Kant Der mensch darf nie nur als mittel benutzt werden..

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Immanuel Kant meint nicht, daß der Mensch an sich nichts weiter als unheilig ist. Bei dem tatsächlichen Verhalten der einzelnen Menschen kann es eine große Bandbreite geben.

Kant betrachte den Menschen als zwei Bereichen zugehörig. Der Mensch ist einerseits ein empirisches Wesen, also Gegenstand von Erfahrung, zur Erscheinungswelt gehörend (homo phaenomenon), ein Teil der Sinnenwelt, anderseits ein intelligibles Wesen, zu einer geistig einsehbaren Welt gehörend (homo noumenon).

Wenn Kant sagt, der Mensch sei unheilig genug, bezieht er sich auf die Seite des Menschen, Teil der Sinnenwelt zu sein. Tatsächlich kommt unheiliges Verhalten vor, wie die Erfahrung zeigt. Kant behauptet nicht, die Menschen handelten alle nur sittlich schlecht. Er will das Vorkommen von sittlich gutem Verhalten/gutem Willen gar nicht schlechthin bestreiten.

Kant denkt, der Mensch als Naturwesen sei Anwandlungen ausgesetzt, Lust zu etwas bekommen, das eine Übertretung des Sittengesetzes darstellt. Unheilig ist insofern jeder Mensch, indem er Antrieben der Sinnenwelt nicht völlig entzogen ist. Einflüsse und Interessen wirken auf ihn.

Der Mensch als Naturwesen hat nach Kant Neigungen und kann daher Lust bekommen, das moralische Gesetz zu übertreten. Zur Befolgung des Gesetzes ist es dann nötig, die Neigungen zu überwinden, indem sich die Pflicht geltend macht. Die moralische Nötigung der Pflicht ist ein innerer Zwang (Selbstzwang). Sie geschieht durch Selbstbindung eines Vernunftwesens an ein von ihm selbstbestimmt aufgestelltes sittliches Gesetz. Jemand folgt der Stimme der Vernunft, im Handeln unbedingt ihrem Gesetz (kategorischer Imperativ) zu folgen.

Die Heiligkeit der Menschheit in seiner (des einzelnen Menschen) Person bezieht sich auf diese andere Seite, den Mensch als intelligibles Wesen. Der Mensch ist ein Vernunftwesen (eine Person, ein mit Vernunftbegabtes Lebewesen) und daraus zieht Kant in der Ethik Folgerungen.

Menschenwürde gründet im Menschsein. Menschsein ist allen Menschen gemeinsam (sie gehören ja zur Gattung Mensch). Im Umgang miteinander ist gegenseitige Achtung, Beachtung der Selbstzweckhaftigkeit von Personen, eine richtige Grundlage.

Menschenwürde kann nicht verwirkt, aberkannt oder veräußert werden. Sie soll nicht verletzt werden. Das Recht kann nicht verlorengehen. Den Wert hat die Person an sich. Die Anerkennung der Menschenwürde ist nicht dem Belieben anheimgestellt, sondern als Pflicht geschuldet. Dazu gehört, keine Person als bloßes Mittel zu mißbrauchen. Im Textzusammenhang wird deutlich, wie die Heiligkeit der Menschheit in der eigenen Person auf die den Menschen als vernünftige Wesen bezogen ist.

Im Textzusammenhang wird deutlich, wie die Heiligkeit der Menschheit in der eigenen Person auf die den Menschen als vernünftiges Wesen bezogen ist.

Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788). Erster Theil. Elementarlehre der reinen praktischen Vernunft. Drittes Hauptstück. Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft AA V 86 – 87/A 154 – 156:
„Es kann nichts Minderes sein, als was den Menschen über sich selbst (als einen Theil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knüpft, die nur der Verstand denken kann, und die zugleich die ganze Sinnenwelt, mit ihr das empirisch bestimmbare Dasein des Menschen in der Zeit und das Ganze aller Zwecke (welches allein solchen unbedingten praktischen Gesetzen als das moralische angemessen ist) unter sich hat. Es ist nichts anders als die Persönlichkeit, d. i. die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigenthümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen, reinen praktischen Gesetzen, die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist, so fern sie zugleich zur intelligibelen Welt gehört; da es denn nicht zu verwundern ist, wenn der Mensch, als zu beiden Welten gehörig, sein eigenes Wesen in Beziehung auf seine zweite und höchste Bestimmung nicht anders als mit Verehrung und die Gesetze derselben mit der höchsten Achtung betrachten muß.

Albrecht  11.11.2011, 01:53

Auf diesen Ursprung gründen sich nun manche Ausdrücke, welche den Werth der Gegenstände nach moralischen Ideen bezeichnen. Das moralische Gesetz ist heilig (unverletzlich). Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein. In der ganzen Schöpfung kann alles, was man will, und worüber man etwas vermag, auch blos als Mittel gebraucht werden; nur der Mensch und mit ihm jedes vernünftige Geschöpf ist Zweck an sich selbst. Er ist nämlich das Subject des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermöge der Autonomie seiner Freiheit. Eben um dieser Willen ist jeder Wille, selbst jeder Person ihr eigener, auf sich selbst gerichteter Wille auf die Bedingung der Einstimmung mit der Autonomie des vernünftigen Wesens eingeschränkt, es nämlich keiner Absicht zu unterwerfen, die nicht nach einem Gesetze, welches aus dem Willen des leidenden Subjects selbst entspringen könnte, möglich ist; also dieses niemals blos als Mittel, sondern zugleich selbst als Zweck zu gebrauchen. Diese Bedingung legen wir mit Recht sogar dem göttlichen Willen in Ansehung der vernünftigen Wesen in der Welt als seiner Geschöpfe bei, indem sie auf der Persönlichkeit derselben beruht, dadurch allein sie Zwecke an sich selbst sind.

Diese Achtung erweckende Idee der Persönlichkeit, welche uns die Erhabenheit unserer Natur (ihrer Bestimmung nach) vor Augen stellt, indem sie uns zugleich den Mangel der Angemessenheit unseres Verhaltens in Ansehung derselben bemerken läßt und dadurch den Eigendünkel niederschlägt, ist selbst der gemeinsten Menschenvernunft natürlich und leicht bemerklich.“

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797). Zweiter Theil. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. Einleitung zur Tugendlehre I. Erörterung des Begriffs einer Tugendlehre AA VI 379:
„Der moralische Imperativ verkündigt durch seinen kategorischen Ausspruch (das unbedingte Sollen) diesen Zwang, der also nicht auf vernünftige Wesen überhaupt (deren es etwa auch heilige geben könnte), sondern auf Menschen als vernünftige Naturwesen geht, die dazu unheilig genug sind, daß sie die Lust wohl anwandeln kann das moralische Gesetz, ob sie gleich dessen Ansehen selbst anerkennen, doch zu übertreten und, selbst wenn sie es befolgen, es dennoch ungern (mit Widerstand ihrer Neigung) zu thun, als worin der Zwang eigentlich besteht.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen Sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen AA IV 428/BA 64 - 65:
„Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauch für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Sitten (1785). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen Sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen AA IV 429/BA 66 - 67:
„Der praktische Imperativ wird also folgender sein: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten(1785). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen Sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen AA IV 433/ BA 74 – 75:
„Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle. “

Ein Zweck an sich selbst ist ein Zweck, dessen Dasein an sich selbst einen absoluten Wert hat und an dessen Stelle kein anderer Zweck gesetzt werden kann, dem sie bloß als Mittel dienen sollen. Menschen sind keine Sachen, sondern Personen (vernünftige Wesen). Allen vernünftigen Wesen kommt Würde als Zweck an sich selbst zu. Denn sie sind ihrer Natur nach autonome gesetzgebende Subjekte darin, sich Zwecke zu setzen. In ihnen ist ein Wille anzutreffen, der Vorstellung gewisser Gesetz gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Diese Selbstzweckhaftigkeit ist unbedingt zu achten. Sie ist ein uneingeschränkt für alle Menschen gültiger Zweck. Würde ist ein absoluter innerer Wert. Menschen haben sie durch ihr Menschsein.

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Albrecht  11.11.2011, 01:56

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen Sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen AA IV 434 - 435/BA 76 - 77:
„Die Vernunft bezieht also jede Maxime des Willens als allgemein gesetzgebend auf jeden anderen Willen, und auch auf jede Handlung gegen sich selbst, und dies zwar nicht um irgend eines anderen praktischen Beweggrundes oder künftigen Vorteils willen, sondern aus der Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetz gehorcht, als dem, das es zugleich selbst giebt

Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine** Würde**. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.

Was sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, hat einen Marktpreis; das, was, auch ohne ein Bedürfniß vorauszusetzen, einem gewissen Geschmacke, d. i. einem Wohlgefallen am bloßen zwecklosen Spiel unserer Gemüthskräfte, gemäß ist, einen Affectionspreis; das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Werth, d. i. einen Preis, sondern einen innern Werth, d. i. Würde.

Was sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, hat einen Marktpreis; das, was, auch ohne ein Bedürfniß vorauszusetzen, einem gewissen Geschmacke, d. i. einem Wohlgefallen am bloßen zwecklosen Spiel unserer Gemüthskräfte, gemäß ist, einen Affectionspreis; das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Werth, d. i. einen Preis, sondern einen innern Werth, d. i. Würde.“

Personen dürfen als Mittel für eigene Zwecke verwendet werden, aber nur soweit wie deren Würde nicht beeinträchtigt oder beseitigt wird, nicht als bloße Mittel. Die Selbstzweckhaftigkeit andere Personen darf nicht angetastet werden. Handlungen sollen beachten, diesen Selbstwert anzuerkennen. Wer dies nicht anerkennt und beachtet, achtet auch sein eigenes Menschsein nicht.

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hexelilifee 
Fragesteller
 12.11.2011, 21:05
@Albrecht

woa, danke für die viele mühe :D, aber jetzt habe ich es verstanden

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Kant spricht m. W. nicht von der Menschheit in einer Person, quasi als Kollektivsubjekt, das den individuellen Menschen gegenübersteht, sondern von der Menschheit in der Person jedes einzelnen Menschen. Das heißt, dass jeder Mensch als Repräsentant der Menschheit zu sehen ist und daher jedem Menschen die Würde der Menschheit zukommt.

Es geht bei Kant darum, worin die Menschenwürde als Basis gegenseitiger Achtung begründet werden kann. Vor Kant wurde das in der Gottesebenbildlichkeit begründet. Doch, so frägt Kant, was haben wir, wenn wir ohne Gottesebenbildlichkeit auskommen müssen und auf uns selbst gestellt sind?

Einzelne Menschen sind sehr verschieden, gestreut vom Heiligen bis zum bestialischen Verbrecher. Auf Heilige kann man evtl. noch eine allgemeine Menschenwürde stützen, doch auch auf Schwerverbrecher? Wenn wir eine prinzipielle gegenseitige Achtung als Basis eines menschenwürdigen Umgangs miteinander absichern wollen, können wir also nicht vom einzelnen Menschen ausgehen. Was uns aber allen gemeinsam ist, ist die Gattung des Menschseins.

Wenn wir wollen, dass es eine allgemein verbindliche, unverletzliche Menschenwürde gibt, dann müssen wir sie darauf stützen, dass sie uns UNTERSCHIEDSLOS allen „als Menschen“ – oder als Gattung Mensch oder als Menschheit – zukommt. Wenn wir nämlich keine Menschenwürde kraft einer Gottesebenbildlichkeit mehr anerkennen, müssen wir sie anerkennen, weil wir Menschen sind und wir keinen Menschen davon ausschließen können, weil wir dann die Menschenwürde wieder auf einzelne Menschen oder Menschengruppen herunter brechen. Dann machen wir Menschenwürde DISPONIBEL und es gibt keine gemeinsame, allgemeine Basis mehr zur gegenseitigen Achtung.

Soetwas gab es ja bereits in christlicher Zeit, als Indianer als HEIDEN erklärt wurden und HEIDEN als NICHT ACHTENSWERTE MENSCHEN. Entsprechend ist man dann mit ihnen umgegangen. Da haben sich einige Herren erlaubt, selbst festzulegen, wem Gottesebenbildlichkeit zukommt und wem nicht. Die Unterscheidung in „wertvolle A.rier“ und „wertlose Nichtarier“ hat im Nationalsozialismus zu nicht mehr fassbarer Unmenschlichkeit geführt. Genau das will Kant mit seiner Definition verhindern.

hexelilifee 
Fragesteller
 10.11.2011, 17:31

Oh, danke für die lange antwort, also heißt dass, das der mensch heilig ist damit er nicht für bestimmte zwecke missbraucht werden kann, und da er ein zweck ist, kann er nicht als ein sólcher genutzt werden? Das bezieht dann kant nicht auf das Individuum, sondern auf die geminschaft, da ein einzelner mensch schon Fehler macht und hat, die gemeinschaft aber nicht?

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berkersheim  10.11.2011, 22:23
@hexelilifee

@hexelilifee

Es heißt, dass wir als Menschen jeden anderen Menschen ausgestattet sehen mit unverletzlicher Menschenwürde, sozusagen als "heilig". Das tun wir für uns selbst, weil wir nur dann erwarten können, dass auch andere uns diese unverletzliche Menschwürde zugestehen. Kein einzelner Mensch darf einen anderen als Mittel missbrauchen um irgendeinen Zweck zu erreichen. Das ist ohne Gottesbezug nach Kant so wie vorher mit Gottesebenbildlichkeit. Das sind wir jedem einzelnen Menschen schuldig, weil er Mensch ist als Grundregel unseres Zusammenlebens.

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