Findet ihr die Wahlrechtsreform der Ampel gut?
Die Wahlkreisgewinner von Mannheim, Heidelberg und Rhein-Neckar kommen nicht in den Bundestag.
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw09-wahlkreis-unbesetzt-1055568
16 Antworten
Hallo,
wir haben in Deutschland sozusagen eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht.
Dies finde ich grundsätzlich schon in Ordnung:
Dort, wo ein reines Mehrheitswahlrecht herrscht, im Vereinigten Königreich oder den USA zB, da gibt es das nicht, was du beklagt: wer einen Wahlkreis gewinnt, ist gewählt. Andererseits gibt es auch Effekte, die ich äußerst ungut finde. Wenn eine Seite in manchen Wahlkreisen sehr deutlich gewinnt, die andere dafür in den restlichen, wenn auch nur äußerst knapp, dann kann es durchaus sein, dass die Wahlsieger weniger Stimmen bekommen haben als die Verlierer. So war es zB bei der ersten Amtszeit von Donald Trump: mehr Amerikaner hatten für Hillary Clinton gestimmt als für Trump, aber die Stimmen verteilten sich eben so, dass sie mehr Wahlmänner für Trump ergaben. Außerdem zeigt sich, dass dieses Wahlrecht dazu führt, dass sich Zwei-Parteien-Systeme entwickeln. In den USA gibt es die Demokraten und die Republikaner, in UK Labour und die Konservativen, sonst praktisch nichts von dauerhafter Bedeutung. Eine relativ vielfältige Parteienlandschaft wie bei uns ist dort nicht vorhanden. Wer sich politisch engagieren möchte, muss sich mangels Alternativen notgedrungen einem der beiden großen Blöcke anschließen, auch wenn man mit vielen ihrer Positionen sicher nicht einverstanden sein wird. Dass sich im Verlauf der Jahrzehnte neue Parteien entwickeln können, die dann auch den Einzug ins Parlament schaffen und dort ihre Positionen vertreten können, gibt es kaum jemals.
Andererseits hat man auch versucht, einen Vorteil des Mehrheitswahlrechts in unser System einzubauen: über die Erststimme hat man als Wähler die Chance, jemanden aus der eigenen Region als Vertretung für diese ins Parlament zu wählen.
In den letzten Jahren gab es bekanntlich in immer stärkerem Maße den Effekt, dass manche Parteien viele Wahlkreise gewonnen haben (wenn auch gelegentlich mit nicht sehr strahlenden Ergebnissen) und auf diesem Weg mehr Abgeordnete ins Parlament entsandt haben als ihnen nach dem Anteil der abgegebenen Stimmen zustünden. Dies fand nach dem alten Wahlrecht zwar statt, wurde aber ausgeglichen, indem auch die anderen in den Bundestag gewählten Parteien zusätzliche Sitze erhielten. Und zwar so viele, dass die Zahl der Sitze aller vertretenen Parteien wieder dem Stimmenanteil entsprach. Dass der Bundestag dadurch immer größer wurde, zuletzt deutlich über 700 Abgeordnete, wurde nach meiner Beobachtung wegen der "enormen Kosten" gerade auch von denen beklagt, die jetzt gegen die Neuregelung sind.
Ja, nach dieser Neuregelung ziehen nicht mehr alle ein, die ihren Wahlkreis gewonnen haben. Das sind dann diejenigen mit dem schlechtesten Ergebnis der betroffenen Parteien. Sicher ist das ungut, und ein Nachteil dieses Systems. Aber was heißt das genau in der Praxis? Ich habe eben nachgesehen: die "Gewinnerin" des Wahlkreises Mannheim hat gerade mal 24,7 % der Erststimmen bekommen, die Zweitplatzierte lag 2,2 Prozentpunkte dahinter. In den Bundestag einziehen, weil man sich damit "durchgesetzt" hat, dass weniger als ein Viertel der im Wahlkreis abgegeben Stimmen erhalten hat?
Ich bin unbedingt dafür, das Verhältniswahlrecht als übergeordnetes Prinzip beizubehalten. Ein völlig undurchdachter Vorschlag vielleicht von mir zur Diskussion:
Als Direktkandidat zieht in den Bundestag nur ein, wer in einem Wahlkreis mehr als 50 % der abgegebenen Stimmen erhalten hat. Da könnte man dann wirklich sagen, dass diese Person mit Mehrheit gewählt ist. Die restlichen Sitze werden so aufgefüllt, dass die Besetzung des Bundestages den Anteilen der abgegeben Stimmen entspricht.
Nein, ich halte die Wahlrechtsreform in ihrer Umsetzung für falsch. Dass Reformen nötig waren, kann ich nachvollziehen, aber dass diese auf Kosten der Erststimmen geschehen, nicht.
Die Erststimmen sind von allen Dingen am nächsten an einer direkten Demokratie, einer Demokratieform, die wir meiner Meinung nach so gut wie möglich umsetzen und ausbauen sollten.
Bin ein bisschen zwiegespalten. Allerdings finde ich den aufgeblähten Bundestag auch nicht gut. Was das kostet! Das größte Parlament der Welt!
Man muss allerdings sagen, dass die Union vorher ganze 4 Legislaturperioden Zeit hatte, das Wahlrecht zu reformieren und nichts getan hat. 16 Jahre lang die Hände in den Schoß legen und sich dann beschweren, wenn jemand anderes es dann nicht so umsetzt, wie man es sich selbst vorstellte.
Naja, betroffen sind im Grunde alle Parteien, die im neuen Bundestag vertreten sind: aufgrund der Verkleinerung können alle nur weniger Abgeordnete entsenden als sie zuvor gekonnt hätten, manche halt "nur" Listenkandidaten, andere auch Stimmkreiskandidaten.
Das ist extrem schlecht, war aber auch schon vor der Wahl bekannt, dass es so passieren kann. Die Zahl der Abgeordneten muss auch auf andere Weise reduziert werden. Es braucht also eine Reform der Reform, wie Merz ja schon angekündigt hat.
Das ist zwar schon in gewisser Weise schade, aber ich sehe es so:
- Viele überschätzen die Wirkung oder Notwendigkeit eines eigenen Wahlkreisabgeordneten. Die Lebensverhältnisse innerhalb eines Bundeslandes sind nicht so dermaßen unterschiedlich, dass jeder Wahlkreis im Bund einen Vertreter haben muss und die Bundespolitik sowieso sich wenig mit den Belangen bestimmter Wahlkreise beschäftigt, sondern bundesweite Regelungen trifft. Im Landtag ist das meines Erachtens eher noch relevant.
- Andere Parteien haben ja über die Listen noch Abgeordnete, die aus einem Wahlkreis kommen. Vollkommen verwaiste Wahlkreise sind dementsprechend noch seltener.
- Die Wahlkreissieger haben ja seltenst eine absolute Mehrheit. Wenn jemand mit +/- 30% Wahlkreissieger wird, ist dessen demokratische Legitimation nicht sonderlich hoch.
Wenn man aber doch wieder zurück will und die Erststimme stärken, wäre meines Erachtens eine Präferenzwahl zielführender. Präferenzwahl – Wikipedia Das ist quasi eine Wahl mit integrierter Stichwahl, damit der wirkliche Wählerwille besser abgebildet wird.
Relative Mehrheiten find ich immer fragwürdig... Wenn z.B. in einem Wahlkreis das Ergebnis so lauten würde: CDU 30%, AfD 10%, SPD 29%, Grüne 20%, Linke 5% --> Hier ginge das Direktmandat bisher an die CDU, obwohl nur 1% mehr als die SPD. Aber eigentlich hat der Wahlkreis tendenziell eine Mehrheit im linken Spektrum.
es hätte auch auf Kosten der Listenkandidaten gekürzt werden können, aber die Ampelparteien wollten der Union schaden, die bei Direktkandidaten stark ist und das ist ihnen gelungen, es sind fast nur CDU-Kandidaten betroffen