Sollte Deutschland einen Paradigmenwechsel vollziehen, anstatt Wohlstand durch Export zu generieren, die heimische Nachfrage zu steigern?
Indem man die Kaufkraft der eigenen Bürger stärkt? China war lange Zeit ein großer Absatzmarkt für deutsche Produkte? Davon konnte Deutschland lange profitieren. Aber China deckt immer mehr der eigenen Nachfrage durch eigene Produkte. Durch die Entwicklung in China leidet dieses Geschäftsmodell nun. Man hatte sich in gewisser Weise abhängig gemacht davon, dass im Ausland deutsche Produkte gekauft werden. Um im Konkurrenzkampf mitzuhalten müssen die eigenen Mitarbeiter so günstig wie möglich sein. Dadurch werden die Menschen quasi wie Arbeitssklaven für den Erfolg der Firmen im Ausland. Die Menschen bei uns werden immer ärmer. Ist es nicht besser, einen Paradigmenwechsel zu vollziehen, die heimische Nachfrage zu stärken, um für Absatz zu sorgen? Dafür müsste es den Leuten hier natürlich deutlich besser gehen.
Ich denke so ein Paradigmenwechsel, etwas mehr weg von Export zu gehen und die heimische Nachfrage zu stärken, sollte möglich sein, auch wenn es Zeit braucht.
Kanada und Australien haben z.B. eine ausgeglichene Außenhandelsbilanz
2 Antworten
Seit den 1990er Jahren hat Deutschland einen Leistungsbilanzüberschuss: Die inländischen Akteure nehmen mehr Geld ein, als sie ausgeben. Sie exportieren mehr, als importiert wird.
Das erfordert, dass Investitionen aus dem Ausland kommen müssen und hat zur Folge, dass wir stark vom Ausland und unseren Exporten abhängig sind. Bei externen Schocks in den Distributionswegen, Lieferketten oder stärker werdender, ausländischer Konkurrenz, können wir in große Probleme laufen. Protektionismus funktioniert nur innerhalb des eigenen Wirtschaftssystems. Wir können das Ausland z.B. nicht zwingen, Strafzölle auf chinesische Autos zu erlassen, nur weil chinesische Autos immer besser werden.
Die BerechnungsgrundlageGehen wir dem mathematisch einmal auf den Grund. Die folgende Gleichung der sog. ökonomischen Identität definiert das Leistungsbilanzsaldo (L):
- S := Gesamtersparnis der privaten, inländischen Akteure (monetärer Überschuss von Unternehmen und Haushalte, der nicht in Realinvestitionen überführt wird)
- H := Haushaltssaldo des Staates (Steuereinnahmen abzüglich Staatsausgaben, die nicht mittelbar zur Erhöhung der Produktionskapazität beitragen, z.B. Sozialleistungen.)
- I := Investitionen aller inländischen Marktakteure (Unternehmen, Privathaushalte, Staat)
- L:= Leistungsbilanzsolda. Das ist der Saldo aus Exporten und Importen von Waren und Dienstleistungen. Ein Leistungsbilanzüberschuss bedeutet, dass das Land mehr exportiert als importiert, und ein Defizit bedeutet, dass es mehr importiert als exportiert.
Eine gesunde, robuste Volkswirtschaft hat ein im Vergleich zum internationales Wettbewerb (leicht überdurchschnittlich) steigendes Bruttoinlandsprodukt und idealerweise eine neutrale Leistungsbilanz, die Abhängigkeiten entgegenwirkt.
Interpretation und UrsachenanalyseIn den 1990ern war Deutschland schon mal der "kranke Mann Europas". Gründe dafür: hohe Arbeitslosigkeit, stagnierende Wirtschaft, und fehlende Wettbewerbsfähigkeit. Die Agenda 2010 wurde dann als "Lösung" präsentiert, aber das war eher eine Art Chemotherapie – sie hat Symptome behandelt, aber nicht die Ursachen angegangen.
Die eigentlichen Ursachen liegen im Moral Hazard: Unternehmen haben sich auf alte Geschäftsmodelle verlassen, weil sie durch Subventionen und staatliche Rahmenbedingungen kaum Anreize hatten, neue Wege zu gehen. Gleichzeitig hemmen Bürokratie, hohe Energiepreise, hohe Steuern für nicht subventionierte Unternehmen und die hohe Abgabenlast für Fachkräfte genau die Innovationen, die nötig wären, um frische Geschäftsideen und Disruption zu ermöglichen.
Statt echte Innovationen zu fördern, hat man den Niedriglohnsektor ausgebaut, den Export noch stärker in den Fokus gerückt und auf kurzfristige Effekte gesetzt. Langfristig hat das aber dazu geführt, dass die Inlandsnachfrage schwach bleibt, die Infrastruktur zerfällt und die Wettbewerbsfähigkeit in neuen Technologiefeldern wie Digitalisierung, KI und E-Mobilität vernachlässigt wurde.
Dieses Festhalten an alten Modellen macht uns anfällig: Unternehmen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, werden irgendwann feststellen, dass es zu teuer wird, hier zu bleiben – und wandern ab, wie wir gerade am eigenen Leib erfahren. Das gleiche bei Fachkräften: Insb. technische Jobs (z.B. IT, Maschinenbau) werden in Deutschland relativ gering geschätzt. Im Ausland (USA, Schweiz, Singapur) können viel höhere Einkommen erzielt werden. Die Besten verlassen Deutschland.
Szenarien zur Ausbalancierung der LeistungsbilanzWas bleibt also realistisch, um L auszugleichen? Dazu müssen wir sowohl die , aber auch genauso die betriebswirtschaftliche, unternehmerische Seite beleuchten. Der Einbezug beider Welten in einer sog. mikrofundierten Sicht, wird von vielen Ökonomen oft vernachlässigt.
Was muss also volkswirtschaftlich geschehen? -> Investitionen erhöhen und Binnenwirtschaft stärken.
Um L auszugleichen und robuster zu werden, müssen wir mehr investieren:
- Steuererhöhungen und Direktinvestition durch den Staat: Eine Möglichkeit wäre, den Privatakteuren mehr Steuern aufzulasten, die dann zweckgebunden in Investitionen (z.B. Infrastruktur) überführt werden (S verringern, I erhöhen). Dies würde in Deutschland, welches jedoch bereits ein Hochsteuerland ist, nicht gut angenommen werden. Möglicherweise würden auch noch mehr Unternehmen und Fachkräfte abwandern, was langfristig mehr Armut hervorruft. Es schadet unserem komparativen Wettbewerbsvorteil also eher mehr, als dass es Nutzen hat.
- Investitionen durch den Staat durch Staatsverschuldung: Wir lockern die Schuldenbremse und geben viel mehr Geld für Infrastruktur aus, die mittelbar unsere Produktionskapazitäten erhöht. Der Staat erneuert Straßen, Schulen, baut Immobilien, investiert in die Wirtschaft etc. Da der Staat jedoch nachweislich nicht gut darin ist, Mittel effizient zu allokieren, ist das Risiko für Fehlinvestitionen und letztlich Güterpreisinflation relativ hoch. Insb. dann, wenn Nicht-Experten über Wirtschafts- und Finanzpolitik entscheiden. Die Folge ist Inflation, Blasenbildung, Enteignung der Mehrheit.
- Investitionen durch Privathaushalte: Wie gesagt, ist dies nicht die eigentliche Aufgabe von Privatpersonen. Deren Job ist es in erster Linie, zu konsumieren. Jedoch könnte man als Staat ggf. kluge Anreize setzen, dass Bürger weniger Sparen und mehr investieren. Dies kann man erreichen, wenn man die Abgaben der arbeitenden Bevölkerung senkt, Bürokratie abbaut und den Menschen z.B. ermöglicht, mehr Immobilien zu bauen. Das ist sowieso dringend erforderlich. Wir Deutschen haben mit die geringste Eigentumsquote in der EU. Zudem wird auch auf diese Weise die Binnenwirtschaft gestärkt und die Menschen würden mehr importieren (-> L wird verringert).
Unternehmen müssen mehr investieren: Das wäre der gesündeste und nachhaltigste Weg. Hierzu müssen die Hürden und Nebenbedingungen (Energie, Abgaben, Bürokratie) allerdings massiv abgebaut werden. Ebenso müssen Subventionen verschwinden, insb. solche in Geschäftsmodelle des letzten Jahrtausends, in denen der Staat teilw. stark involviert ist (z.B. VW). Es müssen wieder mehr Anreize her, dass zukunftsorientierte Unternehmen ihre Produktionskapazitäten in Deutschland belassen und ausbauen.
Innovative Technologien und Dienstleistungen müssen in Deutschland in Geschäftsmodelle überführt werden. Politische und wirtschaftliche Unsicherheiten müssen möglichst abgebaut werden. Unternehmen benötigen Stabilität.
... und aus politischer Sicht?Wir müssen aufhören mit der ständigen Partei- und kurzsichtigen Tagespolitik. Andere Länder erfolgreiche Länder (BRICS, China) zeigen, dass man über Legislaturperioden hinaus denken muss und zweitens, dass man wirkliche Experten in den Ministerien einsetzen muss, die mit Sachverstand und ideologiefrei einsehen, dass der bisherige Kurs so nicht weitergeht. Es braucht eine klare Roadmap, um auch die Unsicherheiten und staatlich verschuldeten Lasen bei den Unternehmen zu reduzieren.
Ich halte Goethe Faust für treffender:
In jeder Art seid ihr verloren; –
Die Elemente sind mit uns verschworen,
Und auf Vernichtung läuft’s hinaus.