Bei uns früher auf der Schule war es absolut nicht üblich als Junge zu weinen. Wer doch geweint hat wurde aufs übelste gemobbt (auch von den Mädchen) und wer den Tränen nahe war der hat sich schnell versteckt, damit es keiner sieht. Die als "Heulsusen" titulierten Unglücksraben haben täglich auf den Kopf gekriegt. Wer am besten Einstecken und Austeilen konnte war der Held der Schule. Die Lehrer waren sehr auf die Leistung der Schüler fixiert. Wer einen Erfolg nach dem anderen verzeichnete war der Liebling, aber wehe es gab einen Rückschlag oder eine persönliche Krise, dann wurde man nicht mal mehr mit dem Arsch angeschaut. Über abwesende depressive Schüler (in diesem Fall auch über Schülerinnen) wurde gelästert. Selbst die Lehrer lästerten mit, sprachen von Simulation, Faulheit und Dummheit. Naja, ich bin in dieser Kultur aufgewachsen und habe es eben erst sehr spät gemerkt, dass diese Art der Erziehung falsch ist, für mich war das immer normal. Mein Vater und insbesondere meine Mutter haben ausschließlich Leistungen honoriert und mich als Deppen hingestellt, wenn ich minimal emotional geworden bin. Auch bei meiner handwerklichen Ausbildung wurden Fehler immer mit Beleidigungen, schnippchen Bemerkungen und Leugnung meiner Tauglichkeit als Mensch oder Mann beantwortet, das war da halt so die Arbeitskultur.
Aber wieso werfen mir auf Beerdigungen oder bei emotionalen Situationen andere Leute auf einmal vor, ich sei gefühlskalt oder unterdrücke meine Gefühle absichtlich? Das ist bei mir seit der Schule einfach so, dass ich nicht weinen kann und dass mir keine tröstenden Antworten einfallen, wenn jemand neben mir einen Gefühlsausbruch hat. Meine Freundin hat mit mir Schluss gemacht, weil ich beim Tod ihrer Mutter angeblich keine Gefühle gezeigt hätte und das mir der Tod ihrer Mutter egal gewesen sei, was nicht stimmt. Ich bot ihr an, dass ich sie unterstütze, so gut ich kann und habe ihr versucht zu erklären, dass ich bei emotionalen Momenten sehr unbeholfen bin und vielleicht manchmal unabsichtlich etwas Falsches sage. Das hat dann am Ende leider nichts gebracht und ich bin jetzt wieder Single.
Es hat sich in meinem Leben nie die Frage gestellt, wie meine Gefühle zu den Problemen stehen, sondern wie ich die Probleme beseitige. Das Besprechen und die Zurschaustellung von Gefühlen ist für mich abartig schwer.
Ich frag mich wie ich schnellst möglich das Weinen lernen kann, damit ich in dieser neuen Gefühlskultur nicht scheitere.