Ist der Volkswille eine ontologische Größe?

3 Antworten

Wenn wir den Volkswillen als ontologische Größe betrachten wollen, müssten wir ihn als eine objektiv existierende Entität ansehen, die unabhängig von den individuellen Meinungen der Menschen existiert. Es müsste also einen "wahren" Volkswillen geben, der entdeckt werden kann. ;-)

...und, hast Du ihn bei deinem Volk entdeckt? Lass mich raten, bestimmt!

Der Volkswille ist stark subjektiv geprägt und hängt von den individuellen Wertvorstellungen und Erfahrungen der Menschen ab, er ist kein feststehendes Ding, sondern wird vielmehr durch soziale Prozesse und politische Auseinandersetzungen konstruiert. Es ist schwierig, den Volkswillen objektiv zu messen und zu quantifizieren.

...und nun?

LG aus Tel Aviv

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Globalgeschichte /Geopolitik

TheobaldWsrmn 
Beitragsersteller
 19.10.2024, 15:28

Ja, das ist das typische liberale Denken... Ja, ich vertrete die Auffassung, dass Homogenität und Eintracht im Willen bereits im Naturzustand des Menschen vorhanden sind, aber erst durch den Gesellschaftsvertrag (Contract Social) bewusst gemacht werden.

Stressika  19.10.2024, 15:42
@TheobaldWsrmn

Deine Antwort zeigt erneut deine Oberflächlichkeit und beweist das Du keinen Schimmer hast wovon Du überhaupt redest. Deine Auffassung ist keine Überzeugung, sondern ein lächerlicher Versuch Fakten zu verdrehen.

Deine "Antwort" oder was auch immer darstellen soll, bietet keine ausreichende Begründung für die Behauptung, dass der Volkswille eine ontologische Größe sei. Es wird lediglich ein Bezug zum liberalen Denken hergestellt und eine allgemeine These über den Naturzustand des Menschen aufgestellt. Deine Aussage vermischt verschiedene philosophische Konzepte, wie den Volkswillen, den Naturzustand und den Gesellschaftsvertrag, ohne diese klar voneinander abzugrenzen. Eine akademische Katastrophe...eigentlich sollte ich hier bereits meine Bemühungen einer sachlichen Klarstellung aufgeben, aber entgegen "meiner Natur" (Wortspiel) ziehe ich das jetzt eifrig durch. Deine Annahme oder besser dein Gefühl einer ursprünglichen Homogenität und Eintracht im menschlichen Willen ist eine starke Vereinfachung der vielschichtigen menschlichen Natur und ihrer sozialen Interaktionen. Deine faktenlose Behauptung, einer natürlichen Eintracht im Volkswillen kann dazu missbraucht werden, um politische Entscheidungen zu legitimieren und Opposition zu unterdrücken.

Die konstruktivistische Sichtweise erkennt, dass der der Volkswille kein statisches, sondern ein dynamisches Konstrukt ist, das sich in sozialen Prozessen und politischen Auseinandersetzungen ständig verändert. Aus Sicht des Pluralistischen ist dieser Wille heterogen und widersprüchlich, da er aus einer Vielzahl individueller Meinungen und Interessen besteht.

Wenn es Dir denn irgendwie möglich sein sollte, wäre ein Ansatz mit einer differenzierteren und nuancierten Betrachtung wünschenswert.

LG aus Tel Aviv

TheobaldWsrmn 
Beitragsersteller
 19.10.2024, 17:32
@Stressika

Mein Kommentar oben war im Grunde eine Antwort auf Schmitt. Schmitt argumentiert in Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), dass Einmütigkeit oder die volonté générale entweder naturhaft vorhanden ist oder eben nicht. In beiden Fällen hält er den Vertrag für sinnlos: Entweder er ist überflüssig, weil die Homogenität bereits besteht, oder er ist nutzlos, weil er keine echte Einheit schaffen kann. Den Gedanken des freien Vertrags, der Gegensätze überbrückt/vernichtet, lehnt Schmitt als liberalen Irrweg ab. Rousseaus volonté générale, so Schmitt, basiert in Wahrheit auf Homogenität, die nicht durch Verträge herstellbar ist. („Die Einmütigkeit ist ebenso wie die volonté générale entweder vorhanden oder nicht vorhanden, und zwar […] naturhaft vorhanden. Wo sie besteht, ist wegen ihrer Naturhaftigkeit der Vertrag sinnlos; wo sie nicht besteht, nützt kein Vertrag. Der Gedanke des freien Vertrages aller mit allen kommt aus einer ganz andern, gegensätzliche Interessen, Verschiedenheiten und Egoismen voraussetzenden Gedankenwelt, aus dem Liberalismus. Die volonté générale wie Rousseau sie konstruiert ist in Wahrheit Homogenität.“)

Trotz Schmitts Kritik sehe ich darin keinen unüberbrückbaren Widerspruch zwischen seinem und Rousseaus Konzept. Zwar mag Schmitt die volonté générale als naturhafte Homogenität verstehen, die einen Vertrag unnötig macht, doch Rousseaus Gesellschaftsvertrag stellt eben keinen liberalen Vertrag dar, der auf der Versöhnung gegensätzlicher Interessen basiert. Vielmehr ist der Gesellschaftsvertrag bei Rousseau ein bewusstes politisches Instrument, das die natürlichen Eigenschaften und gemeinsamen Tendenzen der Menschen in eine Form bringt, die diese in einer politischen Gemeinschaft ausdrückt. Nur so kann es letztlich zur - auch von Schmitt beschworenen - Einmündigkeit kommen.

Der Gesellschaftsvertrag ersetzt also bei Rousseau außerdem den „Lügenvertrag“ des Liberalismus, indem er nicht auf dem Ausgleich widerstreitender Egoismen beruht, sondern die bereits vorhandene Natur des Menschen politisch manifestiert. Die volonté générale ist somit kein künstlicher Akt, der die menschliche Natur negiert, sondern im Gegenteil, sie verwirklicht diese Natur in bewusster, kollektiver Form. Der Vertrag ist hier weniger ein Instrument, das Widersprüche überbrücken soll, sondern vielmehr eine Form, die den natürlichen menschlichen Willen zur politischen Einheit bringt und ihn somit zur vollen Entfaltung bringt.

Stressika  19.10.2024, 17:49
@TheobaldWsrmn

Da habe ich gleich wieder einige Fragen zu deinem Beitrag, die sich mir erneut nicht erschließen. Wenn die volonté générale eine natürliche Eigenschaft ist, wie kann sie dann durch einen Vertrag geformt werden? Ist die Natur hier nicht statisch und unveränderlich? Wie verhält sich das Individuum zur volonté générale in Rousseaus Modell und wird die individuelle Freiheit zugunsten des Kollektivwillens aufgegeben? Wie kann eine Gesellschaft, die auf Homogenität basiert, wirklich Pluralismus und unterschiedliche Interessen tolerieren?

Festhalten möchte ich aber gleich, dass Schmitt als auch Rousseau in sehr unterschiedlichen historischen Kontexten schrieben, das dies ihre jeweiligen Konzepte und die Kritikpunkte, die Schmitt an Rousseau äußert, beeinflusst, sollte berücksichtigt werden, zudem verwenden Schmitt und Rousseau unterschiedliche methodische Ansätze. Schmitt ist bekannt für seine juristische und politische Philosophie, während Rousseau eher philosophische und soziologische Aspekte betont. Beide Konzepte haben erhebliche politische Implikationen. Während Rousseau eine demokratische Theorie entwickelt, hat Schmitts Konzept des politischen oft totalitäre Züge.

Gruß aus Tel Aviv

TheobaldWsrmn 
Beitragsersteller
 19.10.2024, 18:18
@Stressika

Wenn die volonté générale eine natürliche Eigenschaft ist, wie kann sie dann durch einen Vertrag geformt werden? - Das muss sie nicht. Viel mehr muss die Gesellschaft so gestaltet werden, sodass Partikularinteressen keine Rolle mehr spielen können. Ist die Natur hier nicht statisch und unveränderlich? - Ja, ist sie. Letztlich ist es die Zivilisation, das Geld und die Gier die den Menschen verderben. Seine eigentlich Natur ist aber gut. Wie verhält sich das Individuum zur volonté générale in Rousseaus Modell und wird die individuelle Freiheit zugunsten des Kollektivwillens aufgegeben? - Das Individuum verwirklicht die volonté générale durch den contract social, In der Selbstentäußerung im contract social gewinnen das Individuum durch den Verzicht auf ihre individuelle Freiheit eine neue, bürgerliche Freiheit (la liberté civile) – eine Autonomie, die nicht in der absoluten Unabhängigkeit, sondern in der Teilnahme am Gemeinwesen und der Gleichberechtigung aller Bürger liegt. Wie kann eine Gesellschaft, die auf Homogenität basiert, wirklich Pluralismus und unterschiedliche Interessen tolerieren? - Das kann sie nicht. Während Rousseau eine demokratische Theorie entwickelt, hat Schmitts Konzept des politischen oft totalitäre Züge. - Rousseau ist kein Demokrat - zumindest nicht im liberalen Sinne. Außerdem ist schon Rousseau totalitär. Teilhabe in der Gesellschaft ist bei Rousseau nur durch Entäußerung möglich. Schmitt erweitert das Ganze lediglich um einige Elemente.

Stressika  22.10.2024, 09:59
@TheobaldWsrmn

Die Vorstellung, dass die volonté générale statisch und unveränderlich ist, greift zu kurz. Rousseau versteht sie als einen dynamischen Prozess, der sich im Laufe der Zeit und in Abhängigkeit von den veränderten Umständen der Gesellschaft weiterentwickelt. Die Behauptung, das Individuum verwirkliche die volonté générale durch den Gesellschaftsvertrag, ist zutreffend. Allerdings ist die Beziehung zwischen Individuum und Kollektiv komplex und beinhaltet sowohl Aspekte der Übereinstimmung als auch des Konflikts. Die individuelle Freiheit wird nicht aufgegeben, sondern transformiert in eine neue Form der Freiheit, die im Gemeinwesen verwirklicht wird.

Der Widerspruch zwischen Homogenität und Pluralismus ist ein zentraler Punkt in Rousseaus Theorie. Rousseau idealisiert eine homogene Gesellschaft, in der alle Bürger den Gemeinwillen teilen. Allerdings erkennt er auch die Existenz von unterschiedlichen Interessen an und versucht, diese durch die politische Beteiligung der Bürger zu überwinden. Die Behauptung, Rousseau sei ein Demokrat im liberalen Sinne, ist umstritten. Seine Vorstellungen vom Gemeinwillen und der direkten Demokratie können tatsächlich totalitäre Züge annehmen, wenn sie nicht durch entsprechende Institutionen und Mechanismen begrenzt werden.

Der Vergleich mit Carl Schmitt ist interessant, allerdings gibt es auch erhebliche Unterschiede zwischen beiden, insbesondere hinsichtlich ihrer Konzeption von Demokratie und Souveränität. Rousseaus Ideen haben sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die politische Entwicklung gehabt. Seine Betonung der Volkssouveränität und der Gleichheit aller Bürger hat zur Entstehung moderner Demokratien beigetragen. Gleichzeitig können seine Vorstellungen vom Gemeinwillen und der direkten Demokratie auch als Vorläufer totalitärer Ideologien interpretiert werden.

Rousseau sieht in der Zivilisation die Ursache für die Entfremdung des Menschen von seiner natürlichen Güte, er idealisiert den Zustand des Menschen vor der Zivilisation und sieht in ihm ein Vorbild für eine gute Gesellschaft. Rousseau betont die Bedeutung des Gesetzes als Ausdruck des Gemeinwillens.

LG aus Tel Aviv

Das ist eigentlich die Frage, ob dem Volkswillen eine Faktizität zuzubilligen ist oder nicht, ob er existiert und ihm eine Bedeutung beizumessen ist.

Artikuliert sich der Volkswille, dann ist er durch das gesellschaftliche Bewusstsein bestimmt, das sich während der sozialen Interaktion und Kommunikation entwickelt hat und als Prozess nie abgeschlossen sein wird.

Das würde voraussetzen, dass es ihn gibt. Der Begriff ist aber noch schwammiger als die »Leitkultur«. Der »Volkswille« ist eine Worthülse der politischen Propaganda.