Kind liest Endung zuerst?

4 Antworten

Hallo

Das Problem ist eine falsche Lesestrategie. Normalerweise werden beim Lesen mehrere Buchstaben auf einmal erkannt. Die genaue Anzahl hängt dabei von 3 Faktoren ab:

  1. Das menschliche Auge sieht ca. 6-7 Buchstaben in einer normalen Schriftgröße ausreichend scharf für das Lesen (Bereich schärfsten Sehens)
  2. Wir haben allen ein variables Aufmerksamkeitsfeld, in dem wir wirklich etwas wahrnehmen. Unter Stress wird es oft kleiner (Tunnelblick) und kann sich so weit verkleinern, dass nur noch 2 Buchstaben hineinpassen. Kinder, die nicht oder nur schlecht lesen können haben oft großen Stress => Aufmerksamkeitsfeld ist sehr klein.
  3. Jeder Mensch kann nur eine bestimmt Anzahl an Objekten auf einmal in seinem Gesichtsfeld also solche erkennen (hier die Buchstaben). Diese Fähigkeit hängt unter anderen auch vom Alter, also der Hirnentwicklung ab.

Der kleinste Wert "gewinnt" hier.

=> Die gute Nachricht hier: Diese Fähigkeiten können leicht trainiert werden.

Das Auge muss jetzt so über den Text bewegt werden, dass alle Buchstaben abgedeckt werden, dabei muss auch lange genug hingesehen werden. Je nach Alter, Übung etc. sind das ca. 50 ms bis hinauf zu 500 ms.

Werden die Augen korrekt bewegt, so erkennt man das an systematischen Sprüngen in Leserichtung, also bei uns von links nach rechts. Siehe verlinktes Video weiter unten.

Jetzt zu deinem Sohn: Viele Kinder (und auch Erwachsene (!)) kommen aus dem buchstabierenden Lesen nicht heraus. Oft merken Sie sich das "Foto" des Wortes und buchstabieren es aus dem Gedächtnis. Das kostet sehr viel Kraft und oft wird auch der Sinn nicht verstanden, einfach weil keine Aufmerksamkeitsleistung dafür übrig bleibt.

Was du mit deinem Sohn machen must, um das Problem zu beheben:

Messe mit einer Software, wie viele Buchstaben er auf einmal sicher erfassen kann. Das können z.B. 4 Stück in 400 ms sein. Wenn er dabei buchstabiert (was ich ganz stark annehme), so gehe anschließend zu 2er- Buchstabenverbindungen und zeige die in den gemessenen 400 ms. Das ist für ihn dann leicht, weil es weniger Buchstaben sind. Die Aufgabe ist jetzt, sofort und ohne buchstabieren zu sprechen.

Beispiel:
Es wird "au" gezeigt, so muss dein Sohn sofort "au" sagen und nicht "a" => "u" => "au". "a" => "u" dabei auch nicht in Gedanken! Deshalb zügig sprechen, dann bleibt dafür keine Zeit.
So bald das funktioniert (kann ganz schnell gehen), mit 3 Buchstaben weiter machen, dann 4 etc.

Erst danach wird überhaupt gelesen. Dabei darf die Texteinteilung (Segmentierung) immer nur so groß sein wie die Zahl an Buchstaben, die dein Sohn auf einmal sicher erkennen kann ohne zu Buchstabieren.
Wichtig: Kann er z.B. nur 3 Buchstaben (bei 2-Klässlern durchaus normal), so dürfen auf keinen Fall Silben verwendet werden, die sind oft länger. Dann werden Endungen oder Wortteile nicht gesehen und weggelassen, z.B. "scho" anstatt "schon". Für den umgebenden Text stellt du einen geringen Kontrast ein, damit er nicht ablenken kann. Da sieht dann z.B. so aus:

Bild zum Beitrag

Hier geht es sich gerade mit den Silben aus.

Die Augenbewegungen werden jetzt gesteuert. Das Rückwärtslesen kann übrigens mehrere Ursachen haben:

  • Nicht lange genug hinsehen (fixieren)
  • Die Buchstabiertechnik (vermute ich bei deinem Sohn)
  • Der Versuch, den Text zu "scannen". Das geben unsere Augen nicht her, dafür sind sie zu langsam.
  • Viele Menschen versuchen, sich die Buchstaben regelrecht zusammen zu suchen (irreguläre Augenbewegungen). Das muss scheitern.

Einen Fernsehbeitrag dazu findest du hier:

https://www.celeco.de/rtl-sendung-legasthenie/

Die Software dafür und viele weitere Informationen findest du hier:

https://www.celeco.de/produkt/richtig-lesen-lernen-uebungs-set-deutsch/

Du kannst da übrigens auch ganz einfach anrufen.

Zu Schuss noch:
Diese Art Fehler machen sehr viele Kinder, gerade das mit dem Buchstabieren. Wird das nicht abgestellt (was kein Hexenwerk ist), so bleibt das bis ins Erwachsenenalter.

Ich hoffe, das hilft dir weiter

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Ich befasse mich seit 20 Jahren beruflich mit diesem Thema
 - (Deutsch, Kinder, lesen)

Das kann man mit verschiedensten Lautierungsübungen trainieren.

Ich würde das zuerst einmal mit einzelnen Lauten machen, noch nicht mit Silben.

Nehmen wir z.B. an, du hättest eine Schachtel mit vielen Schleich-Tieren, deren Namen auf E beginnen oder enden.

Dann zeichnest du auf Papier eine Tabelle mit zwei Spalten: "E am Beginn", "E am Ende". Das Kind sagt nun den Namen jedes Tieres und legt es auf die richtige Spalte der Tabelle. Die Ente ist hier ein Sonderfall, die kommt vielleicht in die Mitte.

Das kann man dann beliebig abwandeln: Vielleicht eine Zusatzspalte "E im Wortinneren", dann das Ganze mit einem anderen Laut als E etc.

Das war jetzt nur ein Beispiel. Je nach genauer Reaktion des Kindes gibt es noch viele andere hilfreiche Übungen.

Hanna231 
Fragesteller
 11.08.2023, 20:22

Das funktioniert komischerweise sehr gut. Das nennen und benennen von Gegenständen und diese dann zuordnen vorn Mitte außen. Das Problem kommt erst sobald er ein Wort hat was er lesen soll und er nicht weiß welches Wort es ist.

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Das ist sehr merkwürdig, den er beginnt ja nicht etwa hinten, sondern praktisch in der Mitte...

Wie sieht es denn allgemein mit dem Erkennen von Details aus? Mir ist beim Ansehen von Wimmelbüchern mit meinen Kindern aufgefallen, dass das eine ideale Vorbereitung auf das Lesen ist. Die Kinder lernen dabei, sich konzentriert mit einem Buch zu beschäftigen und vorallem auf kleine Details zu achten. Kann Dein Kind das?

Kann er einsilbige Wörter lesen? Oder verdreht er da auch Buchstaben?

Hat ihm vielleicht jemand im Kindergartenalter die Buchstaben mit ihren Name beigebracht? Also die Konsonanten mit anhängenden Vocal, wie man sie als Erwachsener spricht. Ich hörte lerztens von einem Kind, bei dem das so war und das zunächst große Schwierigkeiten beim Lesen lernen hatte.

Hanna231 
Fragesteller
 11.08.2023, 19:55

Das allgemeine Detail erkennen ist kein Problem. Auch in einer super schnellen Zeit.

Einsilbig lesen klappt sehr gut. Beispiel „Eis“ liest er Ei s und zieht es dann zusammen.

Nun kam es jetzt in den Ferien dazu, dass er Buchstaben falsch herum geschrieben hat. Spiegelverkehrt.

Das mit dem Kindergarten haben wir nicht feststellen können.

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spelman  11.08.2023, 21:08
@Hanna231

Ich bin kein Experte, ich habe nur selbst Kinder und denke so ein bisschen herum.

Wie sieht es denn bei Zahlen aus? In der ersten Klasse hat man ja glaube ich noch keine dreistelligen Zahlen, aber zweistellige gibt es schon. Kann er geschriebene Zahlen korrekt aussprechen? Dabei gibt es ja in unserer schönen Sprache die Problematik, dass Zahlen ab 21 ungefähr so gelesen werden, wie Du das Lesen von zweisilbigen Wörtern beschreibst.

Als ich selbst lesen gelernt habe, hatten wir die Fibel. Dort gab es Lesetexte, und die mussten wir immer reihum vorlesen. Ich hatte in Lesen eine Eins. Nur fiel meinen Eltern auf, dass ich eigentlich kaum lesen konnte. Ich war nur nie als Erster dran, und wenn zwei-drei andere Schüler vor mir gelesen hatten, konnte ich den Text auswendig. Könnte es sein, dass Dein Kind ähnliches versucht, also nicht wirklich liest, sondern nur versucht, aus dem Wortbild irgendwas zu interpretieren? Meine Eltern haben das Problem damals gelöst, indem sie Fantasieworte aufgeschrieben haben, die ich lesen sollte. Das waren irgendwelche drolligen Worte, die aber in der Fibel garantiert nicht vorkamen. Das hat den Knoten gelöst, und ich konnte bald sehr gut lesen.

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Hanna231 
Fragesteller
 11.08.2023, 23:57
@spelman

Zahlen werden ab 20 tatsächlich schwierig. Allerdings ist das Rechnen aktuell auch nur bis 20 gewesen. Sie wurden auswendig gelernt bis 50, geschrieben aber noch nicht.

Mein Kind rät und das reih um. Das Wort ENTE war heute im Tierpark zum lesen dran. Er sah das Wort und sagte direkt :“ das Tier kenne ich nicht“ Auch das bestärken das er das Tier kennt hat nichts gebracht. Mit einmal war das Wort ENTE dann Leopard, Hund, Storch,…

Auch bei der Stadt Gotha welche er lesen sollte sagte er das würde Strand, Zoo, Kino heißen. Und so wird mir klar er liest nicht wirklich irgendwas davon.

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spelman  12.08.2023, 08:07
@Hanna231

Wenn er einzelne Buchstaben erkennt und richtig benennen kann, aber Wörter nur "liest", wenn er das Gesamtwort erkennt, dann hat er das Zusammenziehen von Buchstaben noch nicht "geknackt". Das ist in der Tat ein wichtiger Schritt beim Lesen lernen. Wie sieht es denn beim Schreiben aus? Ende der ersten Klasse müssten sie ja auch schon einiges schreiben.

Ist er denn überhaupt motiviert zu lesen, oder liest er nur, wenn er dazu durch Lehrer oder Euch speziell aufgefordert wird? Das Problem ist, dass er noch so am Anfang ist, dass Lesen noch keinen Spaß macht.

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Besprich das mit dem Kinderarzt - der kann zum Logopäden überweisen.