Warum sind nicht alle Disaccharide reduzierende Zucker?
Reduzierende Zucker sind Zucker die sich von der Ringform wieder in die offenkettige Form umwandeln können. Wenn bei Disacchariden nur ein anomeres Zentrum an der glykosidischen Bindung beteiligt ist, ist das der Fall. Wenn beide anomeren Zentren an der glykosidischen Bindung beteiligt sind, ist es nicht mehr möglich die Ringe wieder zu trennen und dann in die offenkettige Form umzuwandeln
Warum ist das so?
Warum müssen die anomeren Zentren beide an der glykosidischen beteiligt sein damit der Zucker nicht mehr umgewandelt werden kann?
Und noch was: Sind alle Polysaccharide nicht reduzierende Zucker?
1 Antwort
Fangen wir den Monosacchariden an. Das sind Aldehyde oder Hydroxymethylketone, und beide reduzieren notwendigerweise. Bei den Aldehyden ist das sowieso klar, aber die Hydroxymethylketone stehen im Alkalischen im Umlagerungsgleichgewicht zu Aldehyden, also reduzieren sie (anders als gewöhnliche Ketone) auch.
Jetzt könntest Du einwenden, daß diese Zucker in ihrer wirklichen Ringform ja gar keine Aldehyd- oder Keto-Gruppe haben, weil die unter Ringschluß zu einem Halbacetal bzw. Halbketal reagieren; dabei reagiert die C=O-Doppelbindung mit einem OH von irgendwo unter Ringschluß zu einem C-Atom, das gleichzeitig an eine Ether-Brücke und eine freie OH-Gruppe angeschlossen ist. An den reduzierenden Eigenschaften ändert das aber nichts, wieder wegen irgendwelcher Gleichgewichtsreaktionen, die diese halbacetalische OH-Gruppe leicht oxidierbar machen.
Conclusio: Ein Zucker mit einem Fragment wie C–O–C(OH)–C in einem Ring reduziert (wenn die vierte Bindung am mittleren C zu einem H führt, dann ist es ein Halbacetal, sonst ein Halbketal), und schuld daran ist das OH.
Jetzt kommen wir zu Disacchariden. Das sind keine Halbacetale sondern Vollacetale (oder Vollketale). Diese Vollacetale entstehen, indem eine OH-Gruppe von einem Zucker an die Carbonylgruppe des anderen angebaut wird. Das ehemalige Carbonyl-C hat dann zwei Etherbrücken: Die eine macht dasselbe wie im Monosaccharid, also einen Ring innerhalb desselben Monosaccharidmoleküls; die andere führt zum zweiten Monosaccharid („glycosidische Bindung“). Es fehlt also die oxidierbare OH-Gruppe der Halbacetale (bzw. -ketale), und deshalb reduziert diese Gruppe nicht mehr.
Aber beachte, daß zwei Monosaccharidmoleküle ja zusammen zwei oxidierbare Gruppen, nämlich Halbacetalgruppen, haben, das Disaccharid aber nur eine Vollacetalgruppe. Heißt das, daß eine Halbacetalgruppe übrigbleibt und das Disaccharid immer noch reduziert?
Das hängt jetzt davon ab. Ich habe ja gesagt, daß das Vollacetal aus dem Halbacetal durch Anlagerung einer weiteren OH-Gruppe aus dem zweiten Zucker entsteht. Aber wir müssen uns fragen, welche OH-Gruppe das ist.
- Bei den meisten Disacchariden reagiert eine gewöhnliche OH-Gruppe des zweiten Monosaccharids. In diesem Fall ist die Acetalgruppe des zweiten Monosaccharids an der glycosidischen Bindung nicht beteilig und bleibt übrig, und das Disaccharid reduziert. Beispiele sind Maltose oder Lactose.
- Es kann aber auch das halbacetalische OH zu einer glycosidischen Bindung verbaut werden; dabei verbindet sie zentrale Etherbrücke zwei Vollacetale miteinander, und es bleibt keine Halbacetalgruppe übrig, die reduzieren könnte. Das ist der seltenere Fall, aber ausgerechnet Saccharose, die sehr häufig vorkommt, gehört zu diesem Typ des „nichtreduzierenden Disaccharids“.
An einer Strukturformel kannst Du das leicht erkennen. Acetale erkennt man daran, daß zwei O-Atome ans selbe C gebunden sind, und jedes Monosaccharid hat genau ein solche C-Atom, und jedes Disaccharid genau zwei (in verschiedenen Ringen). Wenn ein solches acetalisches C eine OH-Gruppe trägt, dann ist es halbacetalisch und reduziert, aber wenn es nur OR-Reste hat, dann ist es vollacetalisch und reduziert nicht. Ein einziger reduzierender Rest reicht aber aus, daß das ganze Molekül reduzierend wirkt, also den Fehling- oder Tollens-Test gibt.
Sehen wir uns das an einem Beispiel an, nämlich an Maltose und Trehalose. Beide bestehen aus zwei Glucosemolekülen, die aber unterschiedlich verbinden sind:
Wir suchen die acetalischen C-Atome (die mit zwei O-Nachbarn). Bei der Maltose sieht das so aus:
Links sehen wir eine Vollacetalgruppe, rechts eine Halbacetalgruppe (die Verbindung ist 1→4, also das Aldehyd-C (Nummer 1) des ersten Glucosemoleküls reagiert mit der OH-Gruppe am vierten C des zweiten Glucosemoleküls). Die zweite Halbacetalgruppe ist also noch frei, und der Zucker reduziert.
Aber bei der Trehalose sieht das anders aus:
Hier siehst Du, daß die beiden acetalischen C-Atome der beiden Glucosemoleküle direkt über eine Etherbrücke verbunden sind (1→1), es sind also beides Vollacetale (es gibt keine halbacetalische OH-Gruppe) und der Zucker hat keine reduzierende Gruppe mehr.
P.S.: Deine Zusatzfrage solltest Du Dir jetzt selbst beantworten können. In n Molekülen eines Monosaccharids gibt es n reduzierbare Halbacetalgruppen, aber in einem einem n-Saccharid werden mindestens (n−1) davon für nichtreduzierende glycosidische Bindungen verbraucht, und maximal eine freie halbacetalische OH-Gruppe überlebt. Bei einem Polysaccharid (n→∞) fällt diese eine Halbacetalgruppe nicht ins Gewicht, also kann es nicht reduzieren.
P.P.S.: Im Lauf des Schreibens dieses langen Textes bin ich dazu übergegangen, die Ketale sprachlich unter den Tisch fallen zu lassen, damit ich nicht immer eine Doppelformulierung verwenden muß. Tatsächlich sind aber (Halb)Ketale bei den (Halb)Acetalen immer mitgemeint, aller political correctness zum lauten Trotze.


Mega, danke 🙏
Den ⭐️ hast du schon