Gibt es ein Geschlecht?

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Geschlecht bezeichnet die Kategorie der Eigenschaften weiblich und männlich. Ein Stier beispielsweise hat ein Geschlecht und das ist männlich. So wie Schnee eine Farbe hat, nämlich weiß.

Weder "weiß" noch "männlich" existieren real. Es "existieren" also keine Geschlechter. Sie sind lediglich Eigenschaften von (realen und linguistischen) Objekten.

Dabei könn sich die Geschlechter auf unterschiedliche Eigenschaften beziehen:

Biologisches Geschlecht

Das ist die Art von Geschlecht, die in Aussagen wie den folgenden vorkommt.

  • Ein Hahn ist ein männliches Huhn.
  • Die geschlechtliche Fortpflanzung macht Arten anpassungsfähiger.
  • Ein erwachsener, männlicher Mensch ist ein Mann.
  • Bei Seepferdchen werden die Männchen trächtig.
  • Clownfische können ihr Geschlecht von männlich zu weiblich wechseln.
  • Marihuana wird aus Blüten der weiblichen Hanfpflanze gewonnen.

Worauf sich das Geschlecht in allen diesen Aussagen bezieht, das sind (Größen)unterschiede in den Keimzellen der Organismen (Anisogamie). Hierbei werden die Organismen, welche darauf angelegt sind, die kleineren Keimzellen (Spermien oder Pollen) produzieren, männlich genannt. Diejenigen Organismen, welche darauf angelegt sind, die größeren Keimzellen (Eizellen) zu produzieren, weiblich genannt:

To a biologist, "male" means making small gametes, and "female" means making large gametes. Period! By definition, the smaller of the two gametes is called a sperm, and the larger an egg. Beyond gamete size, biologists don't recognize any other universal difference between male and female.

Roughgarden, J. (2013). Sex versus Gender. In Evolution’s Rainbow: Diversity, Gender, and Sexuality in Nature and People. University of California Press.

Joan Roughgarden ist Prof. em. für Biologie, Editorin mehrerer Fachjournale für Biologie und selbst eine Trans-Frau. Das zitierte Buch von ihr beschäftigt sich auf über 500 Seiten mit der Vielfalt der Geschlechter in Tier- und Pflanzenwelt sowie der menschlichen Gesellschaft.

Es gibt innerhalb einer Art immer nur zwei Geschlechter. Wobei bei vielen Arten ein einzelnes Individuum auch beide Geschlechter haben kann. Eine einzelne Wassermelonenpflanze beispielsweise bildet zugleich männliche und weibliche Blüten aus.

Grammatikalisches Geschlecht

Englisch "gender", deutsch "Genus"

Im deutschen und englischen werden drei Genus unterschieden: weiblich, männlich, neutral (she, he, it / die, der, das). Im Spanischen zwei (la, el)

Im deutschen geht es dabei allerdings ziemlich durcheinander und biologisches und grammatikalisches Geschlecht stimmen regelmäßig nicht überein: Die Frau, der Mann, das Mädchen, die Person, der Mensch, das Individuum, der Tisch, der Mond, die Sonne… Der Diminutiv ist immer neutral: Das Männchen, das Weibchen, das Knäblein, das Tischlein…

Personenstandsregister

Dort gibt es drei mögliche Geschlechtseinträge: weiblich, männlich, divers. Außerdem besteht die Möglichkeit, den Eintrag leer zu lassen. Divers ist nicht mit "intersexuell" gleichzusetzen. Siehe dazu auch weiter unten.

Geschlechtsmerkmale

Primäre Geschlechtsmerkmale sind diejenigen Unterschiede zwischen den zwei (biologischen) Geschlechtern einer Art, welche direkt der Fortpflanzung dienen. Beim Menschen sind dies Eierstöcke, Eileiter, Gebärmutter, oberer Anteil der Scheide, Vulva bzw. Hoden, Nebenhoden, Samenleiter, Bläschendrüse, Prostata, Penis. Diese sind, wenn keine DSD (disorder of sex development / Störung der Geschlechtsentwicklung) vorliegt eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen.

Sekundäre und tertiäre Geschlechtsmerkmale dienen nicht unmittelbar der Fortpflanzung oder sind unbedeutend für die Fortpflanzung. Beispiele sind die Brustdrüse, Beckenform, Knochendichte, Körpergröße, Lungenvolumen, Verhalten, Behaarung. In diesen Merkmalen gibt es zwar statistische Unterschiede zwischen den zwei Geschlechtern. Es gibt aber keine scharfe Trennung zwischen den Geschlechtern in der Merkmalsausprägung: Männer sind zwar im Durchschnitt größer als Frauen. Es gibt aber auch Frauen, die größer als 180cm sind und Männer, die kleiner als 160cm sind.

Störungen der Geschlechtsentwicklung

Oft werden irrtümlicherweise Störungen der Geschlechtsentwicklung angeführt als Beispiel dafür, dass es auch Menschen gäbe, die keinem bzw. einem dritten biologischen Geschlecht zuzuordnen wären. Oft wird hierfür der veraltete und irreführende Begriff "Intersexualität" gebraucht. Siehe hierzu das Consensus Statement der Lawson Wilkins Pediatric Endocrine Society und der European Society for Paediatric Endocrinology aus 2006:

Advances in identification of molecular genetic causes of abnormal sex with heightened awareness of ethical issues and patient advocacy concerns necessitate a re-examination of nomenclature. Terms such as intersex, pseudohermaphroditism, hermaphroditism, sex reversal, and gender based diagnostic labels are particularly controversial. These terms are perceived as potentially pejorative by patients, and can be confusing to practitioners and parents alike.

Der Begriff "intersex" suggeriert, betroffene Menschen wären inter, also zwischen den Geschlechtern, einzuordnen. Dies trifft in manchen Fällen tatsächlich auf einige Geschlechtsmerkmale zu, betrifft jedoch nie das eigentliche biologische Geschlecht, also die Keimdrüsen (Gonaden) oder Keimzellen, wie auch diese wissenschaftliche Stellungnahme der Endocrine Society betont:

The classical biological definition of the 2 sexes is that females have ovaries and make larger female gametes (eggs), whereas males have testes and make smaller male gametes (sperm); the 2 gametes fertilize to form the zygote, which has the potential to become a new individual. The advantage of this simple definition is first that it can be applied universally to any species of sexually reproducing organism. Second, it is a bedrock concept of evolution, …

Bhargava A, Arnold AP, Bangasser DA, Denton KM, Gupta A, Hilliard Krause LM, Mayer EA, McCarthy M, Miller WL, Raznahan A, Verma R. Considering Sex as a Biological Variable in Basic and Clinical Studies: An Endocrine Society Scientific Statement. Endocr Rev. 2021 May 25;42(3):219-258.

Die Endocrine Society ist Fachgesellschaft für Endokrinologie, also ein medizinisches Fachgebiet, welches sich in besonderem Maße mit DSDs / "Intersexualität" beschäftigt.

Betroffene Menschen selbst sehen sich ebenfalls fast immer als männlich oder weiblich und nicht als "zwischen den Geschlechtern".

Gender / soziales Geschlecht

Der Begriff Gender wird häufig als Gegenstück zum biologischen Geschlecht gebraucht und soll ein soziales Geschlecht bezeichnen. Hierunter fällt ein weites Spektrum an geschlechtsbezogenen Verhaltensweisen (Geschlechterrollen, Geschlechtspräsentation wie Kleidung, Frisur, Makeup, …), geschlechtsbezogene Erwartungen, Geschlechtsidentität, geschlechtsbezogene Prägungen, geschlechtsbezogene Diskriminierung, …

Was in diesem Kontext geschlechtsbezogen heißt oder heißen sollte ist Gegenstand aktueller akademischer Arbeiten und öffentlicher Diskussion. Hiervon wird es letztlich abhängen, wie viele verschiedene "Gender" es gibt.

Einen Überblick über Arbeiten zu dem Thema gibt

Bogardus, T. (2020). Some Internal Problems with Revisionary Gender Concepts. Philosophia 48 (1):55-75.

Insbesondere der Begriff Gender, aber auch Geschlecht, Mann, Frau, sind in diesem Kontext inzwischen so umstritten, dass man mit ihnen nicht mehr verständlich kommunizieren kann. Sie sollten in diesem Kontext gemieden werden und stattdessen klar definierte Begriffe wie biologisches Geschlecht, Geschlechtspräsentation, -rolle, -merkmale, -identität, Männchen, Weibchen, … verwendet werden.

es gibt das Wort "geschlecht". Das hat viele verschiedene Bedeutung, zb auch sowas wie "adelsgeschlecht" in dem Geschlecht für Familie steht.

Für unsere Zwecke hat es generell ZWEI bedeutungen. Die MEDIZINISCHE Bedeutung in der sie sich auf Biologie, Chromosome, Geschlechtsmerkmale, usw bezieht. Und die zweite, in der es darum geht ob ich jemanden "Herrn xy" oder "Frau xy" nennen sollte, ob ich als "er" oder "sie" über einen Freund von mir spreche oder sonst was. Die SOZIALE/GESELLSCHAFTLICHE Bedeutung des Begriffs.

Wenn wir über "geschlecht" reden meinen wir in 90% der Fälle das soziale Geschlecht, auch gender genannt. Auch wenn Leute behaupten immer die Biologie zu meinen, das ist Unsinn: Der Mensch vor dir den du als "Frau" wahrnimmst ist sehr wahrscheinlich eine Frau, du hast aber keine Ahnung welche Chromosome die Person hat. Du gehst nach äußerem, nach den GESELLSCHAFTLICHEN MERKMALEN der Geschlechter die du kennst (zb Makeup, Klamottenwahl, Art zu sprechen, usw usw, unendlich viel).

Es gibt also 2 biologische Geschlechter, die außerhalb von medizinischen und biologischen Fachkreisen relativ irrelevant sind, und es gibt das soziale Geschlecht das ziemlich relevant ist für das Zusammenleben in der Gesellschaft :)

Ich hoffe ich konnte dir weiterhelfen!


Onesimus  17.06.2023, 23:08
Wenn wir über "geschlecht" reden meinen wir in 90% der Fälle das soziale Geschlecht

Die These ist mir sympathisch. Ich denke inzwischen allerdings, dass sie (leider?) falsch ist. Obwohl sie schwer zu prüfen ist, da soziales und biologisches Geschlecht zu >99% übereinstimmen, lassen sich einige Indizien finden, die ihr deutlich widersprechen:

Selbst wenn Männer und Frauen die Rollen tauschen, nennen wir weiterin die biologisch männlichen Menschen Mann und entsprechend für Frau. Siehe z.B. den entsprechenden Kurzfilm majorite opprimee

Der Mensch vor dir den du als "Frau" wahrnimmst ist sehr wahrscheinlich eine Frau

Richtig. Im unwahrscheinlichen Fall, dass der Mensch keine Frau ist, hätte ich mich getäuscht.

du hast aber keine Ahnung welche Chromosome die Person hat.

Doch! Wenn ich mit hoher Sicherheit das biologische Geschlecht einschätzen kann, dann kann ich auch die Chromosomen und (viel relevanter) die Keimzellen mit ähnlich hoher Sicherheit einschätzen.

Du gehst nach äußerem, nach den GESELLSCHAFTLICHEN MERKMALEN der Geschlechter die du kennst

Ja, das stimmt oft. Spannend wird das aber erst, wenn "gesellschaftliche" Merkmale und biologisches Geschlecht von einander abweichen. Wenn ich nun eine (cis-)Frau auf dem Bau im Overall und mit kurzen Haaren und festem Schritt sehe und sie aufgrund dieser Merkmale als Mann einschätze, täusche ich mich dann oder liege ich richtig?

biologische Geschlechter, die außerhalb von medizinischen und biologischen Fachkreisen relativ irrelevant sind,

Ich würde noch Fortpflanzung und Sexualität ergänzen, die doch auch außerhalb von Fachkreisen relevant sind.

Ansonsten gebe ich dir recht. Das biologische Geschlecht ist im Alltag wenig relevant.

das soziale Geschlecht das ziemlich relevant ist für das Zusammenleben in der Gesellschaft :)

Das dachte ich auch. Habe inzwischen aber starke Zweifel. "soziales Geschlecht" ist sehr vielfältig und uneindeutig. Es gibt an "sozial weiblichen" höchst unterschiedlighe Stereotypen unter anderem: Krankenschwester Rabiata, Sirenen, liebende Mutter, böse Stiefmutter. Bei männlichen: Böser Ziehvater, Heiratsschwindler, strenger Lehrer, ... Man wird mit diesen Stereotypen im Alltag sehr unterschiedlich umgehen, jedoch nicht aufgrund ihres "sozialen Geschlechts", sondern aufgrund ganz anderer geschlechtsunabhängiger Charakterzüge.

Wo ist also die Relevanz des "sozialen Geschlechts"? Du nennst da nur:

ob ich jemanden "Herrn xy" oder "Frau xy" nennen sollte, ob ich als "er" oder "sie" über einen Freund von mir spreche oder sonst was.

Aber das ist nicht soziales, sondern grammatikalisches Geschlecht (Genus).

Und das finde ich wenig relevant. Sobald ich den Namen einer Person kenne, kenne ich das Genus und kann die entsprechenden Artikel und Pronomen verwenden.

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Nein gibts nicht.
Es gibt daher auch keinen Geschlechtsverkehr.


Horus737  26.06.2023, 18:14

und keine Fortpflanzung !

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Das biologische Geschlecht gibt es von der Natur aus.

Das soziale Geschlecht hat der Mensch erfunden.

Woher ich das weiß:Hobby