Kann man das Erwachsenwerden verpasst haben?
Hallo!
Ich erläutere ganz kurz, weshalb ich diese seltsame Frage stelle. Ich bin 24 Jahre alt und habe mit 11 Jahren eine Krankheit bekommen, unter der ich ca. 13 Jahre lang gelitten habe. Zuvor war ich eine äußerst begabte Schülerin, habe sogar die Möglichkeit erhalten, 2 Klassen zu überspringen, was ich allerdings abgelehnt habe. Kurz gefasst: alles in meinem Leben deutete darauf hin, dass ich mal schnell ins Berufsleben starten werde und einen guten Job (inkl. Universitätsabschluss) finden würde, denn selbst bis zu meinem ca. 15 Geburtstag war die Krankheit nicht wirklich ein Hindernis für mich.
Danach wurde alles anders und ich konnte mit Müh und Not die Externistenschule mit 21 abschließen! Meine Noten waren zwar weiterhin gut, doch aufgrund der ständigen Krankheitsschübe und Arzttermine konnte ich nicht laufend zu Prüfungen antreten. Meine PsChe litt auch sehr darunter: unter der Krankheit und darunter, dass ich nichts wirklich erleben konnte. Ich hatte keine Abifahrt, keine Schulreisen, Discobesuche etc. Ich hatte keine feierliche Abiturientenverabschiedung, keine Ferialjobs.. nichts.
Nun steh ich da und studiere im 2. Semester Jura. Es gefällt mir, aber ich leide unter dem ernormen Druck, dass ich viel zu alt bin und jetzt umso besser und schneller im Studium sein muss als alle anderen. Gleichzeitig hab ich manchmal, wenn ich mit meiner um ca. 8 Jahre jüngeren Cousine zusammen bin, das Gefühl, ich könnte nie erwachsen werden! Irgendwie habe ich die letzten 8-6 Jahre auch gar nicht registriert, dass ich älter geworden bin, dass die Jahre vergangen sind! Es ist schwer zu beschreiben. Überdies habe ich herausgefunden, dass etliche meiner damaligen Schulfreunde mit ihren Studien fertig oder im Fertigwerden sind. Ich fühle mich furchtbar "hintengeblieben", obwohl ich mich wirklich für sie freue. Ich bin auch nicht wütend auf sie oder neidisch, eher traurig, weil mein Leben so kaputt erscheint. Dann noch diese Sätze von ebendiesen Ex-Schulkollegen und deren Eltern sowie von meinen eigenen Verwandten: "Schade um dieses Mädchen. Was ist nur aus der geworden?" Am liebsten würde ich manchmal alles hinschmeißen und mir irgendeinen Job als Putzfrau oder so suchen, was ja an und für sich ein ehrenswerter Beruf ist, aber eben nicht mein Berufswunsch.
Tut mir leid für den langen Text!
LG,
Die Fragestellerin
3 Antworten
Das scheint mir bei Dir eher eine Sache des Mindsets zu sein. OK, Du bist im 2. Semester und 24 Jahre alt. Ich habe damals mein Studium erst mit 24 begonnen. OK, ich habe noch vorher eine (zum Studium einschlägige) Lehre gemacht, aber das hätte ich mir auch sparen können. Das weiß ich leider erst jetzt. Dann Wehrdienst und dann eben mit 24 Jahren angefangen. Mit 29 war ich dann Dipl.-Ing. und habe angefangen, Geld zu verdienen. Alles OK, heute mit 47, Familie und zwei Töchtern interessiert das keinen mehr. Mit dem "Erwachsen sein" oder "werden" würde ich es nicht so streng sehen. Das ist ohnehin ein gradueller Prozess und zudem nicht auf einen Punkt bezogen. Es gibt viele Erwachsene, die in dem ein oder anderen Punkt noch sehr kindisch sein, viele davon sind viel älter als Du. Ich wäre an Deiner Stelle stolz, dass Du es bis ins Studium trotz Deiner Krankheit geschafft hast. Genieße es, konzentriere Dich auf dieses, vergiss nicht das Leben daneben und schau nach vorne. Meine Frau hatte eine Studienfreundin und die hat schlicht Krebs bekommen und ist dann gestorben. Ich hoffe, dass Du das mit der Krankheit vollständig überstanden hast, aber lasse sie bitte nicht nachträglich über Deine angeknackste Psyche trotzdem noch gewinnen. ;-)
Du hast nichts verpasst, sondern durch deine Krankheit hat sich einiges nur verzögert.
Ich kenne das, denn ich wurde wegen schwerem Asthma in meiner Kindheit in den Sommerferien von der 2. in die 1. Klasse zurück versetzt, da ich in dem 1. Schulhalbjahr nur wenige Tage die Schule besucht habe.
Das hat mich aber nicht daran gehindert, die Schule trotz weiterer Ausfälle abzuschließen, zu studieren und erfolgreich im Beruf zu werden. Auch die Krankheit habe ich in den Griff bekommen, so dass sie mich kaum noch belastet.
Das „Kind im Mann“ habe ich mir aber trotzdem bewahrt ;-)
Setze dir erreichbar Ziel und verfolge sie, den kannst du alles schaffen!
Alle Schicksale sind verschieden und es ist ein Unding, den Lebensweg von Menschen normieren zu wollen. Menschen sind Individuen mit ihren ganz individuellen Erfahrungen, diese Erfahrungen machen sie zu dem, was sie sind. Wer den perfekten Lebenslauf hat (Abitur mit super Schnitt, Bachelor und Master in Regelstudienzeit etc.), ist danach nicht unbedingt am erfolgreichsten in seinem Beruf. Ein solcher Mensch hatte vielleicht gar nicht die Möglichkeit, gewisse Aspekte seiner Persönlichkeit weiterzuentwickeln: Wenn alles immer glatt verlief, musste man nie eine schwierige Entscheidung über den weiteren Weg treffen, musste sich nie Schwierigkeiten stellen, nie mit Rückschlägen umgehen.
Übrigens ist der Studienbeginn mit 23-24 gar nicht so dramatisch, wie du es wahrzunehmen scheinst. Ich befinde mich gerade im Lehramtsreferendariat, also der zweijährigen Ausbildung zum Lehrer, die sich an ein fünfjähriges Studium anschließt. In der Regel sollte man die mit Mitte 20 absolvieren, aber die meisten meiner Kollegen, und auch ich selbst, sind über 30.
Für manche Positionen, gerade auch für leitende, ist es sogar von Vorteil ein paar Jahre älter zu sein. Jemanden, der Mitte 20 ist, in eine leitende Position einzusetzen, wo er signifikant ältere Mitarbeiter "kommandiert", ist ja schwierig, selbst wenn die Person brillant und bestens qualifiziert dafür wäre.
Ich finde es übrigens wirklich beachtlich, dass du trotz der Rückschläge, die du erleben musstest, ein Studium anfangen konntest! Es wäre wirklich schön, wenn du das auch so wahrnehmen könntest! Klopf dir doch mal selbst auf die Schulter und sage dir "Mensch, bin ich gut!". ;)
Vielen Dank, aus dieser Sicht hab ich die ganze Situation eigentlich noch nie betrachtet! :-)