadt fahren, um Klamotten zu kaufen? Nicht möglich. Zumindest nicht mit mir als Begleitung, weil ich keinen Führerschein habe. Ich hätte mit ihnen also lediglich Bus & Bahn fahren können. Das ist aber ein Kraftakt. Nicht nur, dass man hoffen muss eine Niederflurbahn zu erwischen (einen 70 Kilo Menschen plus Rollstuhlgewicht kriege ich nicht mal eben die 4 Stufen in die Hochflurbahn hoch...), man muss auch hoffen, dass am Ziel die Aufzüge funktionieren.

Wenn man soweit ist, dass man in einem Laden steht und Klamotten ausgesucht hat, ist meistens keine Umkleidekabine groß genug für einen Menschen im Rollstuhl plus Begleitung. Ich habe bislang nur ganz wenige Klamottenläden erlebt, die entsprechend große Umkleiden hatten. Und selbst dort fehlten z.B. Haltegriffe, woran sich der behinderte Mensch hochziehen/ festhalten konnte, wenn er eine Hose anprobieren wollte...