Arbeitszeugnis bewerten / Fokus: Führung und Kommunikationsfähigkeit

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Hallo Krabbe78,

ich habe mir vor einiger Zeit ein Zwischenzeugnis ausstellen lassen. Ich habe mir dann die Textbausteine besorgt, die in meiner Firma benutzt werden und hinter denen sich konkrete Noten verbergen Tatsächlich hat man mir mehrmals die Note 4 reingedrückt. Ich habe mich dann intensiv mit Zeugnissprache beschäftigt. In Deinem Zeugnis erhältst Du mehrmals die Note 1. Bei manchen Punkten habe ich den Eindruck, dass sie negativ sind, vor allem in Richtung Führung/ Kommunikation. Ich habe mich eingehend mit Deinem Zeugnis beschäftigt, weil ich selbst so viel Ärger und Aufwand hatte und hoffe, dass ich Dir weiterhelfen kann. Ich kann mit meinen Einschätzungen auch daneben liegen. Sinnvoll ist es, wenn Du Dir die Textbausteine besorgst, die bei Euch benutzt werden (wenn es das gibt).

Diese Punkte fehlen (bewusst weggelassen?): Werdegang in der Firma, Aufgabengebiet, Beispiele von herausragenden Erfolgen.

Hier meine Einschätzung der Kriterien: Fachwissen = Note 2 "Herr XXX verfügt ... Praxis an."

Weiterbildung = Evtl. gefährlich "Er besucht ... , um seine Stärken weiter auszubauen ... erweitern." Diesen Ausdruck habe ich nirgends gefunden. „Um seine Stärken weiter auszubauen“ könnte eine Falle sein. Könnte bedeuten, dass Du bspw. dringend Entwicklungsbedarf hast, Führungsqualitäten zu verbessern und dies nicht gelingt. Die Stärken könnten durch das besondere Hervorheben tatsächlich eine Schwäche sein. Beispiel Note 1: "Besonders hervorheben möchten wir, dass er in eigener Initiative sein Fachwissen immer erfolgreich durch den regelmäßigen Besuch von Weiterbildungsseminaren erweitert."

Auffassungsgabe = schlechte Note 2 "Aufgrund ... Lösungen, die er konsequent ... umsetzt." Häufigkeitsangabe fehlt, kann bedeuten, dass Du häufig keine Lösungen findest. Beispiel Note 1: "Aufgrund seiner präzisen Analysefähigkeiten und seiner sehr schnellen Auffassungsgabe findet er jederzeit hervorragende Lösungen, die er allzeit konsequent und erfolgreich in die Praxis umsetzt."

Denk- und Urteilsvermögen = kann ich nicht beurteilen, vielleicht negativ "Hervorzuheben ..., stets konzeptionell und konstruktiv zu arbeiten, ... Urteilsfähigkeit." Normalerweise geht es hier um Denken und nicht um Arbeiten. Beispiel Note 1: "Durch sein konzeptionelles, kreatives und logisches Denken findet er für alle auftretenden Probleme stets ausgezeichnete Lösungen."

Leistungsbereitschaft = vielleicht fragwürdig "Herr XXX beweist ... Einsatzfreude und ... Loyalität dem Unternehmen gegenüber ... zusätzliche Verantwortung zu übernehmen." Die Loyalität muss nicht betont werden, das könnte das Gegenteil bedeuten. Beispiel Note 1: "Herr X erledigt seine Aufgaben jederzeit mit beispielhaftem Engagement und sehr großem persönlichen Einsatz für unser Unternehmen." Oder "Herr X identifiziert sich jederzeit voll mit seinen Aufgaben, setzt sich ohne zu zögern auch deutlich über die geregelte Arbeitszeit hinaus erfolgreich für unser Unternehmen sowie für unsere Kunden ein und übernimmt bereitwillig zusätzliche Verantwortung."

Belastbarkeit = Note 1 "Auch unter schwierigsten ... Weise."

Arbeitsweise = Note 1 "In allen Situationen ... gewissenhaft."

Zuverlässigkeit = Note 1? "Herr XXX zeichnet ... Verlässlichkeit aus." Beispiel Note 1: " Seine Arbeitsweise ist jederzeit geprägt von höchster Zuverlässigkeit und Termingenauigkeit."

Arbeitsergebnisse = Note 1 "Er findet auch ... Praxis umsetzt."

Führungsverhalten = fragwürdig "Unter der kompetenten ... anspornen." Diese Ausdrucksweise habe ich nirgends gefunden, ich empfinde sie negativ. Kompetente Leitung ist ein bisschen dünn. "Anspornen" gefällt mir auch nicht. Man könnte interpretieren, dass Du einen autoritären Führungsstil hast. Aussage fehlt, dass Du in Deiner Führungsrolle anerkannt wirst. Beispiel Note 1: "Aufgrund seines kooperativen Führungsstils wird Herr X von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die unter seiner Anleitung jederzeit hervorragende Leistungen erzielen, immer sehr anerkannt und respektiert." Beispiel Note 2: "Das Team von Herrn X erreicht unter seiner sach- und personenbezogenen Anleitung immer gute Ergebnisse. Bei Vorgesetzten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern finden seine Führungsqualitäten volle Anerkennung."

Zusammenfassende Beurteilung = Note 1 "Herr XXX erfüllt ... Zufriedenheit."

Sozialverhalten= fragwürdig "Durch seine effektive ... persönliches Verhalten ...einwandfrei." Ich empfinde den Ausdruck „effektive Kommunikationsweise“ negativ. An sich ist es zwar positiv, d. h. Du laberst nicht lange rum und kommst gleich auf den Punkt. Das Hervorheben könnte aber bedeuten, dass Du wie ein Elefant im Porzellanladen auftrittst, kein Fingerspitzengefühl hast und nicht diplomatisch bist. Und dadurch förderst Du nicht eine gute Zusammenarbeit. Ich würde darauf bestehen, dass der Satz gestrichen wird. Das Wort „persönlich“ streichen, es ist eine Einschränkung. Ich habe meine Zeichen verbraucht!

Schlussformel = Note 1

Grüße vom Goldsuppenhuhn

Da die Frage erneut gestellt wurde, nehme ich an, dass Du mit der Antwort nicht zufrieden bist. Nicht ganz klar ist mir die Intention oder der Grund der Nachfrage (also ob es Eigenformulierungen sind, Zweifel am ausgestellten Zeugnis oder was auch immer).

Ich unterscheide grundsätzlich zwischen Theorie, Hören-sagen und Realität. Was Goldsuppenhuhn geschrieben hat, entspricht dem Lehrbuch und bezieht sich auf ein (umfangreiches Abschluss-) Arbeitszeugnis (wobei es hier eigentlich um ein Zwischenzeugnis geht). Bei den Situationen, bei denen ich derartige Formulierungen auf dem Bewerbertisch hatte, stellte sich in vielen Punkten beim Nachfragen (oder leider z.T. auch erst in der Probezeit) heraus, dass die "Floskeln" nur als Bausteine aus einem Template übernommen wurden und selten vollumfänglich zutrafen. Gerade die permanente Verwendung von Steigerungen (stets, jederzeit, zu vollsten, außerordentlich) schwächt die Glaubwürdigkeit in meinen Ohren ab. Entsprechend hake ich in solchen Fällen bei den Personalvermittlern nach, oder telefoniere mit früheren Arbeitgebern oder erfrage konkrete Beispiele im Bewerbergespräch.

Bedeutend sachlicher kommen jene Zeugnisse an, wo überwiegend über die konkreten fachlichen Qualitäten, die Projekte und Tätigkeiten geschrieben wird, und die (recht pauschale) Beurteilung des Verhaltens etc. nur max 1/3 einnimmt.

Ich habe ganz bewusst von meiner Erfahrung gesprochen. Das mag in anderen Unternehmen, Branchen, Regionen unterschiedlich sein.

PS: Angebliche Codierungen a la "jederzeit und stets zu unserer allervollsten und größtesten Zufriedenstheit" gehören jedoch in die Kategorie "Hören-sagen" :-)

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