Muss man nach Kant wirklich immer die Wahrheit sagen?
Der imperativ zur Maxime: "Ich sage immer die Wahrheit" lautet zB "Alle sollen immer die Wahrheit sagen", richtig? Diesen Imperativ soll ich nach Kant anerkennen, weil ich vernunftbegabt bin und ich würde ja selber nicht wollen, dass mich jemand anlügt. Aber unter der Vorraussetzung, dass eine Lüge mir gegenüber allen beteiligten hilft, sollte ich das doch theoretisch wollen können. Also sollte der Imperativ lauten: "Sage stets, dass, was allen hilf". "Was allen hilft" muss da ja nicht zwangsläufig die Wahrheit sein, oder?
5 Antworten
Die Normenüberprüfung nach Kant funktioniert vereinfacht nach seinem Sittengesetz wie folgt:
"Handle so, dass die Maxime deines Handelns universelles Gesetz werden könnte."
Dabei sind dann (wegen universell) sowohl die weltlichen Voraussetzungen als auch die Konsequenzen irrelevant. Ob das also jemandem hilft, ist hierbei irrelevant.
Also geht man folgende Schritte durch.
1.) Arbeite aus einer Handlung die Maxime heraus. Aus einer Notlüge beispielsweise. Die Maxime dahinter ist "Ich darf lügen."
2.) Bilde das universelle Gesetz daraus: "Jeder darf immer, egal wann und wo lügen."
3.) Überlege, ob das wirklich universelles Gesetz sein sollte. "Soll wirklich jeder zu jeder Zeit immer, egal wann und wo und wie lügen dürfen?"
Diese Antwort wäre nach Kant mit Nein zu beantworten, deswegen darf man niemals lügen.
Und da ist die kleine Inkorrektheit. Das basiert nicht, wie du schreibst, auf Gegenseitigkeit: "ich würde ja selber nicht wollen, dass mich jemand anlügt". Die Goldene Regel "Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu." deklassifiziert Kant als nicht-kategorisch, weil das subjektiv mit dem Willen einer Person zu tun hat.
Die moralische Entscheidung soll nur auf logischer Universalisierbarkeit basieren.
Also: Ich darf auf dem nach hauseweg musik hören
Man darf musik hören
Alle dürfen immer musik hören?
Nein
Also darf ich nie musik hören?
Wie rechtfertigt kant das?
Genau.
Hypothethische Imperative sind keine echten moralischen Grundsätze, da sie ja nur gelten, wenn man ein bestimmtes Ziel verfolgt oder nur unter bestimmten Umständen handelt.
Das kommt von Kants allgemeinem Verständnis von Erkenntnis. Kant hält alle Erkenntnis aus der "realen Welt", also der Welt der Dinge, Erscheinungen und Phänomene für bestenfalls unzuverlässig, wir könnten uns täuschen oder jeder kann eine andere Wahrnehmung haben.
Deswegen sagt Kant, dass echtes Wissen, welches zu 100% zuverlässig ist, nur aus der Logik kommt, denn diese gelte unabhängig der Erscheinungswelt in der Welt der Logik, der Welt der Ideen, der intelligiblen Welt.
Und Moral müsste eben auch, um universell gültig zu sein, auch aus der Welt der Logik kommen und die Logik hat eben nur das eine Mittel, zu prüfen, ob etwas gut oder böse ist, nämlich es anhand der Unversalisierbarkeit zu prüfen.
Ist die Maxime einer Handlung logisch universalisierbar? Wenn ja, ist sie ein kategorischer Imperativ, laut Kant. Beispiele nach Kant waren:
- Immer die Wahrheit sagen, er hält Lügner für schlechter als Tiere, da sie sich mit Absicht gegen die Vernunft entscheiden, obwohl sie die Vernunft haben.
- Kein Mensch darf nur als Mittel zum Zweck verwendet werden ist ein anderer kategorischer Imperativ nach Kant.
Quelle dieser Kenntnisse: Originaltexte von Kant aus:
http://www.fachverband-ethik.de/fileadmin/daten_bawue/dateien/unterrichtsmaterialien/Reader-Kant.pdf
Vielen Dank für die ausführlichen Antworten
- Der Kantsche Imperativ lautet, dass man sich selbst so verhalten soll, wie man es zur Maxime für das Verhalten aller erheben könnte.
- Wenn du meinst, dass "alle sagen immer die Wahrheit" keine gute Maxime ist, dann musst du auch selbst nicht immer die Wahrheit sagen. So könntest du zum Beispiel selbst empfinden "Notlügen sind erlaubt" und wenn du diese Maxime für alle ebenfalls wünschenswert hältst, dann passt das. Wenn du also glaubst, dass auch Notlügen dir gegenüber richtig wären, dann entspricht das genau der Maximen-Forderung von Kant.
- Der Kantsche Imperativ ist keineswegs immer eindeutig anwendbar und verschiedene Personen können zu unterschiedlichen Maximen gelangen, wenn sie unterschiedlich empfinden.
- Der Kantsche Imperativ ist ohnehin nur eingeschränkt anwendbar. Es sollen ja auch nicht alle den gleichen Beruf haben oder das gleiche essen wollen oder gleiche Haus bewohnen wollen. Bei Kant geht es bezüglich dieser Maxime überwiegend um Moral, nicht um Verhaltensweisen aller Art.
Ja musst du. Scheißegal welche Folgen es hat
Statt Maxime im obersten Bsp. würde ich Tugend sagen, dann auf Kardinaltugenden (Steigerung) überschwenken um eine Wertung der Tugenden zu erhalten.
Nur weil ich die Maxime habe, bedeutet es auch nach Kant nicht, dass ich diese als Regel für alle haben wollte. Dann würde die Maxime heißen: Die Wahrheit ist hoch angesiedelt, was aber allen hilft noch höher (wobei es nichts gibt was allen hilft)".
Deine Tugend: Ich sage stets die Wahrheit.
Kardinaltrugend: ich sage die Wahrheit, sofern es niemanden schadet o.ä.
Maxime: Die Wahrheit sagen. Niemanden Schaden. (Werten)
Imperativ: Sprich nicht die Unwahrheit, aber verletze auch niemanden o.ä.
Aber es darf ja auch ruhig einen ethischen konflikt geben, deswegen reden wir ja drüber... seit 3000 Jahren.
,,nicht lügen" heißt nicht unbedingt ,,die Wahrheit sagen" Man kann auch schweigen oder ausweichen, wenn es der Sache dient.
Das der Imperativ nicht kategorisch ist, weiß ich. Kant erwähnte in einem Text, den wir mal im Unterricht gelesen hatten auch hypothetische Imperative, welchen eine Bedingung zu Grunde liegt. Also sind diese hypothetischen Imperative nach Kant keine richtigen moralischen Grundsätze?