Kann es sich ein normaler Arbeitnehmer in Vollzeitbeschäftigung leisten, oft auf seiner Arbeitsstelle zu fehlen, um für die Freiwi-Feuerwehr im Einsatz zu sein?

Das Ergebnis basiert auf 19 Abstimmungen

Ja! 58%
Meine Meinung dazu: 32%
Nein! 5%
Das ist grenzwertig! 5%
Ich weiß von Chefs, die es verbieten (z.B. Gas/Wasser/Sch.eiße) 0%

11 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet
Meine Meinung dazu:

Okay. Was genau ist ein "normaler Arbeitnehmer"? Der eine sieht darin den Polizisten im Schichtdienst, der nächste sieht darin einen 9to5 Büromitarbeiter und der nächste sieht darin einen selbstständigen Handwerksunternehmer.

Oftmals ergibt sich schon aus dem Beruf, dass man nicht fehlen darf. Der Polizist kann nicht aus dem Dienst heraus zur Feuerwehr gehen und der Selbstständige muss zusehen, dass er Kundenaufträge fertig bekommt, weil sonst seine Existenz auf dem Spiel steht.

Und auch wenn der Mitarbeiter problemlos vom Arbeitsplatz weg und in den Einsatz gehen kann und der Arbeitgeber da nicht prinzipiell was gegen hat: Am Ende hat der Arbeitgeber den Mitarbeiter nicht eingestellt, damit er ständig fehlt. Bei 150 Einsätzen im Jahr bedeutet das, dass der Mitarbeiter etwa 1-2x pro Woche seinen Arbeitsplatz verlassen muss oder nicht zur Arbeit kommt. Und sein Gehalt bekommt, obwohl er nicht arbeitet.

Ich verstehe es absolut, wenn ein Arbeitgeber darauf keinen Bock hat. Und dafür muss es Lösungen geben. Zum Beispiel, dass nicht zu jedem Furz die komplette Mannschaft alarmiert wird, sondern es für den Kleinkram, der locker die Hälfte der Einsätze ausmacht, kleinere Alarmierungsgruppen gibt. Oder dass die Kameraden, die diese kleinen Einsätze fahren, aus Gemeindeeigenen Einnrichtungen wie Verwaltung, Bauhof und hauptamtlichen Gerätewarten rekrutiert werden.

Und wenn du schon im Plural von den Abteilungen deiner Gemeinde sprichst, dann kann da auch einiges im Argen liegen.

Ich plaudere mal ein Bisschen aus dem Nähkästchen.

Ich bin Student an einer kleinen Uni. Die (rein freiwillige!) Feuerwache unser Uni-Stadt (Kernstadt: 25.000 Einwohner) ist ganze 100 m von den beiden Gebäuden, in denen ich mich tagsüber zumeist aufhalte. Ich wäre dort verdammt gerne als Ergänzung der Tagesalarmstärke gesehen. Und werde den Teufel tun, Mitglied dieser Abteilung zu werden. Warum? Weil die Führungsriege die Einsatzzahlen künstlich in die Höhe treibt.

Z.B. wurde die Abteilung meines Heimatdorfes am Neujahrstag zu einem "brennenden" Mülleimer alarmiert. Das war einer dieser öffentlichen Metall-Eimer, aus dem es ein Bisschen geraucht hat. Keine 200 m neben dem Feuerwehrhaus. Wir waren nach 5 Minuten in Staffelstärke vor Ort, haben kurz die Kübelspritze in den Eimer geleert und die Sache war erledigt. Nein, war sie nicht! Denn weitere 5 Minuten später kam die Wache 1 (die neben meiner Uni) mit 2x HLF, DLK und TLF angehupt. Voll besetzt, war ja Feiertag gewesen. 24 Kameraden zzgl. Führungsdienst ausgerückt und trotz "Feuer aus" nicht die Einsatzfahrt abgebrochen, weil die Wehrführung der Ortsteilfeuerwehr nichtmal zutraut, einen rauchenden Mülleimer zu löschen.

Und sowas ist hier leider an der Tagesordnung. Die Wache 1 muss unbedingt zu allem alarmiert werden, was irgendwo in der Gemeinde los ist. Ergebnis: Gute 400(!!!) Einsätze pro Jahr für eine FF, deren primärer Ausrückebereich ca. 25.000 Einwohner hat. Und das mache ich eben nicht mit. Habe ich auch explizit gesagt. Die Wehrführung sieht kein Problem und erst recht keinen Änderungsbedarf. Im Gegenteil, man kommuniziert offen, dass die Feuerwehr mit steigender Einsatzzahl ja auch mehr Geld vom Stadtrat bekommt.

Es gibt in der Wache 1 übrigens keine kleine Alarmschleife für Bagatelleinsätze. Sondern nur den einen Alarm für alle. Ja, es rückt ein kompletter Löschzug aus für 10 m² Ölspur oder für ein umgefallenes Bäumchen, das mit vier Händen von der Straße gezogen ist.

Wäre ich Arbeitgeber und mein Mitarbeiter würde mir erzählen, dass ein guter Teil seiner Einsätze eigentlich nur der Schwanzverlängerung der Wehrführung dient, hätte ich auch akuten Gesprächsbedarf.

anTTraXX  08.03.2023, 10:55

Das man für so eine scheiß denn noch genug freiwillige findet ist denn eigentlich auch schon ein Wunder.

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RedPanther  08.03.2023, 11:34
@anTTraXX

Jup, man hat ein ernstes Problem mit der Tagesverfügbarkeit.

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anTTraXX  08.03.2023, 11:36
@RedPanther

Ich kenne das ähnlich aus der Nachbarwehr, dort sind es in 2022 523 Einsätze, bei 30.000 Einwohner und einem Teilstück Autobahn, gewesen, aus der Konsequenz das man auf Verwaltungsebene nun entschieden hat, das es einen hauptamtlichen Löschzug geben muss. Denn selbst die Chefs der Bediensteten im öD haben kaum noch Verständnis aufbringen können .

Begeistert ist da denn aber auch keiner drüber.

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Meine Meinung dazu:

Naja... zunächst muss man ja mal sehen, dass es sich bei einer Freiwilligen Feuerwehr, die 150 Einsätze pro Jahr fährt, um eine größere, städtische FF handelt, vermutlic um eine Schwerpunktfeuerwehr mit entsprechender technischer Ausstattung, entsprechendem Fuhrpark und entsprechender Mannschaftsstärke

Dann muss man gucken, wie sich diese 150 Einsätze pro Jahr aufteilen. Wie bei wohl fast allen Feuerwehren besteht ein Großteil der Einsätze aus "Kleinkram" wie Mülleimer-/Containerbrände, BMA-Einläufe, der berühmten "Katze auf dem Baum", einer kleinen Ölspur oder einem umgestürzten Baum auf der Straße. Also alles Dinge, die mit max. einer Gruppe, teilweise auch mit einem Trupp erledigt werden können.

Wenn man also eine entsprechende AAO erstellt, dann bleibt für den einzelnen Feuerwehrangehörigen also nur ein Bruchteil der 150 Einsätze im Jahr, zu denen er auch wirklich alarmiert wird und ausrücken muss. Diese Zahl kann sich nochmal deutlich reduzieren, wenn die größere FF beispielsweise über einen oder mehrere hauptamtliche Gerätewarte oder andere städtische Mitabeiter verfügt, die als aktive FF-Mitglieder dann tagsüber kleine Einsätze eigenständig abarbeiten.

Betrachten muss man dann auch, wie viele der Einsätze während der Arbeitszeit stattfinden und wie viele außerhalb der regulären Arbeitszeit.

Natürlich ist kein Arbeitgeber begeistert, seine Mitarbeiter für Einsätze freistellen zu müssen... je mehr Einsätze das pro Jahr sind, desto schwieriger wird es.

Letztendlich kenne ich aber Feiwillige Feuerwehren mit 600 und mehr Einsätzen pro Jahr (bei ca. 125 Einsatzkräften), wo das mit den o.g. Mitteln (mehrere hauptamtliche Gerätewarte, die eigenständig Kleineinsätze übernehmen) und einer entsprechenden AAO mehr oder weniger problemlos läuft.

Ob es sich ein Abeitnehmer "leisten" kann, kommt letztendlich immer auf den Arbeitgeber und seine Einstellung zur Sache an. Finanzielle Nachteile hat man als Arbeitnehmer ja nicht, allerdings kann einem der Arbeitgeber das Leben natürlich schwer machen. Und da gibt es halt solche, denen ein oder zwei Einsätze pro Jahr schon zu viel sind und solche, für die auch 50 Einsätze pro Jahr in der Arbeitszeit kein Problem sind.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Stv. Wehrführer und Zugführer bei der Freiwilligen Feuerwehr
RedPanther  08.03.2023, 10:51
der berühmten "Katze auf dem Baum"

Haha, rate mal was ich gestern Abend gemacht habe xD

Wir waren tatsächlich in Gruppenstärke ausgelastet. Schiebleiter am einen Baum, Steckleiter am anderen Baum... Weil die Katze sich zwar nicht mehr am Stamm runter traute (war seit 4 Tagen oben!), aber zwischen den beiden Bäumen hin und her, das ging noch wunderbar. Und das Ganze auf einer nassen Wiese hinterm Haus.

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De jure ist die Sache klar: Vorgesetzte sind verpflichtet, den Arbeitnehmer für Einsätze und Ausbildung der freiwilligen Feuerwehr frei zustellen und bekommen dafür Gehaltsausgleich.

De facto ist kein Arbeitgeber darüber begeistert, wenn Arbeitnehmer mal eben so für unbestimmte Zeit verschwinden oder gleich ganz fernbleiben, egal ob sie dad Gehalt von der Kommune wieder bekommen. Es gibt darüber hinaus ne Menge Arbeitsstellen, die man einfach nicht verlassen KANN: Polizei, Rettungsdienst, Erzieher, Pflegekräfte, Ärzte, Landwirte, Tankstellen, etc. In den meisten Betrieben sind nicht mehr Mitarbeiter eingestellt als unbedingt notwendig. Fehlt dann einer, hat das erhebliche Auswirkungen, bis hinnzum Stillstand eines Betriebes oder einer Baustelle. Auf Dauer wird der Betriebsinhaber dann einen Weg suchen, den Mitarbeiter zu ersetzen.... dauerhaft aber.

Wenn du an der Tanke arbeitest und diese einfach mal eben so zumachst, machst du das nur einmal.

Ich kann die Arbeitgeber da sogar verstehen. Eine Leistungsfähige Feuerwehr aufzustellen, ist Sache der Kommune, nicht der Betriebe. Grade heute, wo die Feuerwehr für jeden Mist bestellt wird (BMAs am laufenden Band, Tragehilfen, First Responder, weil alle RTWs wieder mit Fußschmerzen seit acht Monaten unterwegs sind, Tauben einfangen, am besten noch Ölspuren) kann ich die Sichtweise der Arbeitgeber nachvollziehen. Bei Ausnahmelagen oder wenn wirklich Menschenleben in Gefahr sind, alles gut, aber das Tagesgeschäft muss eindeutig nicht von Mitgliedern der FF erledigt werden, die ihren Arbeitsplatz verlassen.

Man muss immer eines bedenken: der Arbeitgeber zahlt das Gehalt, nicht die FF.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung
Von Experte iwaniwanowitsch bestätigt
Meine Meinung dazu:
Kann es sich ein normaler Arbeitnehmer in Vollzeitbeschäftigung leisten, oft auf seiner Arbeitsstelle zu fehlen, um für die Freiwi-Feuerwehr im Einsatz zu sein?

In der Theorie ist es recht simpel: nach den Landesbrand- und Katastrophenschutzgesetzen sind Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren für Einsätze freizustellen - der Arbeitgeber hat entsprechend Erstattungsansprüche.

Dabei ist es egal, ob es fünf Mal im Jahr, oder hundertfünfzig Mal im Jahr der Fall ist.

In der Praxis...

...muss das Ganze auf jeden Fall mit dem Arbeitgeber abgeklärt werden. "Immer" geht nicht (und wird seitens der Wehr auch nicht verlangt) - die Konditionen sollten unbedingt für Arbeitnehmer und Arbeitgeber klar sein.

Ein kleiner Betrieb kann es sich tatsächlich oft nicht leisten, dass ständig Arbeit unplanmäßig liegen bleibt; da geht es schlicht ums wirtschaftliche Überleben.

Jemand, der ohnehin größtenteils im Homeoffice arbeitet und sich seine Arbeitszeit selbst einteilen kann hat da meist bessere Chancen als ein Lehrer, Erzieher oder eine Pflegefachkraft.

Ganz ohne Berücksichtigung der Gesamtumstände und etwaiger anderer Verpflichtungen geht es nicht.

LG

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Notfallsanitäter, Blogger, Medizinstudent
RedPanther  08.03.2023, 10:34
der Arbeitgeber hat entsprechend Erstattungsansprüche

Sehe ich nicht so. Ja, der Arbeitgeber hat Erstattungsansprüche, aber die betreffen nur den Arbeitslohn der Einsatzkraft und sind zumeist auch gedeckelt oder Pauschalen.

Wenn ein Mitarbeiter von 100 k Jahresgehalt (d.h. >60 € Stundenlohn) fehlt und deshalb auch noch Kunden nicht bedient werden können, abspringen (oder Konventionalstrafen einfordern!) und Umsatzausfälle entstehen, dann sind die z.B. 32 €/h, die es hier in Thüringen pauschal gibt, keine adäquate Erstattung.

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