Angemessen - oder empathielos?
Ich habe eine Kollegin in meinem Team, die hat vor einigen Wochen ein Enkelkind verloren. Das Würmchen kam in der 26 Ssw. auf die Welt und starb nach wenigen Tagen. Sie hat sich dann bis zur Beerdigung krankschreiben lassen - was ich nachvollziehen konnte. Dann war sie eine Woche da, war auch ganz normal drauf - und ist jetzt wieder krankgeschrieben deswegen, diesmal zwei Wochen.
Ich habe echt mit mir gekämpft - aber ich kann es nicht nachvollziehen. Wäre es noch die Mutter, die das Kind getragen hätte - aber sie als Oma hat es nicht mal live gesehen und zieht sich das jetzt voll rein. Als sie mir ihren neuerlichen Krankenstand mitteilte, schrieb ich ihr folgende Zeilen...
Hallo xxx,
das tut mir Leid. Ich war auch davon ausgegangen, dass die Arbeit dich ablenkt.
Ich weiß, es ist leicht dahingesagt, aber womöglich würde dir eine andere Sichtweise auf das, was ihr erleben musstest, helfen, dazu etwas mehr Abstand zu bekommen.
Vielleicht klingt das unangemessen - aber ich frage mich z.B., was ein Kind für ein Leben auf dieser Welt zu erwarten hat, die ist wie diese hier...
Schau dich doch um. Nicht nur die Umwelt geht vor die Hunde, die Menschen werden immer bekloppter. Nun droht uns allen neben dieser eigentlich lächerlichen Pandemie womöglich auch noch Krieg.
Wenn du nun ehrlich zu dir selbst bist, frage dich auch: Wie sollte ein Wesen, das durch eine so extrem frühe Geburt wohl eh zeitlebens geschwächt/gehandicapt gewesen wäre, auch nur ein einigermaßen glückliches Leben führen können? Wer weiß, was der Kleinen nun an Leid und Schmerz erspart bleibt...
Mein Großneffe ist am Dienstag ein Jahr alt geworden. Und ich muss dir sagen; ich beneide den kleinen Kerl nicht und würde um nichts in der Welt mit ihm tauschen wollen...
Versuch, es mal von dieser Warte aus zu sehen. Auch wenn dir das auf den ersten Blick vielleicht "nicht angemessen" erscheint. Gute Besserung.
Sie schickte dann kommentarlos die Krankschreibung - und reagierte auch seltsam auf die normale Anfrage eines Kollegen, ob und wie lange sie krankgeschrieben sei.
Ich stehe zu meinen Worten und ich mache aus meinem Herzen auch keine Mördergrube, dennoch interessiert mich mal; wie würdet ihr das sehen?
32 Stimmen
10 Antworten
Najaaaa,
Hallo Erstmal!
Kommt tatsächlich ganz auf die "Oma" an. Es gibt Menschen die würden sich in so einem Fall um die eigene Tochter kümmern und ihr gut zu reden (die hat es ja um einiges schlimmer). Und dann gibt es Leute die sich extrem an sowas aufspielen und sich selbst zu 100% in der Opferrolle sehen wollen. Kann aber auch sein, dass sie sehr sensibel ist. Allgemein: extrem schwieriges Thema. Ich hätte nicht versucht es in ein gutes Licht zu rücken indem ich die ganze Welt schlecht rede (auch wenn es zu 100% der Wahrheit entspricht) weil Leute (vorallem ältere) überhaupt nicht umgehen können mit so etwas. Wäre ich Sie würde ich die Frau einfach mal in Ruhe lassen. Sie wollten ihr ja eigentlich nur helfen. Alleine das zeigt das es nicht Gefühllos ist!
Helfen? Mit welcher Intention ist die Frage..
Kleine Frage:
Und dann gibt es Leute die sich extrem an sowas aufspielen und sich selbst zu 100% in der Opferrolle sehen wollen.
Denkst du, einer solchen Person geht es psychisch gut und sie sollte in so einer Situation eher dazu gezwungen sein, zur Arbeit zu gehen?
Ich finde ehrlich gesagt nicht, dass solch ein Abstempeln hier zu irgendeinem erstrebenswertem Ziel führt..
Wow oke dann verstehe ich die Frau nicht wirklich. Ein Baby das ich nicht kenne, nie gesehen habe, von dem ich wusste das es vielleicht stirbt und dann 3 Wochen bezahlten Krankenstand? Tut mir leid aber nein.
Das ist es ja. Ich kann es nicht verstehen. Ich verstehe, wenn Menschen trauern, wenn ihre Eltern sterben (ich habe meine auch verloren), oder erst recht ein Kind, das meinetwegen schon eine gewisse, normale, gesunde Lebensspanne erlebt hat. Oder wenn der Partner stirbt oder sonst eine Person, die einen eben wirklich ein Stück weit im Leben begleitet hat. Oder auch ein Haustier, was man lange hatte. Aber hier kann ich es einfach nicht. Und das verunsichert mich. Sie scheint es sich voll reinzuziehen. Und das finde ich ungesund. Vor allem in ihrem Interesse. Das bringt doch nichts! Ich habe das Gefühl, sie steigert sich da in etwas rein.
Tut mir leid - aber das geht gar nicht.
Allgemein zwischenmenschlich ist eine solche Aussage ein "No-Go", auf einer rein professionellen, kollegialen Ebene sehe ich hier einfach eine Grenze überschritten.
Den Tod eines Menschen, hier eines Familienmitglied in irgendeiner Form zu relativieren - mit dem O-Ton "sei doch froh" - ist schlicht und ergreifend empathie- und taktlos und zeugt nicht gerade von durchschnittlicher sozialer Begabung.
Keine Beleidsbekundung, nichts. Wirklich nichts, was einfach normale Umgangsformen voraussetzen.
Die Mutter trauert. Und die Oma trauert. Und wahrscheinlich der Rest der Familie ebenfalls. Der Verlust eines Kindes ist an emotionaler Herausforderung kaum zu überbieten - auch wenn es eine Frühgeburt war, auch wenn es absehbar war, auch wenn man keine jahrelangen schönen Erinnerungen hatte. Und dann so eine Nachricht.
Auf arbeitstechnischer Ebene: das Privatleben der Kollegen geht einen nichts an. Punkt.
"Sei doch froh" habe ich nirgends geschrieben. Und das Beileid wurde natürlich persönlich ausgesprochen! Der Text kam jetzt - nachdem sie sich - nach einer vollkommen normalen Woche - wieder aus dem Verkehr zog.
"Sei doch froh" habe ich nirgends geschrieben.
Das natürlich nicht - dass Du es allerdings mit Dreiviertel des Textes überdeutlich implizierst, kann man kaum von der Hand weisen.
Der Text kam jetzt - nachdem sie sich - nach einer vollkommen normalen Woche - wieder aus dem Verkehr zog.
Psychische Belastungen sind nun mal kein abgetrennter Arm - und selbst mit großen Problemen merkt man es den Menschen keineswegs automatisch an, wie schlecht es ihnen geht. Und ein solcher Vorfall ist nicht binnen weniger Tage "abgehakt".
Man kann den Menschen nur "vor den Kopf" schauen. Die Tatsache, dass die Kollegin nicht gerade offen über ihre Probleme berichtet hat, spricht dann doch dafür, dass sie wohl nicht der Meinung ist, unbedingt deinen Ratschlag zu wollen.
Ich finde es schrecklich, dass du einen Tod relativieren möchtest. Es ist vielleicht "nur" die Oma, doch auch diese leidet und das nicht nur wegen ihrem verstorbenen Enkel. Denk mal an ihre/n Sohn/Tochter, welche/r trauert und gegebenenfalls ihre Unterstützung in dieser schwierigen Zeit benötigt.
Es gibt Dinge die denkt man sich nur, aber spricht bezw. schreibt sie nicht. Wenn man ein rationaler Kopfmensch ist, kann man solche Gefühle nicht nachvollziehen.
Vielleicht haben sie sich das Kind so sehr gewünscht, jetzt ist es tot. Eine Frau entwickelt während der Schwangerschaft Gefühle gegenüber dem Kind, auch spielen die Hormone eine große Rolle und jetzt beim Tot des Kindes mit Logik zu kommen, so kann nur ein Mann denken. Selbst Omas haben Gefühle, auch wenn das Kind nicht körperlich sichtbar war, freut man sich darauf. Jetzt müssen sie beide erst darüber wegkommen, die Tochter/ Schwiegertochter und die Oma die ihr jetzt Unterstützung gibt. Man muss ihnen die Zeit der Trauer geben, auch wenn nur eine "Totgeburt" war.
Ich finde deine Sichtweise auch wirklich sehr empathielos, zudem jeder Mensch anders gestrickt ist - du musst die Trauer deines Gegenübers auch nicht 1:1 verstehen können.
Aber lasse doch bitte jedem seinen Raum, das zu verarbeiten.
An deinem Text sehe ich sehr wohl, dass du versucht hast, dir Mühe zu geben - aber so funktioniert das nicht.
Wohl kaum wird sie dir noch antworten: "Ja hast recht, jetzt wo du von deinem Großneffen erzählt hast wird mir klar, wie kindgerecht die Welt eigentlich nicht ist. Ich fang morgen wieder an!".
Du weißt doch so vieles gar nicht - vielleicht hatte sie selbst in der Vergangenheit ein Kind verloren? Vielleicht brauchen ihre Tochter und sie einander einfach gerade mehr denn je?
Ich find das wirklich schlimm umd muss sagen, über so nen Versuch der Milderung hätte ich bestimmt mindestens 2h in der Psychotherapie gesprochen.
Die Frau ist jünger als ich...