Findet ihr die Pferdehaltung art- bzw. tiergerecht?

6 Antworten

Das schöne ist, dass es nicht "die" Pferdehaltung gibt.

Ich selbst würde kein Pferd mehr in eine Box stellen. Die Nachteile der Stehzeiten - ja, aber über Nacht... - sind mir zu gravierend.

Gebisse sind nicht schlimm und Sättel schützen das Pferd. Wenn wir es schon Reiten, müssen wir es auch vor vorzeitigem Verschleiß schützen. Sowohl über Gymnastizierung als auch über anständige Ausrüstung. Ein Gebiss verändert die Kommunikation mit dem Pferd.

Als Huforthopädin bin ich kein Freund von Beschlag, der trotzdem in absolut seltenen Fällen sinnvoll sein kann - Einzelfälle, lange nicht so viele, wie auch einen Beschlag tragen.

Es gibt durchaus einige Wege, seine Pferde gesund und weitestgehend artgerecht zu halten.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Langjährige Pferdehaltung, Huforthopädin
Dahika  06.05.2022, 10:44

artgerecht nicht, denn auch bei 24/7 Weidegang fehlt dann der Silberlöwe.

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mal danke für die frage. gut gestellt und schön ausformuliert und bei keinem wort muss man raten, was gemeint ist.

es fängt damit an, dass das pferd kein herdentier ist, sondern in kleingruppen mit ausgesprochen komplexen sozialen strukturen lebt.

das leben mit nur einem einzigen andern artgenossen oder das leben mit vielen andern artgenossen auf zu engem raum bedeutet grossen stress für pferde.

pferde sind hypersoziale tiere, die von sich aus kontakt zu andern hypersozialen spezies aufnehmen und mit diesen auch sozial interagieren, also nicht zweckgebunden, sondern sozusagen in iher "freizeit". das können menschen sein, katzen und etliche andere. sehr beliebt sind auch ziegen.

das mit dem reiten lässt sich nur mit einem eindeutigen jein beantworten.

es gibt pferderassen, die fürs reiten gezüchtet werden und entsprechende anatomische und wesenseigenschaften besitzen. es gibt andere pferderassen, die für leichte und welche, die für schwere zugarbeit geeignet sind. es gibt einige wenige pferderassen, die allrounder sind.

für mich liegt das problem darin, dass viele, wenn nicht die meisten pferdebesitzer eklatant geringes wissen über bedürfnisse, eigenschaften und psyche von pferden haben. noch grösser ist das problem, dass es viele auch nicht interessiert. daraus resultieren abenteuerliche vorstellungen und vorlieben. zum beispiel werden sogenannte tinkerpferde immer beliebter bei freizeitreitern, obwohl sie zum reiten gar nicht geeignet sind oder einem 12jährigen mädchen stellt man als erstes pferd ein fast 1,80m schulterhöhe grosses sportpferd und lässt sie damit mehr oder weniger alleine und wundert sich dann, dass das schiefgeht.

leith ryan, australischer pferdemediziner und langjähriger zertifizierter manueller pferdedentist spricht in diesem zusammenhang von "pumpkins on elephants", also einer offensichtlichen disharmonie von grösse und temperament zwischen reiter und pferd.

ein grossteil der reiterei basiert auf wunschdenken. damit hast du mit dem romantischen flair absolut recht. was nicht passt, ist ein problem. oder es wird eben passend gemacht. ganz gedankenlos greifen reiter, um ihr pferd "in den griff zu kriegen", zu marterinstrumenten, die mittelalterlichen streckbänken und daumenschrauben schon sehr nahe kommen.

der fantasie, sich solche qualmechanismen auszudenken, sind fast keine grenzen gesetzt. man sieht nur, wie das pferd sich verhält, aber nicht warum es das tut. so meint man probleme zu lösen und schafft dabei eine missgestaltung zwischen mensch und tier.

wären pferde nur einen hauch weniger hypersozial, würden sie sich wehren.

der mensch liebt pferde, weil sie sind, wie sie sind. und er quält sie, ohne sich gedanken zu machen, weil pferde extrem duldsam und sehr, sehr stille leiden.

auch dazu hat leith ryan was zu sagen:

the more leather, the more pain.

von ihm, aber auch schon vor sehr langer zeit von einem trabrenntrainer habe ich folgende weisheit gehört:

ein weiser amerikanischer hat mal gesagt, die mit dem wenigsten leder am pferd feiern die grössten erfolge.

(der erste teil gehört in der tat zu der aussage)

nämlich weil sie im pferd einen partner sehen, den sie so zu motivieren verstehen, dass es, wenn es drauf ankommt für ihren menschen seine äussersten reserven mobilisiert.

das betrifft rennpferde, sportpferde und es ist das geheimnis unglaublicher strapazen, die pferde im krieg für ihren soldaten auszuhalten imstande waren. das gilt aber auch für grubenponys oder für pferde auf der flucht 1945 aus den deutschen ostgebieten. und das gilt für alle rückepferde und für letzten brabanter, die an der belgischen küste noch in der krabbenfischerei arbeiten.

pferde können mit druck und quälerei erstaunliches vollbringen - aber noch mehr können sie leisten, wenn man den umstand ihres hypersozialen wesens beachtet und sie zu motivieren versteht.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Sachgerechter Umgang ist aktiver Tierschutz!
Mirarmor 
Fragesteller
 06.05.2022, 19:47

Danke, sehr interessant.

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Natürlich ist es dem Pferd näher, den ganzen Tag mit seinen Artgenossen draußen zu sein. Wobei gewisse Kompromisse immer nötig sind, sonst wären es ja keine Haustiere, sondern wild lebende (wie die Mustangs), die wegen einem kranken Zahn sterben. Was nun besser ist…? Mag jeder selbst beurteilen.

Was das Reiten anbelangt, kommt es darauf an, wie das Pferd entsprechend darauf vorbereitet wird, und der Reiter in der Lage ist, es zu gymnastizieren. Dann kann das Pferd durch das geritten werden sogar ein Plus an Lebensqualität erhalten. Es kommt immer auf die jeweiligen Umstände an.

Ich kenne zum Beispiel ein Pferd, das wäre längst an Asthma gestorben, wenn es nicht wenigstens 2x in der Woche ausdauernd galoppieren würde. Aber von allein auf der Wiese kommt es ja nicht auf die Idee. dazu braucht es den Reiter. Und es macht dann auch sehr motiviert mit.

Unnatürliches, was die Pferde evtl. schneller altern lässt...?

das stimmt schon mal nicht, denn ein gut gehaltenes und gerittenes Pferd wird älter als ein Wildpferd. Ein Wildpferd kommt nicht in den Genuss von tierärztlicher Behandlung,

Ansonsten hat jeder Besitzer die Pflicht, sein Pferd so gut wie möglich zu halten, 24/7 Boxenhaltung ist Tierquälerei, auch wenn das Pferd Totilas heißt. Mein Pferd lebt im Offenstall mit großen Weiden. Größere Weiden haben in meiner Region nur die Galoppergestüte wie Schlenderhahn und so weiter.

Dass viele Pferde nicht gut geritten werden, ist leider Tatsache, aber das könnte man ja mit gutem Unterricht beheben.

Also mir ist da so langsam gedämmert, dass das ja nicht gerade das Beste für ein Pferd ist, geritten zu werden

Stimmt, deshalb muss man es auch viele Jahre lang lernen um gesunderhaltend reiten zu können, damit man dem Pferd nicht schadet

Dann die Diskussionen um diese Teile im Gebiss, die Sättel, die Hufeisen...

Welche Teile?

Und das Stehen in Einzelboxen, entspricht ja gar nicht dem Herdentier.

Vollkommen richtig. Kommt aber auch auf die Umstände an. Alles unter 8 Stunden Freilauf im Herden Verband ist mMn. keine artgerechte Haltung.

Dann können sich viele Menschen halt die Haltung nicht selbst leisten, müssen Kompromisse beim Pferdehof eingehen, den sie erreichen können, Pferde bekommen nicht genug Heu usw.

Kompromisse haben da nichts zu suchen. Das beste fürs Pferd oder eben kein Pferd. Die einzigen Kompromisse die eingegangen werden sind auf den Menschen bezogen. Dann nimmt man eben den teureren Stall und versichert dann halt im privaten Bereich auf gewisse Dinge.

Woher ich das weiß:Hobby