Berufsaussichten als Archäologe?

6 Antworten

Beides ist letzten Endes eine falsche Vorstellung von der Archäologie.

Durch die Welt reisen, heute hier, morgen dort, das tut so gut wie niemand, denn früher oder später spezialisiert man sich in der Archäologie auf eine Region, einen zeitlichen Schwerpunkt. Wer überhaupt in der Lage ist, die Gelder für eine Auslandsgrabung zusammenzubekommen, der gräbt länger an einem Ort, um eben auch vernünftige wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen zu können. Im Gegensatz zu Lara Croft und Indiana Jones hüpfen wir nicht heute hierhin, morgen dorthin, um jeweils einen Fund aus dem Boden zu fischen und ins Museum zu schaffen, sondern ergraben Strukturen, die wir mit Hilfe der Funde datieren. Ein möglichst vollständiges Bild ist das Ziel.

Die Stellensituation ist natürlich mau, je nach Fachbereich mauer oder am mauesten. Schließlich musst du dich ja schon zu Beginn des Studiums entscheiden, in welche Richtung es gehen soll. Ur-, Vor- oder Frühgeschichte, Klassische, vorderasiatische oder Mittelalterarchäologie oder oder oder.

Die Aussichten sind in allen Bereichen nicht sonderlich gut, wenn man nicht unbedingt hinterher für einen bescheidenen Lohn bei einer Grabungsfirma arbeiten will. Ausgeschriebene Stellen an Universitäten, Denkmalschutzbehörden oder Museen sind pro Jahr an einer Hand abzählbar. Die meisten hangeln sich von Projekt zu Projekt, kaum einer, der nicht herbe Rückschläge einstecken muss. Dabei ist auch eine Promotion oder gar Habilitation ein Garant für einen festen Arbeitsplatz.

Ansonsten empfehle ich dir, dich mal durch Fragen mit dem Tag Archäologie zu klicken, ähnliche Fragen beantworten wir hier beinahe wöchentlich.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Studium und 17 Jahre Berufserfahrung
Derdi77 
Fragesteller
 25.06.2013, 17:17

Darf ich fragen, was du machst? Klingt so, als wärst du Absolvent! :)

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Jerne79  25.06.2013, 17:29
@Derdi77

Ich habe Klassische Archäologie, Alte Geschichte und Ur- und Frühgeschichte studiert und arbeite seit 9 Jahren als freiberufliche Archäologin, schwerpunktmäßig im Bereich Hoch- und Spätmittelalter.

Ein Wechsel zwischen den Fachbereichen ist also durchaus möglich, kostet aber viel Disziplin, viele denken, nach dem Studium wüssten sie alles, könnten alles, aber falscher kann man in der Archäologie nicht liegen.

Ich führe Grabungen durch, erstelle die zugehörigen Berichte, erarbeite Museumskonzepte, mache Erwachsenenbildung, schreibe Fachbeiträge und noch einiges mehr. Die Freiberuflichkeit gibt einem mehr Möglichkeiten, in unterschiedlichen Bereichen zu arbeiten, auch der Verdienst ist generell besser als bei einer Grabungsfirma, aber man trägt eben auch das gesamte Risiko für das eigene kleine Unternehmen. Aufträge an Land ziehen, Rechnungen schreiben, der Kampf mit dem Finanzamt, das bleibt einem selbst überlassen. Bezahlter Urlaub oder Krankmelden gibt es da nicht. Das ist nicht für jeden etwas.

Wer Sicherheit und Planbarkeit sucht, sollte gründlich darüber nachdenken, wo er außerhalb der Archäologie glücklich werden könnte.

Ansonsten würde ich dir dringend empfehlen, bereits vor dem Studium ein paar Praktika z.B. bei Grabungsfirmen oder Museen zu machen. Vorstellung und Wirklichkeit liegen in der Archäologie extrem weit auseinander.

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Derdi77 
Fragesteller
 25.06.2013, 18:05
@Jerne79

cool, danke für die Antwort :) Was für Grabungen machst du denn und wie finanzierst du die? Alles aus eigener Tasche, oder hat man "Geldgeber"?

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Kristall08  25.06.2013, 18:37
@Derdi77

Aufträge an Land ziehen, Rechnungen schreiben,...

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. ;-)

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Jerne79  25.06.2013, 19:58
@Derdi77

Die überwiegende Zahl der Grabungen sind keine frei gewählten Forschungsgrabungen, sondern Grabungen, die der letzte Weg vor Zerstörung des Bodendenkmals sind. Da werden die Kosten in der Regel vom Verursacher getragen. Dadurch finanziert man keine Grabungen, sondern die Grabungen finanzieren einem das eigene Leben. Bei mir sind das kleinere Flächengrabungen, Trassen für Ver- und Entsorgung, Straßenbau oder auch mal Sondagen um zu schauen, ob da überhaupt irgendwas ist. Also Sachen, die man allein oder notfalls mit 1-2 zugeheuerten Leuten oder kooperativen Mitarbeitern einer beteiligten Baufirma machen kann. Grabungsfirmen können natürlich mit vielen Leuten größere Projekte stemmen, aber ich gebe mir nicht das Theater, Leute einzustellen.

Anders sieht es nur dann aus, wenn man für Institutionen arbeitet, die irgendwo eine Forschungsgrabung durchführen wollen. DA muss das Geld dann zusammengetrommelt werden, teils aus eigener Tasche, teils durch Spenden, Sponsoren etc.

@ Kristall08: Hm? ;)

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Jerne79  25.06.2013, 22:06
@Jerne79

@ Gelder für Forschungsgrabungen: Irgendwie hat´s einen Satzteil davon zerlegt. Natürlich werden dafür auch Forschungsgelder beantragt, z.B. bei Stiftungen, Forschungsgesellschaften, der eigenen Uni etc.

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das ist ein ständiges auf und ab: wenn sich die jeweiligen "landesfürsten" von verstärkten aktivitäten in diesem bereich positive auswirkungen (fremdenverkehr) versprechen, ist plötzlich geld in nahezu unbegrenzter höhe vorhanden (beisp. "himmelsscheibe von nebra). so lange aber nichts außergewöhnliches zu melden ist, wird diearchäologie mehr so als lästiges "das auch noch" betrachtet. kosten, von denen man nicht absehen kann, wie weit sie noch steigen werden und deren effektiver nutzen höchst ungewiss ist. ICH finde dieses thema SEHR interessant, weil ich mal an ausgrabungen in travemünde teilgenommen habe. dort gibt es versunkene siedlungen aus dem neunten jahrhundert.

Kristall08  25.06.2013, 18:40

Und gerade diese olle Himmelsscheibe ist der größte Schmu. Habe neulich einen Artikel gefunden, es handele sich dabei lediglich um eine vorderasiatische Schildzier. Davon gibt es durchaus ein paar mehr, meine der Autor. ;-)

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Ich kann Jerne79 nur voll zustimmen. Natürlich hast Du im Studium die Möglichkeit (und sogar die Pflicht), an der einen oder anderen Grabung teilzunehmen; je nach Fach, Lehrstuhl und Zufall kann das an einer steinzeitliche Müllgrube in Hintertupfingen sein, aber auch im Rahmen eines langjährigen Projekts in Vorderasien.

Chronisch ist das Fehlen der Gelder in diesem Bereich; Stellen werden zusammengelegt, obwohl der Arbeitsaufwand gleich bleibt; selbst promovierte Archäologen hangeln sich von befristeter Anstellung zu Anstellung; die meisten weichen auf andere Bereich (Schule, freie Wirtschaft, etc.) aus.

"Ordner hüten" hört sich sehr negativ an; in der Tat spielt sich ein Großteil der Forschung am Schreibtisch ab. Du musst viel lesen, auswerten, zusammenstellen, ordenen, schreiben und exzerpieren. Das kann durchaus interessant sein, allerdings verliert auch diese Arbeit nach der siebenhunderachtunddreißigsten katalogisierten Scherbe ihren Reiz. Damit will ich die Fachinhalte nicht runtermachen - im Gegenteil! Mir bereitet das Ganze große Freude; ich weiß aber auch, mit welchen Zukunftsängsten man zu leben hat, wenn man sich für diesen Weg entscheidet.

"Jahrmillionen" vor Christi Geburt wirst Du übrigens nichts zu tun haben ;-) Die Archäologie beschäftigt sich vorrangig mit materiellen Hinterlassenschaften menschlicher Kulturen. Das heißt also Funde aus der Altsteinzeit bis in die junge Vergangenheit. Mit Dinosauriern und Uraffen hat das Fach nichts zu tun.

http://www.uni-flensburg.de/fileadmin/ms2/inst/wipo/img/team/Lorenzen_ChancenundPerspektiven.pdf

Is' halt ein sehr begrenztes Studium mit wenig Zukunftsaussichten. Die, die das studieren, werden wohl fast alle in dieselbe Richtung wollen.

Derdi77 
Fragesteller
 25.06.2013, 17:03

Cooler link danke ;)

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Kristall08  25.06.2013, 18:45
@Derdi77

lol

Frau Lorenzen saß mir im Arbeitszimmer gegenüber, wir haben fast im selben Jahr unseren Abschluss gemacht. Sie sitzt heute bei der Arbeitsagentur in Flensburg und betreut Langzeitarbeitslose, soweit ich weiß. Eben viele ihrer ehemaligen Kommilitonen. Dabei war sie selbst einer der hoffnungsvolleren Fälle; hatte ein Stipendium und damit einen Bachelor in England gemacht.

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ich würde am liebsten in meiner Zukunft durch die Welt reisen und Ausgrabungen machen und bis Jahrmillionen vor Christi Geburt die Geschichte erforschen. [...] aber glaubt ihr, hat man eine Chance, mit einem Archäologiestudium so etwas zu machen?

Nein. Denn das, was du dir unter der Tätigkeit eines Archäologen vorstellst, entspricht nicht der Realität. Da du ja nicht einmal genau weißt, was Archäologen machen (die beschäftigen sich nur mit menschlichen Hinterlassenschaften und die nicht Jahrmillionen alt), würde es Sinn machen, wenn du dich mal ein bisschen genauer damit beschäftigst. Du wirst schnell feststellen, dass dieses in der Öffentlichkeit gezeichnete Bild des Archäologen (Indiana Jones) in der wirklichen Welt keinen Bestand hat.