Ist Deutschland dank des Russlandfeldzugs, der möglicherweise einen Erstschlag der UdSSR verhinderte, nicht zu einem Satellitenstaat der UdSSR geworden?

5 Antworten

Meiner Meinung nach ja. Aber das wird als geschichtsrevisionistisch abgetan. Meiner Vermutung nach, weil das in Richtung einer "Reinwaschung" des Dritten Reiches gehen könnte. Deswegen spielen bestimmte Dokumente, die das belegen, öffentlich auch keine Rolle.

Ich empfehle dazu die Bücher von Bernd Schwipper "Deutschland im Visier Stalins" & "Die Aufklärung der Bedrohung aus dem Osten" - Band 1 & 2, sowie "Verrat an der Ostfront" von Friedrich Georg.

Die These ist nicht neu, gilt aber in der Wissenschaft als widerlegt.

Die Präventivkriegsthese vertreten seit 2000 in Deutschland noch einige der extremen oder neuen Rechten zugeordnete Historiker, etwa Stefan Scheil. Die übrigen deutschsprachigen Historiker weisen deren Veröffentlichungen als methodisch unwissenschaftliche, revisionistische und semantische Entlastungsversuche zurück.[115] In Russland vertreten sie einige Journalisten, die sich dazu weiterhin auf den Präventivschlagsplan vom 15. Mai 1941 berufen und außer Acht lassen, dass Stalin diesen abgelehnt hat.[116]
2001 fasste Bernd Wegner den Forschungsstand zur These vom deutschen Präventivkrieg gegen die Sowjetunion zusammen. Das NS-Regime und das OKW hatten von 1939 bis 1941 keinerlei Sorge vor einem unmittelbar bevorstehenden Angriff der Sowjetunion: „Im Gegenteil: Hitler griff die Sowjetunion an, weil er die Rote Armee als schwach, nicht als stark erachtete.“ Der deutsche Generalstab deutete den Gegenaufmarsch der Roten Armee bis zuletzt defensiv. NS-Führer fürchteten allenfalls spätere Eroberungsabsichten Stalins, eben weil sich die Sowjetunion aus dem Weltkrieg heraushielt, um – so ihre Annahme – dessen Ergebnis für eigene Expansion auszunutzen. Diese Furcht sei zwar nicht ganz unrealistisch gewesen; aber latente oder potentielle Bedrohungen waren als Kriegsgrund völkerrechtlich ausgeschlossen, und der deutsche Angriff sollte keinen bestehenden Rechtszustand als ultima ratio bewahren, sondern Europa durch Eroberungen nach NS-Vorstellungen völlig verändern. Darum befürchtete Hitler ab Mai 1941 nur noch eine diplomatische Friedensinitiative Stalins. Die Rote Armee war 1941 wegen ihrer unvollendeten Reorganisation nicht zu Eroberungen fähig. Mit diesen Forschungsergebnissen sei die Präventivkriegsthese „wissenschaftlich erledigt“.[117]
Henning Köhler erklärte 2002 den Deutsch-Sowjetischen Krieg weniger aus Hitlers Programm, sondern eher aus seiner damaligen Machtpolitik: Hitler habe sich 1940 zu diesem Krieg entschlossen, um Großbritannien die Hoffnung auf einen „Festlandsdegen“ zu nehmen und es so zu einem Friedensschluss zu bewegen. Auch Köhler verwies darauf, dass das NS-Regime keinen sowjetischen Präventivschlag befürchtete. Dieser sei „vollkommen irreal angesichts der viel zu geringen Mobilität der sowjetischen Streitkräfte und ihrer ungelösten Nachschubprobleme“ gewesen.[118]
Der russische Historiker Sergei Slutsch wies 2004 im Detail nach, dass Stalins angebliche Rede vom 19. August 1939 eine Fälschung war. Er beurteilte ihre bis dahin häufige Heranziehung für die Präventivkriegsthese als aussichtslosen Versuch, „die Hauptverantwortung für diesen Krieg […] von Hitler auf Stalin zu verschieben, bei dem manche russische Historiker in antistalinistischem Übereifer und völliger Vernachlässigung der Maßstäbe von historiographischer Professionalität und Quellenkritik den apologetischen Tendenzen mancher deutschen Historiker und Publizisten in die Hände gespielt haben.“[119] Gleichwohl stützen sich rechtsextreme und neurechte Autoren weiter auf diese Fälschung.[120] Dieses Bestreiten eines Forschungsergebnisses kennzeichnet solche Veröffentlichungen.[121]
Manfred Hildermeier verwies 2007 darauf, dass
Stalin nach den raschen Siegen Deutschlands in Westeuropa seit 1940 vor einem Kriegseintritt auf Seiten Großbritanniens zurückscheute,
die Rote Armee 1940 wegen der „Säuberungen“ 1937/38 kaum noch angriffsfähig war, wie sich im Winterkrieg 1939/40 zeigte,
Stalin nach den ihm von Deutschland zugestandenen Besetzungen im Baltikum und in Südosteuropa keine weitere Expansion anstrebte, sondern Konsolidierung und Verteidigung;
er den Hitler-Stalin-Pakt und Wirtschaftsabkommen bis 22. Juni 1941 einhielt,
er trotz genauer Geheimdienst-Informationen den deutschen Truppenaufmarsch im Frühjahr 1941 falsch einschätzte und mit keinem Angriff rechnete,
die Rote Armee ihre organisatorische Schwäche bis Sommer 1941 nicht überwand, sondern gerade wegen ihrer offensiven Aufstellung anfangs überrollt werden konnte,
es keine konkreten und ausreichenden Angriffsvorbereitungen auf sowjetischer Seite gab und der dafür notwendige Befehl Stalins unbelegt ist, dafür aber seine Weigerung, Präventivschlagsplänen seiner Generäle zu folgen, belegt ist.
Darum gilt ein damaliger sowjetischer Angriffsplan gegen Deutschland nach wie vor als äußerst unwahrscheinlich. Dies schließt zugleich aus, dass der deutsche Angriff einem solchen damals angeblich akut bevorstehenden sowjetischen Angriff zuvorkam und diesen vereitelte, also auch unabhängig von den Zielen des NS-Regimes präventiven Charakter hatte.

Präventivkriegsthese – Wikipedia


Granada3 
Beitragsersteller
 09.12.2024, 21:20

Ok

Granada3 
Beitragsersteller
 09.12.2024, 21:15

Wieso gilt sie als widerlegt?

Die These, dass Nazideutschland einen Präventivkrieg gegen die Sowjetunion geführt hätte, ist einfach nur geschichtsrevisionistischer Unsinn. Die Nazis selbst haben ihren Krieg so gerechtfertigt, und nach der deutschen Niederlage haben Altnazis und Konservative versucht, damit ihre Schuld auf die bösen Kommunisten abzuladen, bevor Suwarow und andere diese alten Blendereien in den 80er Jahren mit falschen Zitaten wieder aufgewärmt haben.

Die Nazis haben schon lange vor ihrer Machtübernahme keinen Hehl daraus gemacht, dass zu ihren langfristigen Zielen die Zerstörung der Sowjetunion, die Vertreibung der dortigen Bevölkerung und die Schaffung von "Lebensraum im Osten" gehörten.

Der sowjetischen Führung war also sehr wohl bewusst, dass langfristig ein Krieg mit Nazideutschland unvermeidlich war und eben auch, dass die Sowjetunion militärisch und wirtschaftlich schwächer und damit klar im Nachteil war. Die sowjetische Strategie zielte darum darauf ab, Zeit zu gewinnen um überhaupt verteidigungsfähig zu werden.

Frankreich und Großbritannien förderten in den 30er Jahren die aggressive Expansion Deutschlands, weil auch sie sich die Zerstörung der Sowjetunion wünschten, denn die bloße Existenz eines Arbeiterstaates war eine unerträgliche Provokation für die kapitalistischen Großmächte. Noch 1939 hatte die Sowjetunion Polen und den Westmächten ein Verteidigungsbündnis angeboten, was ausgeschlagen wurde. Politisch völlig isoliert, versuchte die Sowjetunion mit dem Molotov-Ribbentrop-Pakt mit Deutschland die direkte Konfrontation herauszuzögern und durch die Schaffung von Pufferzonen seine Verteidigungsstellung zu bessern.

Noch 1941 war die Rote Armee schlecht ausgerüstet und unorganisiert, die massenhaften Säuberungen der meisten erfahrenen Offiziere lag erst 2 Jahre zurück. In diesem Zustand wäre sie gar nicht zu einem Angriffskrieg gegen Deutschland in der Lage gewesen. Stalin zielte weiter auf die Beschwichtigung Deutschlands, um Zeit zu gewinnen.

Frankreich hatte im Vorjahr innerhalb weniger Wochen kapituliert, aber Stalin rechnete damit, dass Deutschland die Sowjetunion erst angreifen würde, wenn auch Großbritannien ausgeschaltet war, und unterschätzte damit Hitlers Größenwahn. Als 1941 der deutsche Überraschungsangriff begann, war die sowjetische Führung überrumpelt und die Rote Armee unvorbereitet.

Auf dem besetzten sowjetischen Territorium richteten die Deutschen dann Kriegsverbrechen von gewaltigem Ausmaß an, ermordeten gezielt die jüdische Bevölkerung und ermordeten Millionen weitere Zivilisten und Kriegsgefangene durch Hunger und Zwangsarbeit. Dass die Sowjetunion nicht nur dem Angriff standhalten, sondern die Deutschen bis Berlin zurückwerfen würde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen.


Granada3 
Beitragsersteller
 09.12.2024, 17:33

Die UdSSR hätte Deutschland möglicherweise so oder so angegriffen? Polen hätte möglicherweise übrigens auch so oder so angegriffen? Gab es nicht möglicherweise bevor es zum Polenfeldzug kam polnische Verbrechen an Deutschen zwischen 1918 und 1939?

Es gibt interessante Zitate :

1930 schrieb die Zeitschrift Mocarstwoiwec:

„Wir sind uns bewußt, daß Krieg zwischen Polen und Deutschland nicht vermieden werden kann [...] Unser Ideal ist, Polen mit Grenzen an der Oder im Westen und der Neiße in der Lausitz abzurunden und Preußen vom Pregel bis zur Spree einzuverleiben. In diesem Krieg werden keine Gefangenen gemacht, es wird kein Platz für humanitäre Gefühle sein.“

Im Sommer 1939 sagte Marschall Rydz-Smigly:

„Polen will den Krieg mit Deutschland, und Deutschland wird ihn nicht verhindern können, selbst wenn es das wollte.“

Große Teile Deutschlands wurden faktisch zu Teilen der sowjetischen Einflusszone, also quasi zu Satelliten der Sowjetunion.


Granada3 
Beitragsersteller
 09.12.2024, 16:32

Der größere Teil jedoch nicht.

filmfan69  09.12.2024, 16:37
@Granada3

Ok, dann hättest du die Frage anders formulieren müssen.

Es war ein erheblicher Teil! Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Sachsen, Anhalt, Brandenburg, Thüringen, Mecklenburg, das ist ja nicht gerade wenig.

Granada3 
Beitragsersteller
 09.12.2024, 16:39
@filmfan69

Wäre Deutschland also ohne den Russlandfeldzug möglicherweise komplett an die Sowjets gefallen?

filmfan69  09.12.2024, 16:43
@Granada3

Glaube ich nicht. Ein wesentlicher Grund für die Rache der Sowjets, die sich in der Grausamkeit ihrer Kriegsführung und den enormen Gebietsverlusten niederschlug, war ja gerade die Aggression des Russlandfeldzugs.

Man kann von Nazi Deutschland halten was man will, aber den Kommunismus haben sie einen vernichtenden Schlag damals gegeben.

Die Sovietten hätten nicht die geringste Chance ohne USA, Britannien und Kanada gehabt.


DiegoderAeltere  09.12.2024, 17:21

Im Gegenteil: Zwischen 1941 und 1943 war die Sowjetunion praktisch der alleinige Gegner Deutschlands auf dem Kontinent, und es war die Sowjetunion, die in den Schlachten von Moskau und Stalingrad die deutsche Besiegbarkeit demonstrierte und die bis Kriegsende den höchsten Blutzoll und die größten Erfolge gegen Deutschland leistete.

userv1rg11  09.12.2024, 18:16
@DiegoderAeltere

Falsch! Deutschland kämpfte auch im Balkan zu der Zeit und hatte weitere Kriege gegen Frankreich, Polen, Niederlande und Belgien hinter sich.

Zudem agierten sie in Afrika.

DiegoderAeltere  09.12.2024, 19:10
@userv1rg11

Ich schrieb "zwischen 1941 und 1943" und "auf dem Kontinent". Polen wurde 1939 besetzt, die Niederlande, Belgien und Frankreich 1940 und Jugoslawien und Griechenland im April 1941 vor der Invasion der Sowjetunion. In den Kriegen gegen diese Länder wurde die deutsche Armee kaum geschwächt, umgekehrt nutzte sie aber die industriellen Kapazitäten der besetzten Gebiete im Kampf gegen die Sowjetunion.

Natürlich gab es gleichzeitig mit dem deutsch-sowjetischen Krieg einen Luft- und Seekrieg und den Landkrieg in Nordafrika, aber hier wurde nicht der Weltkrieg entschieden.

Vanessa63  09.12.2024, 16:59

Ja, toller "vernichtender Schlag". Die Soviets haben massiv an Einfluss und Gebiet gewonnen, bis nach Ostdeutschland (Was vorher noch Mitteldeutschland war, und auch noch bis in die 60er so genannt wurde).