Menschheit-Zweck-Formel Kant?

1 Antwort

Die Menschheitszweckformel, auch Selbstzweckformel genannt, ist eine Formel des kategorischen Imperativs. Es handelt sich um eine bestimmte Formulierung, die sich auf Zwecke als Gegenstände des Willens bezieht.

kategorischer Imperativ

Der kategorische Imperativ ist nach der Auffassung von Immanuel Kant unbedingt gültig und enthält ein allgemeines Gesetz als moralisches Gebot.

Kant hält es für eine Pflicht, als vernunftbegabtes Wesen dem moralischen Gesetz zu folgen, weil dies die Achtung vor dem mittels der Vernunft eingesehenen Gesetz gebietet.

Das moralisch Gute existiert nur als guter Wille. Entscheidend ist die Handlungsabsicht, nicht die tatsächlich eingetretene Handlungsfolge (eine ausreichender Einsatz der praktischen Vernunft bleibt aber trotzdem geboten).

Der kategorische Imperativ bietet eine formale Überprüfung. Wäre es in meiner Vorstellung in Ordnung, wenn alle so handeln würden, kann ich dies als Bestandteil allgemeiner Gesetzgebung wollen und anerkennen. Wenn in der Überprüfung Widersprüche auftreten (ein Grundsatz kann nicht widerspruchsfrei gedacht und gewollt werden), ist die überprüfte Maxime (eine Maxime ist ein dem Vernunftinteresse entnommener subjektiver Grundsatz) kein kategorischer Imperativ.

Das Vorgehen in der Anwendung ist:

1) Beschreibung einer überlegten Handlungsweise

2) Formulierung der Handlungsweise als allgemeiner Grundsatz (Maxime des Willens)

3) Überprüfung dieses Grundsatzes auf widerspruchsfreie Aufstellung als Bestandteil allgemeiner Gesetzgebung der Vernunft

4) Ausführen einer Handlung, deren Grundsatz dem kategorischen Imperativ entspricht/Unterlassen einer Handlung, deren Grundsatz ihm widerspricht

Formeln

Kants Formeln sind Formulierungen des kategorischen Imperatives, wobei die allgemeine die grundlegende ist und andere Formeln den kategorischen Imperativ nur anders ausdrücken, um die Idee der Anschauung und dem Gefühl näher zu bringen.

Die Formel mit dem allgemeinen Gesetz richtet sich auf die Einheit der Form des Willens (seine Allgemeinheit).

Die Naturgesetzformel richtet sich auf die Übereinstimmung in einem Gesamtsystems (Allheit), zu der die Naturordnung eine Analogie (Ähnlichkeit, Entsprechung) darstellt.

Die Selbstzweckformel/Menschheitszweckformel bezieht sich auf Zwecke als Gegenstände des Willens.

Selbstzweckformel/Menschheitszweckformel

Beim Zweck geht es in diesem Zusammenhang um einen Zweck an sich selbst.

Ein Zweck ist ein angestrebtes Ziel. Was der Erreichung dieses Ziels dient, ist ein Mittel zu dem Zweck. Ein Zweck ist das, wozu etwas gewollt und getan wird.

Kant versteht das, was dem Willen als objektiver Grund seiner Selbstbestimmung dient, als Zweck.

Es kann Zwecke geben, die nur Zwecke für einzelne Menschen in irgendeiner Situation sind. Sie sind nur relativ (verhältnismäßig/in einem bestimmten Bezug gültig).

Zwecke an sich selbst sind dagegen objektive Zwecke, die unabhängig von subjektiven Interessen/Neigungen/Wünschen/Begierden und Mittel-Zweck-Beziehungen sind. Ein Zweck an sich selbst ist für Menschen als vernunftbegabte Wesen allgemein und notwendig gültig.

Ein Zweck an sich selbst ist ein Zweck, dessen Dasein an sich selbst einen absoluten Wert hat und an dessen Stelle kein anderer Zweck gesetzt werden kann, dem sie bloß als Mittel dienen sollen.

Menschen sind vernunftbegabte Wesen und setzen sich Zwecke, denen sie nachgehen. Es besteht eine Pflicht, Achtung davor zu haben.

Menschen sind keine Sachen, sondern Personen. Allen vernunftbegabten Wesen kommt Würde als Zweck an sich selbst zu. Denn sie sind ihrer Natur nach autonome gesetzgebende Subjekte darin, sich Zwecke zu setzen. In ihnen ist ein Wille anzutreffen, der Vorstellung gewisser Gesetz gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Diese Selbstzweckhaftigkeit ist unbedingt zu achten. Sie ist ein uneingeschränkt für alle Menschen gültiger Zweck. Würde ist ein absoluter innerer Wert. Menschen haben sie durch ihr Menschsein.

Personen dürfen als Mittel für eigene Zwecke verwendet werden, aber nur soweit, wie deren Würde nicht beeinträchtigt oder beseitigt wird. Die Selbstzweckhaftigkeit andere Personen darf nicht angetastet werden. Handlungen sollen beachten, diesen Selbstwert anzuerkennen. Wer dies nicht anerkennt und beachtet, achtet auch sein eigenes Menschsein nicht. Ein Beispiel ist das Vorgehen eines Lügners, sich von jemand mit einem falschen Versprechen, es später zurückgeben zu wollen, Geld zu leihen. Das Handeln ist moralisch schlecht. Der andere wird als bloßes Mittel ausgenutzt und wie eine Sache (eine Geldbörse, an der sich jemand nach Belieben bedient) behandelt.

Menschen nutzen andere Menschen als Mittel und dies ist in Ordnung, wenn sie nicht zu bloßen Mittel herabgewürdigt werden. Wenn jemand z. B. beim Bäcker Brötchen kauft, nutzt er den Bäcker als Mittel, um Lebensmittel zu bekommen. Indem der Bäcker eine Bezahlung bekommt und nicht bestohlen oder beraubt wird, wird er zugleich als Zweck an sich selbst behandelt (nämlich als jemand, der ein Anrecht darauf hat, sich eine Existenzgrundlage zu schaffen).

Textstellen bei Kant (AA = Akademieausgabe; A = 1. Auflage; B = 2. Auflage)

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen. AA IV 428/BA 64 - 65:  

„Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauch für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen. AA IV 429/BA 66 - 67:  

„Der praktische Imperativ wird also folgender sein: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen. AA IV 433/BA 74 – 75:  

„Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle."

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen AA. IV 434 - 435/BA 76 - 77:  

„Die Vernunft bezieht also jede Maxime des Willens als allgemein gesetzgebend auf jeden anderen Willen, und auch auf jede Handlung gegen sich selbst, und dies zwar nicht um irgend eines anderen praktischen Beweggrundes oder künftigen Vorteils willen, sondern aus der Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetz gehorcht, als dem, das es zugleich selbst giebt.

Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.

Was sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, hat einen Marktpreis; das, was, auch ohne ein Bedürfniß vorauszusetzen, einem gewissen Geschmacke, d. i. einem Wohlgefallen am bloßen zwecklosen Spiel unserer Gemüthskräfte, gemäß ist, einen Affektionspreis; das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Werth, d. i. einen Preis, sondern einen innern Werth, d. i. Würde."

Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788). Erster Theil. Elementarlehre der reinen praktischen Vernunft. Drittes Hauptstück. Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft. AA V 86 – 87/A 154 – 156:  

„Es kann nichts Minderes sein, als was den Menschen über sich selbst (als einen Theil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knüpft, die nur der Verstand denken kann, und die zugleich die ganze Sinnenwelt, mit ihr das empirisch bestimmbare Dasein des Menschen in der Zeit und das Ganze aller Zwecke (welches allein solchen unbedingten praktischen Gesetzen als das moralische angemessen ist) unter sich hat. Es ist nichts anders als die Persönlichkeit, d. i. die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigenthümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen, reinen praktischen Gesetzen, die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist, so fern sie zugleich zur intelligibelen Welt gehört; da es denn nicht zu verwundern ist, wenn der Mensch, als zu beiden Welten gehörig, sein eigenes Wesen in Beziehung auf seine zweite und höchste Bestimmung nicht anders als mit Verehrung und die Gesetze derselben mit der höchsten Achtung betrachten muß.

Auf diesen Ursprung gründen sich nun manche Ausdrücke, welche den Werth der Gegenstände nach moralischen Ideen bezeichnen. Das moralische Gesetz ist heilig (unverletzlich). Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein. In der ganzen Schöpfung kann alles, was man will, und worüber man etwas vermag, auch bloß als Mittel gebraucht werden; nur der Mensch und mit ihm jedes vernünftige Geschöpf ist Zweck an sich selbst. Er ist nämlich das Subjekt des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermöge der Autonomie seiner Freiheit. Eben um dieser Willen ist jeder Wille, selbst jeder Person ihr eigener, auf sich selbst gerichteter Wille auf die Bedingung der Einstimmung mit der Autonomie des vernünftigen Wesens eingeschränkt, es nämlich keiner Absicht zu unterwerfen, die nicht nach einem Gesetze, welches aus dem Willen des leidenden Subjekts selbst entspringen könnte, möglich ist; also dieses niemals bloß als Mittel, sondern zugleich selbst als Zweck zu gebrauchen.

Diese Bedingung legen wir mit Recht sogar dem göttlichen Willen in Ansehung der vernünftigen Wesen in der Welt als seiner Geschöpfe bei, indem sie auf der Persönlichkeit derselben beruht, dadurch allein sie Zwecke an sich selbst sind."