Wie steht ihr zu ärztlicher Behandlung bei Selbstverletzung?

Nicht-med. Bereich: Ist voll okay 67%
Med. Bereich: Ist voll okay 22%
Nicht-med. Bereich: Nervt 11%
Med. Bereich: Nervt 0%

9 Stimmen

5 Antworten

ich bin zwar fachfremd, aber wer das so sehen würde, sollte sich Gedanken darüber machen ob der Job das Richtige ist.

Selbstverletzung ist ja oft eine Art Ventil. Dieser Schmerz lenkt vom inneren Schmerz ab. Daher find ich persönlich den Begriff SELBSTverletzend etwas zu radikal, aber gut, dabei geht‘s ja nicht um die Herkunft, sondern um ‚wer handelt?‘. Wenn du dich so stark verletzt dass du zum Arzt musst(!), dann mach das! Genau u.a. dafür gibt es Praxen und Krankenhäuser.

…hab viele Jahre ambulante Therapie und ein paar stationäre Aufenthalte hinter mir

Med. Bereich: Ist voll okay

Als Mediziner versorgt man die Wunden. Sich von Patienten nerven zu lassen wäre ungeschickt, denn professionelle Distanz ist eine Grundlage in medizinischen Bereich arbeiten zu können. Die Selbstverletzungen wäre da auch weit weniger belastend als z.B. schiefgelaufene Selbstmordversuche, die Personen zu Vollinvaliden machen.

"Selbst verschuldet" ist nicht die Kategorie, um die es in der Medizin geht. Kein Mensch sucht es sich freiwillig aus, keine andere Lösung als die Selbstverletzung zu wählen. Auch Fallschirmspringer und Mörder werden im Krankenhaus behandelt. Ärzte sind weder Richter noch Versicherungsvertreter.

Mediziner betrachten selbstverletzendes Verhalten weder als "nervend" oder "will doch nur Aufmerksamkeit". Solche abschätzige Urteile sind völlig unangemessen und eher etwas für unreife Jugendliche. Psychische Erkrankungen und Störungen sucht man sich nicht aus und man ist auch nicht Schuld daran. Gerade bei SvV ist das familiäre Umfeld häufig dysfunktional und die Betroffenen leiden unter dem Verhalten anderer. Ärzte kennen solche Hintergründe. Da rät man eher zu einer Psychotherapie als selbst genervt zu sein.

Übergewicht, Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel, Impf- und Vorsorgeverweigerung, zu wenig Trinken und zu viel Zucker, Fett und Salz erzeugen viel mehr "selbst verschuldetes" Leid als die Selbstverletzungen verzweifelter Jugendlicher, die aus psychischer Not handeln.


Lennis130  03.06.2025, 12:48

Bis auf den letzten Absatz stimme ich dir absolut zu. Aber den letzten Absatz sehe ich anders.

Genauso wenig wie sich Menschen aussuchen süchtig nach Selbstverletzung zu werden, suchen sie sich aus süchtig nach Nikotin oder Alkohol zu werden.
Während Selbstverletzung eine Verhaltenssucht ist, sind Rauchen und Alkoholkonsum stoffgebundene Süchte. Auch stoffgebundene Süchte sind nicht selbst verschuldet!

Übergewicht KANN, muss aber nicht selbst verschuldet sein. Es gibt genügend Gründe für Übergewicht, für die ein Mensch nichts kann. Aber das ist leider im medizinischen Bereich noch nicht angekommen, wie auch deine Antwort bezeugt.

mjutu  03.06.2025, 15:19
@Lennis130
Aber den letzten Absatz sehe ich anders.

Hier gibt es offenbar ein Missverständnis. Ich habe das "selbst verschuldet" mit Bedacht in Anführungszeichen gesetzt. Mediziner urteilen weder über Selbstverletzung noch über Übergewicht mit einem genervten "selbst schuld". Ich wählte die Beispiele Übergewicht/Rauchen/usw. um zu zeigen, dass der Großteil der Ursachen für Arztbesuche auf irgendeine Art "selbst verschuldet" sind, was aber nur zeigt, wie sinnlos diese Kategorie ist.

Es gibt genügend Gründe für Übergewicht, für die ein Mensch nichts kann.

Ich wollte darauf hinaus, das "nichts/etwas dafür können" nicht die Sichtweise eines (guten) Mediziners ist. Skifahrer werden bei der Behandlung nicht kritisiert, weil es keinen sinnvollen Grund gab auf Brettern auf gefrorenem Wasser den Berg runterzurutschen.

Wenn ein Mensch mit einem Schnitt in die Notaufnahme kommt, wird der Schnitt behandelt. Falls SvV naheliegt, erwähnt ein Mediziner Möglichkeiten für therapeutische Hilfe. Und bei Übergewicht ist es das gleich: Es geht nur darum, wie man helfen kann. Für persönliche Urteile werden Mediziner nicht bezahlt.

Hier auf GF habe ich aber schon von 2 oder 3 Hausärzten gelesen, die klare Vorurteile hatten und Patienten abkanzelten. Hier rate ich immer umgehend die Praxis zu verlassen und die Ärztekammer zu informieren. Deppen gibt es leider überall.

Aber das ist leider im medizinischen Bereich noch nicht angekommen, wie auch deine Antwort bezeugt.

Wie gesagt: Da liegt ein Missverständnis vor.

Nicht-med. Bereich: Ist voll okay

Warim sollte es nucht okey sein? Eine wunde die genäht werden muss ist eine Indikation dafür medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nur weil die wunde selbstverschuldet ist braucht sie nich weniger Versorgung als andere.

Nicht Med.: ist nicht "voll okay" und sollte auch nicht nerven. Es ist allerdings auch kein "selbstverschuldeter Unfall", sondern eine gezielte Aktion. Ist imo auch nochmal ein Unterschied.

Aber es ist halt ein Symptom eines tieferliegenden Problems und eine Behandlung gehört daher einfach mit dazu.

Nur, wenn der Patient partout nicht einsehen will, dass er ein behandlungsbedürftiges Problem hat, wird es irgendwann grenzwertig.


Lennis130  03.06.2025, 13:05
Nur, wenn der Patient partout nicht einsehen will, dass er ein behandlungsbedürftiges Problem hat, wird es irgendwann grenzwertig.

Ich verstehe, dass es frustrierend sein kann, wenn jemand keine Einsicht zeigt.
Aber vielleicht sollten wir den Fokus eher darauf legen, warum diese Einsicht fehlt, als das Verhalten vorschnell als "grenzwertig“ bezeichnen.

Bei mir selbst hat es fast 8 Jahre gedauert, bis ich überhaupt annehmen konnte, dass ich professionelle Hilfe brauche. Warum so lange? Weil mir in dieser Zeit von Familie, Freund*innen - und leider auch medizinischem Personal - immer wieder vermittelt wurde, es gebe keinen Grund, warum es mir schlecht gehen sollte. Schließich hatte ich alles was ich brauchte: Ich hatte ein Dach über dem Kopf, eine Schulbildung, genug zu essen...

Dass mein Gewicht ständig kommentiert wurde und daraus eine Essstörung entstand, spielte dabei keine Rolle, denn das wurde als "nicht schlimm genug" abgetan.
Und so habe auch ich meine eigenen Probleme als "nicht schlimm genug" empfunden, um mir Hilfe zu holen.
Ich dachte lange: "Wenn ich jetzt einen Therapieplatz einnehme, blockiere ich ihn für jemanden, dem es wirklich schlecht geht."

Erst viele Jahre später habe ich verstanden: Meine Probleme waren und sind valide. Ich habe genauso ein Recht auf Hilfe wie jede andere Person.

Deshalb finde ich deine Formulierung schwierig. Sie können nämlich genau jene Barrieren aufrechterhalten, die Menschen daran hindern, sich überhaupt erst helfen zu lassen.

VanLorry  03.06.2025, 17:25
@Lennis130

Ich verstehe, was du meinst.

Dass behandlungsbedürftige Verletzungen behandelt werden, steht ja außer Frage. Aber aus Sicht der Ärzte kann ich mir schon vorstellen, dass es einfach, hm, unbefriedigend ist, bei jemanden ständig nur die sekundären Symptome behandeln zu müssen - oder können.

Du sagst, du hast irgendwann erkannt, dass deine Probleme valide waren. Aber wie stark war dein selbstverletzendes Verhalten bis dahin ausgeprägt? Kommt da einem nicht irgendwann der Gedanke, dass da irgendwas ganz und gar nicht in Ordnung ist?

Lennis130  03.06.2025, 17:40
@VanLorry
Aber aus Sicht der Ärzte kann ich mir schon vorstellen, dass es einfach, hm, unbefriedigend ist, bei jemanden ständig nur die sekundären Symptome behandeln zu müssen - oder können.

Natürlich ist sowas bestimmt frustrierend. Jedoch liegt genau da eben auch die Herausforderung im Umgang mit betroffenen Personen: Sie handeln oft aus Mustern heraus, die tief verwurzelt und lange Zeit unbewusst sind.

Aber wie stark war dein selbstverletzendes Verhalten bis dahin ausgeprägt? Kommt da einem nicht irgendwann der Gedanke, dass da irgendwas ganz und gar nicht in Ordnung ist?

Mein selbstverletzendes Verhalten war über Jahre hinweg präsent und in verschiedenen Formen unterschiedlich ausgeprägt. Natürlich gab es auch Momente, in denen ich geahnt habe, dass etwas nicht in Ordnung ist. Doch Einsicht ist nichts, was automatisch mit der Schwere der Symptome einhergeht.

Ich war in der Pubertät und der Gedanke wurde von Erwachsenen immer wieder untergraben, indem mir vermittelt wurde, dass ich mir mein Leiden einbilde und einfach nur übertreibe.

Von meinem eigenen Vater habe ich zu hören bekommen "Das kann doch alles nicht so schlimm sein, hör doch einfach auf damit". Die Lehrkräfte haben meine Schilderungen des Mobbings abgetan und gemeint, dann müsse ich mir eben ein "dickes Fell anlegen und die Mobbingattacken einfach ignorieren".

Dieses Bild habe ich verinnerlicht und mich selber einfach für zu überempfindlich gehalten. Genau das verzögert dann den Schritt, sich helfen zu lassen.
Rückblickend weiß ich, dass diese Unsichtbarkeit ein zentraler Teil des Problems selbst war.

Hätte ich von Anfang an Verständnis für meine Probleme bekommen, hätte es sicherlich nicht so lange gedauert, aber so musste ich für mich erstmal das Verständnis aufbauen, was im Umfeld nicht vorhanden war.

Nicht-med. Bereich: Ist voll okay

Es ist doch auch eigentlich voll stark, sich zum Nähen in die Klinik zu trauen. Für die meisten ist das glaube ich super schwer

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Mir ging es selbst lange Zeit psychisch schlecht🖇ʚїɞ