Welche Menschenbilder gibt es in der Philosophie?

4 Antworten

Da kannst du mit Aristoteles anfangen und zwei seiner Bemerkungen aus der Politeia: Zoon politicon. Kann man als "der Mensch ist ein politisches Lebewesen" übersetzen. Ich denke, auf das "poly" darin muss geachtet werden: "Der Mensch ist ein Lebewesen, das gerne unter vielen ist." (findet sich so nicht in der Übersetzung) Ebenso berühmt: "Zoon Logon Echon". Beide Bemerkungen stehen auf derselben Seite des Buches. Auch hier kann man über die Übersetzung streiten, die lateinische Version als "animal rationale" passt schon. Den dritten Punkt sehe ich in der Metaphysik "Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen". In allen drei Punkten betont Aristoteles den Menschen als Teil der Natur. In Griechenland tritt der Mensch auch als mitfühlendes Wesen bzw. bei als aus Atomen zusammengesetzt auf. Auf Platon beruht dann die Trennung von Geist und Körper, wir haben das Problem der Seele vor uns, die in der arabischen Philosophie von Averroes wieder vorkommt, wo die menschliche Seele Teil der universellen Seele sein soll. Er beeinflusst damit Thomas von Aquin und Albertus Magnus stark.
Natürlich kommt die große Wende mit dem Christentum. Vielleicht aus der Sicht des Judentums als auserwähltes Volk übernommen, dass den Menschen der Glaube an Christus ausmacht. Das hatte fürchterliche Auswirkungen auf die BewohneRinnen der Neuen Welt und während des Kolonialismus. Die Benediktiner wiederum sahen die Aufgabe des Menschen in "ora et labora - bete und arbeite". Sie meinten damit die Sorge um Gottes Schöpfung. Bartolomé de las Casas schildert die Grausamkeiten an Indios und will sie als menschliche Wesen anerkennen. In der Disputatio von Valladolid setzt er sich durch, der Papst erlässt schließlich eine Bulle, in der festgehalten wird, auch die Bewohner der Neuen Welt hätten eine Seele und sind daher als Kinder Gottes zu betrachten. Geändert hat das herzlich wenig an den Zuständen. Klarerweise fand eine radikale Wende mit Kopernikus und Bruno statt - alles im Laufe des 16ten Jh. Den Menschen aus der Mitte des Universums zu verbannen und dann noch (Bruno) zu behaupten, es gebe unendlich viele Sonnensysteme, war eine unheimliche Provokation. Die mathematischen Formeln auch noch astronomisch zu belegen, hatte schlimme Konsequenzen für Galilei. Das Menschenbild wurde danach immer rationaler, auf Ursache und Wirkung konzentriert, und subjektiver. Descartes macht den Menschen zum Cogito - cogito ergo sum. Einsamer kannst nimmer werden als in dieser Subjektphilosophie, die sich bis ins 20te Jh. fortsetzt. Allerdings kam auch das Bürgertum hoch und damit das autonome Denken auf Basis immer höherer (Buch-)Bildung. So gelangen wir dann zu den britischen hauptsächlich auf Empirismus fußenden Menschenbildern - ein Spaß bei Mandeville - und den Homo Oeconomicus bei Smith. Der Mensch ist sozial und arbeitsteilig. David Hume erkennt, dass die Moral dem Menschen nicht angeboren ist: Was ist, kann kein Grund sein für das, was sein soll. Wenn jede Ehefrau einen Mann hat, kann es nicht sein, dass jeder Mann verheiratet ist. Die Arbeit, das Erschaffen rückte zu dieser Zeit in den Mittelpunkt des Denkens (nach religiösen Ausritten in der frühen Neuzeit). Und wird sind in der Aufklärung. Kant spricht vom "homo intelligibile", dem zur Vernunft begabten Menschen (er sagt nicht: vernünftiger Mensch wie animal rationale). Hier gibt es ein klares Alleinstellungsmerkmal der deutschen aufklärerischen und romantischen Philosophie. In Frankreich werden die Menschenrechte zelebriert: Alle Menschen sind frei und gleich an Recht und Würden geboren. In Großbritannien setzen sich nach Hobbes - der Mensch ist des Menschen Wolf (wahrscheinlich bei Lukrez gestohlen) - legale, verhandelte Menschenbilder ebenso wie empirische durch. Der Mensch ist nun ein freies autonomes Wesen und muss sich die Fragen stellen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Die Antwort lässt Kant offen. Gleich zum Christentum hatte das Rassismus zur Folge, obgleich ich nicht jeden Menschen von damals nach heutigen Maßstäben einen Rassisten nennen will. Das Ideal der Aufklärung war die Botschaft der europäischen Reiche, Menschen außerhalb deswegen zu unterdrücken sollte nur ein vorübergehender Zustand sein. Humboldt machte den Menschen zu einem freien Wesen, das durch Bildung Wissen ansammeln und damit immer bessere eigene Entscheidungen treffen könne. Hier sind wir im Bildungsbürgertum des 19ten Jh. angekommen und der willkürlichen Verteilung der Freiheit nach unten. Nietzsche will ich da auslassen, der spinnt einfach nur. Der Übermensch kennt kein Wir was soll denn das. Karl Marx sagt in den Pariser Manuskripten, der Mensch sei die Gesellschaft "und nichts anderes". Das ist ein vollkommen konträrer Standpunkt. Charles Darwin zur gleichen Zeit stellt den Menschen als Produkt der Evolution auf naturwissenschaftlicher Basis dar. Nach Kopernikus die zweite große Kränkung der Menschheit. Freud, auf den dieser Ausspruch von Kränkungen zurückgeht, schließt sich damit an, dass er sagt, der Mensch sei gar nicht fähig, seine Handlungen selbst zu bestimmen - "Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus". Ist der Mensch damit noch frei? Hannah Arendt findet zu Aristoteles zurück, beschreibt den Menschen jedoch als arbeitsames soziales Wesen, das gesellschaftlichen Verhältnissen unterworfen wäre. Erich Fromm geht hier noch weiter. Er sagt, der Mensch habe Furcht vor der Freiheit (am: Escape from Freedom). Paulo Freire, Brasilianer, wiederum spricht von der historischen Aufgabe des Menschen menschlicher zu werden. Als ehemaliger Bildungsminister meint er damit, sich der Umstände seines Lebens bewusst zu werden. Das heißt, sich von Furcht zu befreien und anderen Freiheit zukommen zu lassen. Die lateinamerikanische Befreiungstheologie nach Gustavo Gutierrez spricht von der "bevorzugten Option für die Armen", meint also wiederum die Befreiung von unverschuldeter Unterdrückung. In der Phänomenologie - Husserl, Heidegger - wird der Mensch auf ein Selbst reduziert. Der Mensch ist das Sein selbst. Der Existenzialismus - Sartre - konzentriert sich auf das Bewusstsein, welches zulässt, mit seiner Umgebung in Kontakt zu treten. Hier ist Sartres Blick des Anderen zu erwähnen. Werde ich vom Anderen erblickt, werde ich mir meiner Existenz bewusst. Wichtig für mich ist Ernst Tugenhat, der mit seinem Buch "Anthropologie statt Metaphysik" für großes Aufsehen sorgte. Für ihn ist der Mensch nicht nur Resultat der Evolution. Er nimmt auch Abstand von Kant, den er aber verehrt, indem er sagt, dass die Transzendenz lediglich eine Annahme ist, aus der sich jedoch nichts weiter ergibt. Für ihn rückt die Frage danach, was den Menschen ausmacht eben anthropologisch sachlich in den Mittelpunkt. Auch Helmuth Plessner muss da genannt werden. Er versteht den Menschen als exzentrisches Wesen. Damit meint er, der Mensch könne sich ja nur als sich selbst denken. Also ist er zugleich Sein ebenso wie Objekt, ohne entscheiden zu können, was von beiden er gerade ist. Das ist die Exzentrizität. Nicht zu vergessen der "Capability Approach" von Amatya Sen und Martha Nussbaum. Jeder Mensch zeichnet sich durch eine Reihe an Eigenschaften und Fähigkeiten aus - wie geboren zu sein, sich seiner Sinne bewusst oder auch Humor zu haben. Das hat große Ausstrahlung auf Nussbaums feministische Projekte in Indien. Vom Feminismus haben wir hier noch gar nicht gesprochen, der die Frau als Opfer historischer Ungerechtigkeit etabliert und sie als Akteurin weiterer humanistischer Bestrebungen, Gerechtigkeit zu erlangen, sieht. Ab der zweiten Hälfte des 20ten Jh. erobert sich die Neurobiologie immer mehr Raum in den philosophischen Diskussionen. Der Mensch wird als Folge determinierter biochemischer Funktionen erkannt. Daraus resultiert der Streit, ob es denn einen freien Willen gebe oder der Mensch das Endprodukt chemischer Abläufe sei. Die Trennung von Geist und Körper - durchgehend von Griechenland bis heute - kann man damit vergessen. Interessant ist der Standpunkt des italienischen Neurologen Vittorio Gallese. Er arbeitete bei der Neuentdeckung der Spiegelneuronen mit. Seine Forderung ist, das cartesianische Ego (aus cogito ego sum) über Bord zu werfen und schlägt vor, von einem simultanem geteilen wir-zentrischen Raum zu sprechen, in dem die erste Erfahrung die anderer selbstgleicher Körper ist. Daniel Dennett sieht das neuronale Netzwerk als unkontrolliertes System, wo einzelne Zellen nach ihrem Vorteil trachten. Was sich dann auf der "user surface", wie er das nennt, abzeichnet, sei ein Kompromiss von Milliarden von Zellen. Auf dieser Basis träfen wir unsere Entscheidungen. Allerdings haben wir keine Wahrnehmung einer solchen Benutzeroberfläche.
Ich denke, das ist in etwa Stand der Dinge. Weiter interessant dafür sind neurologische Erkenntnisse, die meinen, das Gehirn konstruiere sich die Welt und könne die Wirklichkeit gar nicht darstellen. Es geht weiter, dass es auch auf den Input über die Sinne verzichten kann, indem es sich die Welt ausdenkt, wie sie von Vorteil ist. Abgesehen von den Auswirkungen auf die soziale Betreuung von Menschen mit verschiedenen Einschränkungen (sowas wurde ja überhaupt nicht beachtet!), kann auch die aktuelle Genderdebatte nicht übersehen werden. Der Mensch wird dadurch zu einer Frage selbstbestimmter Identität und nicht eines unveränderlichen Seins.

MrAlfonso 
Fragesteller
 17.01.2023, 07:11

Wow ne Menge zu lesen, danke

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Für den Einstieg wären vlt. die teils gegensätzlichen Haltungen von Rosseau und und Locke interessant.

Beide haben ihr Menschenbild im Zusammenhang mit dem Konzept des Gesellschaftsvertrags erläutert.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Studium Philosophie an der Uni Bielefeld
Tonis9706  16.01.2023, 16:28

Ein guter Einstieg.

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Puh, Philosophie kann ich dir wenig sagen, schau dir aber mal Emmi Pikler oder Maria Montessori an, ist ganz interessant oder vielleicht Erikson, Sigmund Freud oder doch Jean Piaget?

Da gibt es quasi eine unbegrenzte Auswahl. Die Rassenlehre z.B.

Oder die Ideen Nietzsches bezüglich Übermensch - Götzendiener(was nicht zwingend ein Gegensatz zu vorheriger Aufzählung ist) - Herren- und Sklavenmoral

Ebenso die Idee Schopenhauers. Dieser Charakterisiert einen Menschen als Menschenwille. Und sich seinem Wollen zu widersetzen ist die Lösung für das Leiden.

Ebenso gegensätzliche Vorstellungen von dem Menschen in seinen Ursprüngen. Ist der Naturmensch positiv? Oder ist er wie im Marxismus negativ und die Gesellschaft/Sozialisierung muss ihn zum Guten führen?..

LG