Warum sind nicht alle Disaccharide reduzierende Zucker?


04.02.2025, 17:46

Und noch was: Sind alle Polysaccharide nicht reduzierende Zucker?

1 Antwort

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Fangen wir den Monosacchariden an. Das sind Aldehyde oder Hydroxymethylketone, und beide reduzieren notwendigerweise. Bei den Aldehyden ist das sowieso klar, aber die Hydroxymethylketone stehen im Alkalischen im Umlagerungsgleichgewicht zu Aldehyden, also reduzieren sie (anders als gewöhnliche Ketone) auch.

Jetzt könntest Du einwenden, daß diese Zucker in ihrer wirklichen Ringform ja gar keine Aldehyd- oder Keto-Gruppe haben, weil die unter Ringschluß zu einem Halbace­tal bzw. Halb­ketal reagieren; dabei reagiert die C=O-Doppelbindung mit einem OH von ir­gend­wo unter Ringschluß zu einem C-Atom, das gleichzeitig an eine Ether-Brücke und eine freie OH-Gruppe angeschlossen ist. An den reduzierenden Eigenschaften än­dert das aber nichts, wieder wegen irgendwelcher Gleichgewichtsreaktionen, die die­se halbacetalische OH-Gruppe leicht oxidierbar machen.

Conclusio: Ein Zucker mit einem Fragment wie C–O–C(OH)–C in einem Ring reduziert (wenn die vierte Bindung am mittleren C zu einem H führt, dann ist es ein Halbacetal, sonst ein Halbketal), und schuld daran ist das OH.

Jetzt kommen wir zu Disacchariden. Das sind keine Halbacetale sondern Vollacetale (oder Vollketale). Diese Vollacetale entstehen, indem eine OH-Gruppe von einem Zucker an die Carbo­nyl­­gruppe des anderen angebaut wird. Das ehemalige Carbonyl-C hat dann zwei Ether­brücken: Die eine macht dasselbe wie im Monosaccharid, also einen Ring inner­halb desselben Monosaccharidmoleküls; die andere führt zum zwei­ten Monosaccharid („glycosidische Bindung“). Es fehlt also die oxidierbare OH-Grup­pe der Halbacetale (bzw. -‍ketale), und deshalb reduziert diese Gruppe nicht mehr.

Aber beachte, daß zwei Monosaccharidmoleküle ja zusammen zwei oxidierbare Grup­pen, nämlich Halbacetalgruppen, haben, das Disaccharid aber nur eine Vollacetal­gruppe. Heißt das, daß eine Halbacetalgruppe übrigbleibt und das Disaccharid immer noch reduziert?

Das hängt jetzt davon ab. Ich habe ja gesagt, daß das Vollacetal aus dem Halbacetal durch Anlagerung einer weiteren OH-Gruppe aus dem zweiten Zucker entsteht. Aber wir müssen uns fragen, welche OH-Gruppe das ist.

  • Bei den meisten Disacchariden reagiert eine gewöhnliche OH-Gruppe des zweiten Monosaccharids. In diesem Fall ist die Acetalgruppe des zweiten Monosaccharids an der glycosidischen Bindung nicht beteilig und bleibt übrig, und das Disaccharid reduziert. Beispiele sind Maltose oder Lactose.
  • Es kann aber auch das halbacetalische OH zu einer glycosidischen Bindung ver­baut werden; dabei verbindet sie zentrale Etherbrücke zwei Vollacetale miteinan­der, und es bleibt keine Halbacetalgruppe übrig, die reduzieren könnte. Das ist der seltenere Fall, aber ausgerechnet Saccharose, die sehr häufig vorkommt, gehört zu diesem Typ des „nichtreduzierenden Disaccharids“.

An einer Strukturformel kannst Du das leicht erkennen. Acetale erkennt man daran, daß zwei O-Atome ans selbe C gebunden sind, und jedes Monosaccharid hat genau ein solche C-Atom, und jedes Disaccharid genau zwei (in verschiedenen Ringen). Wenn ein solches acetalisches C eine OH-Gruppe trägt, dann ist es halbacetalisch und reduziert, aber wenn es nur OR-Reste hat, dann ist es vollacetalisch und reduziert nicht. Ein einziger reduzierender Rest reicht aber aus, daß das ganze Molekül reduzie­rend wirkt, also den Fehling- oder Tollens-Test gibt.

Sehen wir uns das an einem Beispiel an, nämlich an Maltose und Trehalose. Beide bestehen aus zwei Glucosemolekülen, die aber unterschiedlich verbinden sind:

Wir suchen die acetalischen C-Atome (die mit zwei O-Nachbarn). Bei der Maltose sieht das so aus:

Bild zum Beitrag

Links sehen wir eine Vollacetalgruppe, rechts eine Halbacetalgruppe (die Verbindung ist 1→4, also das Aldehyd-C (Nummer 1) des ersten Glucosemoleküls reagiert mit der OH-Gruppe am vierten C des zweiten Glucosemoleküls). Die zweite Halbacetalgruppe ist also noch frei, und der Zucker reduziert.

Aber bei der Trehalose sieht das anders aus:

Bild zum Beitrag

Hier siehst Du, daß die beiden acetalischen C-Atome der beiden Glucosemoleküle direkt über eine Etherbrücke verbunden sind (1→1), es sind also beides Vollacetale (es gibt keine halbacetalische OH-Gruppe) und der Zucker hat keine reduzierende Gruppe mehr.

P.S.: Deine Zusatzfrage solltest Du Dir jetzt selbst beantworten können. In n Mole­kü­len eines Monosaccharids gibt es n reduzierbare Halbacetalgruppen, aber in einem einem n-‍Saccha­rid werden mindestens (n−1) davon für nichtreduzierende glycosi­di­sche Bindungen verbraucht, und maxi­mal eine freie halb­aceta­lische OH-Gruppe über­lebt. Bei einem Poly­saccharid (n→∞) fällt diese eine Halbacetalgruppe nicht ins Ge­wicht, also kann es nicht reduzieren.

P.P.S.: Im Lauf des Schreibens dieses langen Textes bin ich dazu übergegangen, die Ketale sprachlich unter den Tisch fallen zu lassen, damit ich nicht immer eine Doppel­formulierung verwenden muß. Tatsächlich sind aber (Halb)Ketale bei den (Halb)Ace­talen immer mitgemeint, aller political correctness zum lauten Trotze.

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Inkognito-Nutzer   04.02.2025, 21:52

Mega, danke 🙏

Den ⭐️ hast du schon