Wieso hat die Frau einen Orgasmus (auf Evolution gesehen)?

11 Antworten

Der Orgasmus des Mannes lässt sich evolutionsbiologisch mit dem Samenerguss erklären. Der Orgasmus löst die Ejakulation aus und ist somit für die Fortpflanzung (und somit die Weitergabe der eigenen Gene) unerlässlich.

Bei Frauen fehlt eine solche Erklärung bislang. Frauen können auch ohne einen sexuellen Höhepunkt zu bekommen schwanger werden. Für die Fortpflanzung ist der weibliche Orgasmus deshalb eigentlich nicht notwendig. Daraus ergibt sich aber die spannende Frage: Wieso gibt es dann einen weiblichen Orgasmus?

Eine neue Hypothese geht davon aus, dass der Orgasmus bei den frühen Säugetieren den Eisprung ausgelöst hat und deshalb für die Fortpflanzung notwendig war. Noch heute gibt es viele Säugetierarten, bei denen der Eisprung erst durch den Deckakt ausgelöst wird, man spricht dann von der so genannten induzierten Ovulation. Zu den Säugern mit induzierter Ovulation gehören z. B. Lamas, Katzen und Kaninchen. Bei anderen Säugern entstand im Lauf der Evolution dann ein anderer Typ der Ovulation, nämlich die spontane Ovulation, so auch beim Menschen. Bei menschlichen Frauen erfolgt der Eisprung bekanntlich in regelmäßigen Zyklen, die von den Hormonen gesteuert werden. Einen äußeren Reiz, der die Ovulation auslöst, braucht es nicht mehr, weshalb der weibliche Orgasmus dann für die eigentliche Fortpflanzung nicht mehr notwendig ist. Er hat sich dann als Relikt aus der frühen Säugetier-Zeit erhalten oder womöglich auch einfach andere Funktionen übernommen (s. u.).
Für diese Hypothese vom weiblichen Orgasmus als Auslöser des Eisprungs spricht, dass bei Säugern mit induzierter Ovulation die Klitoriseichel, also jener für das Auslösen des sexuellen Höhepunkts so wichtiger Teil, sehr viel näher bei der Vagina liegt als bei Arten mit spontaner Ovulation. Beim Deckakt wird die Klitoris dann direkt stimuliert, während das bei jenen Arten mit Spontaneisprung nicht der Fall ist. Viele Frauen werden es bestätigen, dass sie durch den rein penetrativen Sex nicht oder nur schwer zum Orgasmus kommen und meist eine zusätzliche Stimulation der Klitoris notwendig ist.

Um ihre Hypothese zu testen, haben die Forschenden ein Experiment mit Kaninchen durchgeführt, also mit einer Art, bei der der Eisprung induziert wird. Sie haben weibliche Kaninchen in zwei Gruppen geteilt. Der einen Gruppe haben sie ein Antidepressivum verabreicht, dessen Nebenwirkung Anorgasmie ist, welches also den Orgasmus unterdrückt. Die andere Gruppe bekam kein Medikament gespritzt. Anschließend wurden die Kaninchen durch einen Rammler gedeckt und die Forschenden haben verglichen, ob es in den beiden Gruppen einen Unterschied in der Häufigkeit der Ovulationen gab. Und siehe: die Gruppe, bei denen die Fähigkeit zu "kommen" durch das Medikament ausgeschaltet war, hatte deutlich weniger Ovulationen als die Kontrollgruppe.
Um zu belegen, dass die Wirkung auf dem Ausbleiben des Höhepunkts beruht und nicht auf einer möglichen Wirkung des Medikaments, haben die Forschenden anschließend durch Gabe eines Hormons den Eisprung künstlich ausgelöst. Hätte das Antidepressivum die Ovulation verhindert (und nicht das Ausbleiben des Höhepunkts), dann hätten die Eisprünge auch künstlich nicht herbeigeführt werden können, weil ja das Antidepressivum immer noch gewirkt hätte. In dem Versuch zeigte sich aber, dass sich der Eisprung künstlich genauso leicht auslösen ließ wie bei der Kontrollgruppe.

Es gibt aber auch noch andere Erklärungsversuche für den weiblichen Orgasmus. Diskutiert wird beispielsweise, ob der Orgasmus die Befruchtungswahrscheinlichkeit erhöht. Die Kontraktionen der Vaginal- und Uterusmuskulatur beim Orgasmus wirken wie eine Saugpumpe und könnten das Sperma des Mannes gewissermaßen "einsaugen" und so dabei helfen, dass es in die Nähe der reifen Eizelle gelangt.

Darüber hinaus haben gerade wir Menschen ja nicht nur Sex, um uns fortzupflanzen. Für uns steht der Spaß im Vordergrund. Eine Frau kann nur an wenigen Tagen ihres Zyklus schwanger werden. Die meiste Zeit über haben wir aber Sex an Tagen, wo die Schwangerschaft ausgeschlossen ist. Mehr noch, durch Kondom, Pille und Co. tun wir sogar unser Möglichstes, eine Schwangerschaft gezielt zu verhindern - und haben trotzdem Sex.
Nun macht die Natur natürlich nichts ohne Grund. Wir haben Sex weiterhin nicht einfach nur zum Vergnügen, aber Sex erfüllt bei uns ganz andere Funktionen. Schaut man sich die Bonobos an, die zusammen mit Schimpansen zu unseren nächsten Verwandten zählen, dann erkennt man, dass Sex in Bonobogruppen ein wichtiges Mittel ist, um soziale Spannungen abzubauen und Konflikte beizulegen, Versöhnungssex sozusagen (übrigens nicht nur zwischen verschieden- sondern auch zwischen gleichgeschlechtlichen Individuen, Bonobos sind durch und durch bisexuell). Gut möglich, dass Sex auch bei frühen Menschen eine ganz ähnliche Rolle gespielt hat, indem soziale Spannungen abgebaut wurden. Und eines ist klar: bei so hochsozialen Arten wie dem Menschen muss es immer Mittel und Wege geben, die Gruppe zusammen zu halten, denn das Überleben des Einzelnen hing und hängt von der ganzen Gruppe ab.

Außerdem könnte der Orgasmus die Paarbindung stärken. Das ist bei Menschen wichtiger als bei allen anderen Menschenaffen. Denn beim Menschen muss sich auch der Vater an der Aufzucht der Kinder beteiligen (bei den anderen Menschenaffen ist das ausschließlich Sache der Weibchen). Beim Orgasmus wird u. a. das Hormon Oxytocin ausgeschüttet, landläufig als das "Kuschelhormon" bekannt. Es löst u. a. das Bedürfnis nach Nähe zum Partner respektive der Partnerin nach dem Sex aus, fördert aber auch die Eifersucht, kurz: es fördert den Zusammenhalt des Paares. Sex könnte daher der Kitt sein, der eine Beziehung zusammen hält. Das Interesse der Frau ist naheliegend: der Mann soll bei seiner Familie bleiben und sich mit um die Kinder kümmern. Umgekehrt hat aber auch der Mann ein Interesse daran, dass seine Partnerin ebenfalls treu bleibt, denn dadurch wird die Gefahr minimiert, dass seine Partnerin ihm ein fremdes Kind unterschiebt. In der Tat haben Untersuchungen gezeigt, dass "Kuckuckskinder" sehr selten sind.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Eine Frau muss ja auch Lust auf Sex haben. Und dass es in der Steinzeit viele Vergewaltigungen gab, wage ich zu bezweifeln. Das macht Ärger. Die Frau haut vielleicht ab, kümmert sich nicht um das Kind, man muss sich mit jemandem prügeln, der die Frau gut leiden kann etc. - das ist alles evolutionär auch nicht sehr förderlich. Ein Mann ist nicht von Natur aus ein Vergewaltiger, auch wenn manche von den Grünen das so sehen.

Divim 
Fragesteller
 22.06.2021, 04:53

Da hast du recht

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Überlege mal, wie leicht es ist, bei so ziemlich jedem Mann einen Orgasmus zu bescheren und dann vergleiche das mit Frauen.

Wilhelm611  22.06.2021, 07:40

Stimmt! Ich bin dankbar dafür und empfinde es als himmlischen Segen, auch wenn der Klerus hierüber schweigt bzw. es seinen engsten Dienern nicht gönnt ...

Aufwachen bitte! (Die Kirchen sind gemeint)

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Hallo Divim!

Der Wunsch nach einem Orgasmus erhöht die Bereitschaft der Frau mit einem Mann sex zu haben. Und genau das ist ein Resultat der Evolution.

........es sowas wie Gesetze ja nicht gab.

Aber man geht davon aus, dass es auch damals schon feste Paare gab, auch schon mit Rollenverteilung. Und das Familiengefühl fing auch nicht erst mit der Neuzeit an

Auch das Familiengefühl ist ein Resultat der Evolution, schönen Tag

Der weibliche Orgasmus erfüllt genau wie der männliche Orgasmus natürlich den Fortpflanzungszweck und beeinflusst zudem genau wie bei'm Mann soziale Bindungen.

Ich habe vor einigen Monaten schon mal zu diesem Thema geantwortet. (Zu einer Frage, wie Frauen schwanger werden können.).

Zum Ersten sind die Traktionen natürlich notwendig, damit der Muttermund sich in das Sperma tunken und umso mehr Spermien aufnehmen kann. Erregung im Vorfeld wiederum ist notwendig, damit ein bestimmter Duftstoff abgesonsert wird, der auf den Mann, sowie auch auf die Spermien selbst anziehend wirkt. Denn diese finden durch diesen Duftstoff und Pheromone uberhaupt erst ihren Weg.

Doch es gibt noch ein großes Aber:

Frauen können wiederum nur in einer bestimmten Phase des Zyklus schwanger werden. Einfacher gesagt: Nur ein Zeitraum von ca. 5 Tagen in einem Zyklus von ca. 28 Tagen; also in jeweils ca. 4 Wochen.

Und trotz, dass eine Frau nur in diesem winzigen Zeitraum schwanger werden kann, kann sie natürlich jederzeit einen Orgasmus oder Sex haben. Weil die Natur das so möchte und nie das Gegenteil wollte.

Und nun warum das so ist:

Die weibliche Biologie hat nie geplant, dass das "Weibchen" reines Begattungsobjekt ist, trotz dass das manche Männer falschlicherweise über Jahrhunderte glaubten. (Was wiederum lediglich Machtmissbrauch zugunsten eigener Bedürfnisse, durch Einsatz kräftigerer Körperstatur war. Und sonst keinerlei Bewandnis oder Sinn hatte. ...Da der Mensch heute gebildeter und auch emotional intelligenter ist und weniger glaubt, was und wie es ihm am liebsten und am praktischsten wäre, schaffte sich das glücklicherweise immer mehr ab.:-))

Der Grund, warum eine Frau abseits von ihren fruchtbaren Phasen einen Orgasmus bekommen kann, ist nämlich zusätzlich zu dem Grund, warum sie für die Fortpflanzung einen erreicht, folgender:

Hormone, die bei'm Orgasmus ausgeschüttet werden, prägen die Bindungen von Menschen zueinander. Dabei spielt das Geschlecht generell keine Rolle. Denn bei'm Orgasmus wird unter Anderem Oxytocin ausgeschüttet. Ein Bindungshormon. Es sorgt für ein Gefühl von emotionaler Nähe. (Sobald es um das "Fühlen" geht, sind grundsätzlich jeweilige Hormone/Borenstoffe im Spiel.). Dopamin wiederum, das auch ausgeschüttet wird, fördert zusätzlich die erneute Anziehung zwischen den Beteiligten.

Zusätzlich werden Endorphine ausgeschüttet. Die wiederum stressmindernd wirken und sogar wie eine Art Schmerzmittel und entzündungshemmend.

(Ich erkläre all das extra vereinfacht, denn es kommt noch einiges mehr hinzu. Aber diese Hormone haben für beide Geschlechter den jeweils gleichen Nutzen.)

Der Orgasmus der Frau hat also ebenso wie bei'm Mann mehrere Gründe: Fortpflanzung; Bindung; Entspannung; körperliche und geistige Gesundheit/Regeneration.

Und überhaupt erst zuguterletzt kommt der Faktor (für beide Geschlechter), dass der angenehme und gesunde Hormoncocktail + damit Rausch für ein Wiederholungsbedürfnis sorgt. Das ist eher ein Nebeneffekt.

Wilhelm611  22.06.2021, 07:22

Die Nebeneffekte sind oft die bedeutenderen oder sogar die schönsten. Danke für die erklärungsreiche Zusammenfassung!

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