Warum verwendet Sallust in seinem Werken Archaismen?

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Gründe sind:

1) Sallust hebt sich in einer bewußten stilistischen Entscheidung von einem glatteren klassischen Latein ab, wie es z. B. Cicero und Caesar schreiben, strebt Eindringlichkeit an und will von seiner Leserschaft nicht gleichsam völlig ruhig hinuntergeschluckt werden. Dazu trägt unter anderem ein teilweise altertümliches sprachliches Gewand bei.

2) Sallust verwendet Archaismen, um seinen Geschichtswerken im sprachlichen Ausdruck Würde und Nachdruck zu geben. Er äußert politisch-moralische Urteile, wozu Würde (dignitas) und Gewichtigkeit (gravitas) passend sind. Seine Auffassung über einen Sittenverfall Roms bringt es mit sich, in seinen Urteilen oft und betont Schlechtes festzustellen.

3) Sallust hat stilistisch an Marcus Porcius Cato (234 – 149 v. Chr.; zur Unterscheidung von seinem ebenfalls berühmten Urenkel oft Cato maior [der ältere Cato] oder Cato Censorius [Cato der Zensor] genannt) als ein Vorbild angeknüpft. Dieser hat ein Geschichtswerk „Origines“ geschrieben. Mit Cato berührt sich Sallust auch darin, moralische Verfehlungen anzuprangern.

Die Verwendung von Archaismen durch Sallust ist von antiken Römern unterschiedlich beurteilt worden. Pompeius Lenaeus, Freigelassener des Gnaeus Pompeius, hat Sallust in einer sehr scharfen Satire angegriffen und ihn unter anderem einen äußerst ungebildeten Dieb alter Wörter Catos (praeterea priscorum Catonisque verborum ineruditissimum furem) genannt (Sueton, De Grammaticis 15). Gaius Asinius Pollio hat an Sallusts Schriften getadelt, von einem allzu großen gesuchten und gekünstelten Streben nach alten/altertümlichen Wörtern befleckt zu sein (nimia priscorum verborum affectatione oblita), und mitgeteilt, der Philologe Lucius Ateius habe für Sallust alte Wörter und Redefiguren (antiqua verba et figuras) gesammelt (Sueton, De Grammaticis 10). Nach Gellius, Noctes Atticae 10, 26 traf ein Tadel, den Gaius Asinius Pollio in einem Brief an Lucius Munatius Plancus äußerte, die Verwendung der Wörter transgressus und transgressi. Octavian/Augustus hat Marcus Antonius spöttisch angegriffen, dieser sei im Zweifel, ob er Annius Cimber oder Veranius Flaccus nachahmen solle dergestalt, daß er die Wörter gebrauche, die Sallust aus den Catos „Origines“ exzerpiert habe (Sueton, Divus Augustus 86, 3). Octavian/Augustus hatte offenbar eine schlechte Meinung über die Verwendung solcher Archaismen. Quintilian, Institutio oratoria 8, 3, 29 zitiert ein Epigramm, das Sallust vorhält, Wörter des alten Cato gestohlen zu haben. Fronto, Epistulae ad Marcum Caesarem 4, 3, 2 hebt Cato unter den alten Schriftstellern in sprachlicher Hinsicht lobend hervor und stellt fest, Sallust sei ihm oft gefolgt.

Sallust (86 – 34 v. Chr.) schreibt in der Hauptsache nicht über eine lange zurückliegende Vergangenheit. Seine Themen sind die Verschwörung Catilinas (63 – 62 v. Chr.), der Krieg gegen Jugurtha (111 - 105 v. Chr.) und Zeitgeschichte der Jahre 78 – 67 v. Chr. (Historiae). Ältere römische Geschichte kommt nur in historischen Exkursen und einzelnen Bemerkungen vor.

Sallust vertritt in seinen Geschichtswerken traditionelle römische Werte. Eine Orientierung an solchen Werten bzw. den Sitten der Vorfahren (mores maiorum) ist allerdings in Schriften antiker römischer Autoren dieser Zeit gängig. Eine zwingende Verbindung mit einem archaisierenden Stil gibt es dabei nicht.

Das Fehlen von Archaismen ist keine Erscheinung eines Sittenverfalls. Umgekehrt kann aus der Verwendung von Archaismen nicht eine Einstufung als jemand, der als moralisch gut gilt, abgeleitet werden. In der Rede Catilinas bei Sallust, De coniuratione Catilinae 20 kommen Archaismen vor, z. B. maxumum atque pulcherrumum facinus (statt maximum atque pulcherrimum facinus), divorsi (statt diversi), fortissumi viri (statt fortissimi viri) und optastis (statt optavistis). Bei Sallust gibt es auch sprachliche Neubildungen (Neologismen), z. B. incultus (Sallust, De coniuratione Catilinae 55, 4; Sallust, Bellum Jugurthinum 2, 4) und Wortverbindungen mit grande (alienum aes grande Sallust, De coniuratione Catilinae 14, 2; 24, 3). Gellius, Noctes Atticae 4, 15 weist darauf hin, Sallusts feine Gewähltheit der Bildung von Wörtern und sein Eifer nach Neuerung (elegantia orationis Sallustii verborumque fingendi et novandi studium) habe Abneigung und Tadel vieler Männer hervorgerufen. Die Mehrzahl der Anfechtungen seien unwissend und übelwollend.

Sallust hat nicht wirklich die ganze Zeit der Vorfahren für politisch-moralisch bestens und ein „goldenes Zeitalter“ gehalten. Sallust, De coniuratione Catilinae 6 – 13 bietet eine zusammenfassende Darstellung zur römischen Geschichte. Darin schildert er den Ablauf als Aufstieg, dann aber nach einer Zeit erfolgreicher Expansion als einen Sittenverfall, nachdem machtpolitische Rivalen der Römer besiegt und unterworfen waren (vor allem Untergang Karthagos 146 v. Chr.). Bei der Darstellung eines hervorragenden Zustandes in der römischen Vergangenheit spielt aber das Erreichen eines großen Kontrastes zur Gegenwart (mit der Verschwörung Catilinas) eine Rolle. Die verklärende Darstellung wird in späteren Werken nicht beibehalten. Nach Auffassung von Sallust, Bellum Iugurthinum 41 hat vor der Zerstörung Karthagos Furcht vor Feinden (metus hostilis) die Römer in guten Eigenschaften festgehalten, während danach Zügellosigkeit (lascivia) und Hochmut (superbia) aufkamen. Äußerer Druck hatte nach dieser Auffassung vorher innere Eintracht bewirkt, die nicht mehr gebundenen Kräfte richteten sich dann nach innen mit der Folge von Zwietracht und Kämpfen. Sallust, Historiae 1, 11 (Maurenbrecher)/1, 9 und 1, 10 McGushin/16 La Penna/Funari heißt es, die besten Sitten und größe Eintracht habe es in der Zeit zwischen dem zweiten und letzten Krieg mit Karthago (also zweiter und dritter punischer Krieg) gegeben. Nach der Zerstörung Karthagos hätten sich Zwietracht (discordia), Habsucht (avaritia), (schlechter) Ehrgeiz (ambitio) und andere Übel sehr stark gesteigert. Unrecht der Stärkeren (iniuriae validiorum) und deswegen Trennung der Plebejer von den Patriziern (discessio plebis a patribus) und andere innere Meinungsverschiedenheiten/Verfeindungen/Spaltungen (dissensiones domi) habe es in der römischen Republik von Anfang an gegeben. Dies wird nur zeitweilig durch Furcht vor äußeren Feinden unterbrochen.

zu Sprache und Stil bei Sallust:

Stephan Schmal, Sallust. 2. unveränderte Auflage. Hildesheim ; Zürich ; New Ork : Olms, 2009 (Studienbücher Antike ; Band 8), S. 128 – 139

Michael von Albrecht, Geschichte der römischen Literatur : von Andronicus bis Boethius; mit Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Neuzeit. Band 1. 3., verbesserte und erweiterte Auflage. Berlin ; Boston : De Gruyter, 2012, S. 376 - 378

S. 376: „Sallust ist der eigentliche Schöpfer eines historiographischen Stils in Rom. Er greift bewußt auf den alten Cato zurück, dessen Sprache erst durch Sallust stilbildend wird. Z. B. klingen die Fragmente des Claudius Quadrigarius, obwohl sie viel älter sind, ›normaler‹, ›klassischer‹ als die archaisierende Diktion Sallusts. Der Stilwille unseres Autors stößt denn auch zunächst auf Unverständnis – Asinius Pollio sagt ihm nach, er habe einen Philologen beauftragt, kernige Redewendungen aus Cato zu exzerpieren. In der Tat bereichern den Wortschatz zahlreiche Entlehnungen aus Cato; archaisierend ist auch die Vorliebe für für Alliterationen. Andere Elemente weisen ›epische Färbung‹ auf.“

S. 377: „Sallusts Syntax und Stil unterscheiden sich freilich spürbar von Cato. Der Satzbau ist nicht so locker wie im Altlatein, sondern sehr straff. Stiltheoretisch läßt sich Sallust als ›Attizist‹ bezeichnen. Doch ist er wohl der einzige Autor, dem es gelungen ist, dieses Kunstprinzip mit großem sprachlichem Reichtum und ungewöhnlicher Farbigkeit zu verbinden.“

S. 377: „Sallust bemüht sich um gewichtiges, bedeutungsvolles Sprechen.“

Peter L. Schmidt, Sallustius [II 3] C. S. Crispus. IV. Drstellung und Stil. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 10: Pol - Sal. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2001, Spalte 1256 – 1257

Spalte 1257: „Der Stil, den S. als solcher Struktur angemessen entwickelt hat, steht mit seinen knappen, abrupten, inkonzinnen, zur Sentenz tendierenden Sätzen in bewußtem Gegensatz zur Glätte der ciceronianischen Periodik; sein getragener Stil (gravitas) wird von S. durch Archaismen noch erhöht […]. Stilistisches Vorbild […] ist v. a. der ältere → Cato [1], während der Einfluß des → Thukydides auch für Weltsicht und Gesch.-Auffasssung des S. prägend war.“

S. = Sallust  

v. a. = vor allem  

Gesch.-Auffasssung = Geschichtsauffasssung

DieChemikerin 
Fragesteller
 18.06.2017, 07:51

Wow, ich bin beeindruckt...tibi summas gratias ago!!!

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Das kann man so nicht sagen. Sallust verwendet genauso oft Neologismen wie Archaismen. Es ist ein Spieler, der dem Leser, der das Gängige erwartet, einen Strich durch die Rechnung macht. Das gilt nicht nur in der Grammatik, sondern auch in der Wortwahl. Diese Kapriolen Sallasuts werden inconcinnitas genannt.

Unser Lateinlehrer kannte nicht den alten Küchenlatein-Witz

SIT A USUI LATE IN ISTA PER CANES.

Ich schrieb den an die Tafel und fragte: "Herr R., wissen Sie, was das heißt?"

R.: "Das heißt nichts. Ist das von Sallust?"

Ich: "Warum?"

R.: "Weil jeder andere AB USUI schreiben würde, aber bei Sallust ist auf die Grammatik kein Verlass, dem traue ich auch 'A USUI' zu."

DieChemikerin 
Fragesteller
 17.06.2017, 12:53

Danke für die Anekdote, bei der ich mich jedoch frage, inwiefern sie meine Frage angemessen beantwortet...

Wie soll man es deiner Meinung nach denn begründen, wenn er genauso oft Neologismen wie Archaismen verwendet (ich habe bei Sallust ehrlich gesagt noch keine Neologismen gesehen)?

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ErnstPylobar  17.06.2017, 12:58
@DieChemikerin

Meine Antwort bestand nicht NUR aus der Anekdote. Die Anekdote illustriert nur das, was ich vorher schrieb. Du brauchst nur mal zu googlen um festzustellen, dass das, was ich im Lateinunterricht (in Österreich vor 40 Jahren) über Sallust gelernt habe, zutrifft, dass nämlich Sallust ein innovativer Autor ist, der mit den Wörtern und Regeln spielt. Er ist nur deshalb nicht maniriert, weil ein Autor, dessen Sätze so kurz sind wie bei Sallust, wohl nicht des Manierismus geziehen werden kann. 

Daher wäre die Antwort auf die Frage, warum er Archaismen verwendet, die: Es ist Teil seines Programms.   

Ich bin kein klassischer Philologe und kann jetzt nicht auf die Schnelle eine Liste von Neologismen Sallusts hervorzaubern. Meines Wissens gehen aber z. B. die Wörter incelebratus und incuriousus auf ihn zurück.

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nur eine Vermutung von mir, also nicht wissenschaftlich: im Catilina schreibt er doch, dass man sich mit einem Werk der Literatur unsterblich machen kann.

quoniam vita ipsa, qua fruimur, brevis est, memoriam nostri quam maxume longam efficere

Und obwohl er doch ein wirklich geschmeidiger Stilist ist, greift er bewußt auf altes Latein zurück. Vielleicht aus dem selben Grund, aus dem auch zb Bertolt Brecht schrieb: es wird wohl eine lange Zeit dauern, bis meine Vorschläge verwirklicht werden. Daher sind meine Verse in "haltbarer Sprache" verfasst.

DieChemikerin 
Fragesteller
 17.06.2017, 12:54

Das ist ein ziemlich gutes Argument, vielen Dank für deine andere und mir vorher nicht bewusste Sichtweise!

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ErnstPylobar  17.06.2017, 13:02
@DieChemikerin

Entschuldige bitte, dass ich so offen bin. Ich bin der Auffassung, dass jemand, der das Wort "Sichtweise" verwendet, kein ausgeprägtes Stilempfinden haben kann, wie man es auch braucht, um klassische lateinische Autoren goutieren zu können. Was soll das heißen: "Sichtweise". Die Weise, etwas zu sehen, wäre sozusagen die Seh-Weise - und die heißt doch im Deutschen schon "Sicht".

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DieChemikerin 
Fragesteller
 04.03.2019, 08:17
@ErnstPylobar

Auch, wenn ich den Kommentar erst jetzt sehe und du meine offene Reaktion darauf vermutlich nicht mehr wahrnehmen wirst, ist dein Kommentar meines Erachtens Unsinn. Weshalb wagst du anhand eines Wortes zu beurteilen, inwiefern ich über ein ausgeprägtes Stilempfinden verfüge oder nicht? Ich bin seit anderthalb Jahren Studentin der lateinischen Philologie und weiß mich sehr wohl auszudrücken. Zumindest haben sich meine Dozenten und Professoren bisher nicht beklagt - im Gegenteil.

Ein kleiner Tipp von mir:

https://www.duden.de/rechtschreibung/Sichtweise

Aufgrund eines Wortes auf die Kompetenz anderer, dir unbekannter Menschen zu schließen, hat nichts mit Offenheit zu tun, wie du es deklarierst, sondern mit voreiligem (Ver)Urteilen. Und diese Eigenschaft finde ich weitaus abstoßender als die Verwendung eines deutschen Substantivs, das dir ein Dorn im Auge ist.

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Der Schreiber war offenbar der Meinung, dass früher alles besser war, und wollte mit seinem ,,archaischen" Sprachgebrauch die ,,guten alten Zeiten" wieder aufleben lassen.

DieChemikerin 
Fragesteller
 17.06.2017, 12:35

Also mein Argumentationsgang im Wesentlichen - vielen Dank für deine Antwort bze. "Bestätigung", hat mir auf jeden Fall weitergeholfen! :-)

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Ja, das mit dem Sittenverfall stimmt:

Sallust sah die Zeit der Vorfahren als "goldenes Zeitalter" an und war überzeugter Anhänger der Dekadenztheorie.

Und die archaische Sprache ist Ausdruck eben dieser Überhöhung der Vergangenheit: Weil er sich den maiores im Geiste so verbunden fühlte, versuchte er, ihre Sprache zu adaptieren.

LG
MCX