Warum haben so viele Schulabgänger keinen Plan wie es danach weiter geht?

6 Antworten

Meistens ist die Berufsorientierung in den Schulen sehr schlecht und oberflächlich, zumal auch nur wenig Zeit zur Verfügung steht und das etwa in der Realschule in drei Wochen im Gemeinschaftskunde-Unterricht à zwei Wochenstunden plus einwöchigem Praktikum und Besuch im Berufsinformationszentrum (BIZ) der Agentur für Arbeit abgehakt hat. Was will man denn da schon großartig lernen, wenn man alles im Zeitraffer anreißt und den Rest das "Beruf aktuell"-Heft mit seinem unattraktiven Zeitungspapier erklären soll?! So war das bei uns Ende 2005 auch und so richtig wusste 2006/07 keiner, was er werden wollte ... auch ich habe mehr oder weniger deswegen Industriekaufmann gelernt, weil das Kriterium war, dass es vor Ort war und mit dem Fahrrad erreichbar.

Außerdem haben die Kiddies mit 15/16 meist auch andere Interessen, als sich im Privatleben ausgiebig mit der Frage zu beschäftigen, was man werden möchte. Teilweise sind aber die Materialien der Agentur für Arbeit absolut gestrig und holen die Jugendlichen nicht im Geringsten ab. Nicht zu vergessen ist die oftmals demotivierte "Beratung" der dortigen Kaffeetrinker - wirklich brauchbare und wertvolle Aufbauhilfe leisten am ehesten die kirchlichen Bildungsträger (Kolping, Caritas oder Diakonie .... je nachdem, was es halt vor Ort gibt), aber die sind vielen leider unbekannt.

Bildungsferne Elternhäuser sind auch ein Dauerthema, aber nicht so extrem wie oft angenommen. Auch Jugendliche aus sehr seriösen Familien haben immer wieder Findungsprobleme ... die Pubertät mit all ihren Problemen spielt da ebenfalls mit rein. Viele Jugendliche wissen da schon an sich nicht mehr, wo links ist und wo rechts ist ... die sind dann erst recht damit überfordert, aus der Fülle an Berufsangeboten eines auszuwählen, das passend sein könnte.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Vroni05  01.09.2021, 18:20

Genau richtig. Und dazu kommt halt aktuell noch Corona, bei uns sind bereits mehrere Praktika ausgefallen und die Berufsberatung kam deshalb auch seit knapp 2 Jahren nicht mehr an unsere Schule. Es wird selten darüber geredet und wenn, auch nur dass man sich mal überlegen soll welcher Beruf zu einem passen könnte. Ja, und woher soll ich das wissen, wenn ich nur einmal einen Tag die Eltern begleitet habe? Kann man nicht wissen, weil man schlicht keine Berufserfahrung gesammelt hat.
Bei uns in der Stufe gibt es mit viel Glück 5 Personen die wissen was sie machen wollen, der Rest hat gewisse Vorstellungen, die aber auch nur vielleicht, weil man den Anforderungen für die Ausbildung/das Studium nicht bewusst ist

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rotesand  01.09.2021, 18:24
@Vroni05

Mir sagte mal eine sehr erfahrene Realschullehrerin, die mittlerweile pensioniert ist -----> die Kiddies sind mit Mitte neunter Klasse aus dem Gröbsten raus. Das heißt im Klartext: Sie sind dann wieder gebrauchsfähig und etwas bräver bzw. leichter beschulbar als vorher, aber Entscheidungen dieser Tragweite kriegen sie allein immer noch nicht hin.

Man glaube nicht, dass eine Woche Praktikum hilfreich ist und diese Pamphlets der Arbeitsagentur sind auch kaum eine Hilfe. Das war zu meiner Zeit (Jahrgang 1990/91) schon altertümliches Behördendeutsch auf stark holzhaltigem Recyclingpapier; pure Beamtenidylle - das ist heute nicht anders, sieht man von der etwas besseren Papierqualität ab.

Früher war das Grundthema übrigens vom Ding her genauso wenn man den Nachwuchs gefragt hätte, aber da lernte der kleine Hans nach der Schule halt ganz einfach Bäcker, Werkzeugmacher oder Schreiner in der Firma, in der auch der Opa schon lernte (was Gesetz war und schon zehn Jahre vorher feststand; es war egal ob der kleine Hans das nun wollte oder nicht) - und die kleine Monika wurde nach der Schule entweder Erzieherin, Näherin, Schneiderin, Krankenschwester oder Metzgerei- bzw. Bäckereifachverkäuferin - viele andere Alternativen gab es einfach nicht und so trügt das Bild auch einfach.

Heute gibt es in jeder Hinsicht - nicht nur beruflich - so viele Optionen, dass das Ganze auch schier unerschöpflich ist.

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die Schule ist kein 24 Stunden Job bei dem man sonst keine Zeit für was anderes hat

... das habe ich anders wahrgenommen. Schule geht samt Hin- und Rückweg von 7:30 Uhr bis 16 oder 17 Uhr. Hausaufgaben in der Oberstufe beanspruchen manchmal drei Stunden, plus Lernen vier oder fünf. Dann hat man noch gut eine Stunde fürs Essen oder einem Hobby nachzugehen bevor es um 23 Uhr wieder ins Bett geht. Ich habe - abgesehen von Ferien und Wochenenden - von der siebten bis zur zwölften Klasse keine Freunde getroffen, keinen Verein besucht oder sonst etwas gemacht, was mich mal von der Schule abgelenkt hätte. Es ist ein 24-Stunden-Job.

Was der Grund für die Perspektivenlosigkeit heutzutage ist, weiß ich auch nicht genau. Bei mir ist es zwar so, dass ich eine grobe Vorstellung von dem habe, was ich machen möchte, aber mich noch nicht zu 100% zwischen drei Berufen entscheiden kann. Ich kenne aber auch Leute, die letztes Jahr mit mir Abitur gemacht haben und jetzt aus Verzweiflung erstmal in Supermärkten Regale auffüllen oder ein Auslandsjahr machen wollen, bis sie wissen, ob und was sie studieren wollen.

Vielleicht haben wir heutzutage einfach zu viele Möglichkeiten, ich glaube aber eher, dass es daran liegt, dass uns die Schule zu schlecht aufs Berufsleben vorbereitet hat (Bewerbungstraining wurde irgendwie an einem Thementag abgehandelt und als es nochmal im Deutschunterricht aufgegriffen werden sollte, entschied sich unsere Lehrerin, in Elternzeit zu gehen). Alles, was ich über Politik, Steuern, Versicherungen, den Umgang mit Finanzen, das Schreiben von Bewerbungen und Lebensläufen, usw. weiß, habe ich mir mit Hilfe des Internets oder meiner Eltern selbst angeeignet. Meiner Meinung nach wird in den Schulen der Fokus auf die falschen Dinge gesetzt. Uns wird Wissen eingeprügelt, dass wir zu 90% nie wieder brauchen, aber die wichtigen Dinge werden irgendwann einfach von uns erwartet.

christl10 
Fragesteller
 01.09.2021, 18:43

Ich habe nur die Mittlere Reife und ich hatte nach der Schule jede menge Freizeit zum Tod schlagen und eminen Beruf habe ich mir beim Arbeitsamt ohne Internet, denn das gab es damals nicht innerhalb von 1 Stunde heraus gesucht, den dann auch bekommen und Karriere gemacht. Was für ein Geschiss von den Schülern heute gemacht wird mit FSJ und so kann ich nicht verstehen.

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Yemxki002  01.09.2021, 18:48
@christl10

Bei meiner Mutter war es genauso: Ihre Schwester wurde schwanger, also musste sie mit 18 ausziehen und sofort alleine klarkommen. Sie hat das Nächstbeste gelernt und angefangen, in einem schlecht bezahlten Beruf zu arbeiten, anstatt zu studieren, wie sie es eigentlich vorhatte. Und nun hat sie ein Burnout, ist durchgehend gestresst, schlecht gelaunt und finanziell von meinem Vater abhängig.

Ich will so nicht enden und gehe deshalb sicher, dass mein Beruf der richtige für mich ist und mir auch auf lange Sicht noch Spaß macht. Vielleicht hattest du Glück, diese wichtige Entscheidung innerhalb einer Stunde treffen zu können, manche brauchen dafür aber eben Monate oder Jahre.

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christl10 
Fragesteller
 01.09.2021, 18:54
@Yemxki002

Beim Test kam was kaufmännisches raus. Hatte die Auswahl: Versicherung oder Bank und ich habe mich für den Bankkaufmann entschieden. In der Ausbildung habe ich dann alle Tätigkeiten kennen gelernt. Es ist nicht so daß mir alle Tätigkeiten zugesagt haben, denn viele mochte ich einfach nicht, dennoch ist der Beruf so vielfältig, daß ich mich in Wertpapiere spezialisiert haben und eine steile Karriere bis zum Prokuristen gemacht habe. Das beste was ich zu der Zeit tun konnte. Somit doch alles richtig gemacht. Hätte ich die Aufgabe die mir gefällt nicht gefunden hätte ich ganz bestimmt den Beruf gewechselt.

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Zocken ist einfacher als denken und womöglich noch über sich nach...

Unholdi  01.09.2021, 18:52

Heuer meinte ein Vertreter des Handwerks, es liegt daran, das das Arbeitsamt seinen Job nicht macht - ich halte das für fragwürdig, weil die noch nie wussten was Sache ist.

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Man wird mit Informationen überschwemmt, sodass man eigentlich gar nicht mehr weiß was man grundsätzlich machen sollte.

Naja, diese Orientierungslosigkeit fängt doch schon im Elternhaus an. Das beginnt schon sehr früh damit, dass Kinder nicht optimal gefördert werden, an ihnen vorbei entschieden wird, sie kein Mitspracherecht in der Familie haben, oder nicht ernst genommen werden. Die Erziehungsaufgabe wird heute doch zu 45% der Schule und zu 45% dem Internet überlassen. 10 % übernehmen die gestressten berufstätigen Eltern, in dem sie wieder die Entscheidungen für ihre Kinder treffen.

christl10 
Fragesteller
 01.09.2021, 18:39

Wir konnten unseren Kindern auch keinen Rat geben. Sie mußten selbst heraus finden was sie machen wollen. Was nützt denn ein Rat, wenn es nicht paßt oder gefällt?

Selbst habe ich mir damals meinen Beruf auch alleine heraus gesucht und das damals alles ohne Internet.

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windsbraut0307  01.09.2021, 18:43
@christl10

Hm, ich habe meine Tochter aufwachsen sehen, ihre Interessen und Vorlieben gefördert, immer wieder Angebote gemacht, sie möglichst viel ausprobieren lassen und so haben sich ihre Stärken, Schwächen, Neigungen, Vorlieben allmählich heraus kristallisiert. Ich habe sie bestärkt, gelobt, eingebremst und beraten. Es war dann für sie, Jahre vor dem Abi klar, was sie beruflich machen möchte und das hat sie durchgezogen und ich habe sie dabei nach Kräften unterstützt.

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christl10 
Fragesteller
 01.09.2021, 18:45
@windsbraut0307

Mein Vater hat nur gesagt ich sollte was besseres aus meinem Leben machen und deshalb darf ich auch zur Schule. Mein Vater war sein Leben lang Hilfsarbeiter in einer Papierfabrik, weil er nicht so gut lesen und schreiben konnte.

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