Blickwechsel 11. März 2021
Deine Fragen an einen Buddhisten
Alles zum Blickwechsel

Wenn die buddhistische Denkweise, die Welt "dominieren" würde (ist im positiven Sinne gemeint), was würde sich deiner Meinung nach zum positiven hin verändern?

1 Antwort

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Erst einmal möchte ich betonen, dass eine buddhistisch dominierte Welt höchstwahrscheinlich nicht das Paradies bedeuten würde. Denn das eine ist die Lehre einer Religion & das andere ist das, was daraus gemacht wird. Ich bin sicher, dass die Menschen in den Buddhismus das hinein lesen würden, was in die aktuelle Situation passt. Egal wie fragwürdig & widersprüchlich das wäre. Ich möchte dir ein Beispiel geben: Im Alten Testament der Bibel finden sich zahlreiche sozialistische Ansätze z. B. im Buch Amos. Auch im Neuen Testament liest man davon z. B. in Apostelgeschichte 4,32, wo es wie folgt heißt:

Die Menge derer, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam.

Die Bibel ist der Geldwirtschaft und dem Zins klar kritisch gegenüber eingestellt. Dennoch schaffen es einige evangelikale Prediger in der USA die Bibel neoliberal auszulegen. Das ist einfach etwas, was in das Wirtschaftsystem der USA passt. Ob man bei solchen Auslegungen sich selber ehrlich gegenüber ist, will ich mal so dahingestellt lassen. 

Fakt bleibt, dass derartige Fälle von unpassenden Hineindeutungen dem Buddhismus wahrscheinlich auch nicht erspart wären. Dies ist sogar schon der Fall. Es gibt tatsächlich Menschen, welche versuchen den Buddhismus als neoliberales Konzept zu verkaufen. Das ganze basiert auf fadenscheinigen Prämissen, z. B. dass das buddhistische Konzept der Allverbundenheit dem Geist des Kapitalismus entspricht. Allerdings geht die Allverbundenheit im Buddhismus mit kollektivem heilsamen Handeln einher. Kapitalismus bedeutet hingegen übertreffen, dominieren & den Wirtschaftskonkurrenten besiegen.

Es geht nicht nur um den Neoliberalismus, sondern darum, dass die Menschen aus dem Buddhismus das machen würden, was Ihren vermeintlichen Bedürfnissen entspricht.

------------------------------------------------------

Aber nun zur eigentlichen Frage. Ich bin davon überzeugt, dass eine buddhistisch dominierte Welt mindestens die besseren Voraussetzungen hätte, wie in unserer aktuellen Lage. Dies kann meine einigen Punkten festmachen:

-----

Ich möchte mit dem Thema der Wirtschaft gleich weitermachen. Die Vorstellung eines Nicht-Ich (Pali: ananatta) hätte das Potenzial für eine weniger ausbeuterische Weltwirtschaft zu sorgen. Fragwürdige Wirtschaftskonzepte, wie das des Homoökonomikus, würden verworfen werden, da sie nicht der buddhistischen Weltsicht entsprechen. Man würde wahrscheinlich nicht mehr versuchen das perfekte Wirtschaftssystem zu finden, sondern versuchen den Menschen auf ein höheres und sozialeres geistiges Level zu bringen. An der geistigen Entwicklung des Menschen würde sich dann auch das Wirtschaftssystem orientieren & nicht umgekehrt. Es wäre ein humanistischer Ansatz, der ganz bewusst davon abweichen würde den Menschen (durch Lügen) zu manipulieren. Aufgrund des Konzeptes von Allverbundenheit & Interdependenz würde es weniger isolierte Staaten geben, wobei man versuchen würde die Ausbeutung von Dritte-Welt-Länder zu verhindern. So etwas wie der Protektionismus unter Trump hätte dann keine ethische Grundlage mehr. Natürlich hätte das sozialere Miteinander unter den Staaten auch damit zu tun, dass es keine Trennung mehr zwischen christlicher & islamischer Welt geben würde.

Eines der besten Bücher, welche ich in den letzten Jahren gelesen habe ist das Buch "Buddhistische Wirtschaftsethik" von Karl Heinz Brodbeck. Wenn dich das Thema mehr interessiert, dann empfehle ich es sehr: 

https://www.amazon.de/Buddhistische-Wirtschaftethik-Einf%C3%BChrung-Karl-Heinz-Brodbeck/dp/3942085143

------------------------------------------------

Während das mit der Wirtschaft eine nur sehr theoretische Sache ist, würde sich eine Sache meiner Meinung nach sehr sicher ändern. Der Fleischkonsum würde erheblich verringert werden. Viele Menschen vertreten die These, dass Buddha wenn er heute noch leben würde Veganer wäre. Zur damaligen Zeit war dies aus gesundheitlichen Gründen noch nicht möglich. Deshalb würden auch tierische Produkte allgemein weniger konsumiert werden. Es gibt zwar Buddhisten, welche versuchen in die Schriften den Fleischverzehr unter Umständen hinein zu lesen (eine Auslegung die ich für sehr absurd halte), aber ich bin mir sicher, dass selbst da die meisten kein Fleisch aus der Massentierhaltung mehr konsumieren würden. Dies würde sich natürlich auch auf die Umwelt auswirken. Bedenke dass das Flatuieren unsere Nutztiere die zweit größte CO2 Quelle auf der Welt ist.

Auch insgesamt wären die Menschen eher umweltfreundlich. Zum einen natürlich wegen dem Gedanken an Reinkarnation & den Glauben daran, dass ein geliebter Mensch oder man selber mal es Tier gelebt hat. Zum anderen ist die buddhistische Philosophie sehr Naturverbunden. Denn die Natur ist die beste Erkenntnisquelle für die richtige Weltsicht & gleichzeitig ist sie der beste spirituelle Rückzugsort. Am meisten jedoch besticht die buddhistische Vorstellung von vollkommener Abhängigkeit aller Dinge, also die bereits erwähnte Interdependenz. Der Buddhismus vermittelt wie abhängig wir von der Natur sind, was zwangsläufig zu mehr Respekt vor ihr führen würde.

-----------------------------------------------------

Als nächstes glaube ich, dass ich in einer buddhistischen Welt die therapeutischen Ansätze verändern würden. Denn herkömmliche Therapieansätze haben er den Fokus darauf zu Pathologisieren & psychische Krankheiten gezielt zu bekämpfen. Das ist auch im Prinzip nichts Schlechtes. Jedoch nehme ich in unserer Gesellschaft eine Art "Überpathologisierung" wahr. Ich möchte dir ein Beispiel geben: In meiner Kindheit gab es in jeder Jahrgangsstufe ein Kind mit der umstrittenen Diagnose ADHS. in meiner Jugend hieß es, dass es durchschnittlich ein Kind pro Klasse ist. Vor drei Jahren habe ich gehört, dass es jetzt zwei pro Klasse sein soll. Menschen die aus dem Raster fallen, bekommen viel zu schnell eine Diagnose. Das passiert nicht aus bösem Willen oder nur wegen den Pharmakonzernen, sondern weil man oft nicht anders weiß wie man mit "auffälligen" Menschen sonst umgehen soll. Das führt leider dazu, dass sich die Menschen in einer unveränderlichen Rolle sehen. Buddhistische Therapie/Praxis hat aber einen anderen Schwerpunkt. Bei ihr geht es darum die Ressourcen zu aktivieren, welche in jedem Menschen innewohnen. Nicht nur ein psychisch kranker Mensch hat etwas davon, Sonnen jede Person, welche sich im Glück & Achtsamkeit üben möchte. Auf dieser Ebene würde eine erhöhte Präsenz des Buddhismus das allgemeine Wohlbefinden in der Bevölkerung stärken.

Woher ich das weiß:Hobby – aktiv praktizierender Buddhist & belesen
AusMeinemAlltag 
Fragesteller
 19.03.2021, 23:38

Recht herzlichen Dank für deine Antwort ! Du hast dir sehr viel Mühe gegeben, dafür danke ich dir.

0
Bodhgaya  03.04.2021, 22:08
@AusMeinemAlltag

Danke, aber um die Mühe sollte es weniger gehen. Eher hoffe ich damit anderen bzw. dir weiterhelfen zu können.

1