Woher weiß die DNA was sie machen muss?

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Überhaupt nicht. Viele glauben, die DNA wäre eine Art detaillierter Bauplan für ein Lebewesen, der genau vorschreibt, welches Teil an welche Stelle gehört. So wie aus einer Konstruktionszeichnung für ein Möbelstück genau hervorgeht, an welche Stelle jede einzelne Schraube, jeder Dübel und jeder Nagel muss.
Aber so ist es überhaupt nicht. Die DNA enthält nur die Informationen darüber, aus welchen Elementen (Aminosäuren) die Bausteine eines Lebewesens, nämlich die Proteine, zusammengesetzt sind. Wie die Proteine im Einzelnen zu einem Lebewesen zusammengesetzt werden müssen, steht in der DNA überhaupt nicht drin. Die DNA enthält nicht einmal die Informationen darüber, welche Sekundär-, Tertiär- und Quartärstruktur ein Protein besitzen muss, d. h. wie ein Protein korrekt gefaltet werden muss, damit es eine räumliche Struktur bildet und damit überhaupt erst funktionstüchtig. Man kann sich das in etwa so vorstellen, als wolle man ein kompliziertes Gericht kochen, hat aber nur die Zutatenliste vor sich liegen.

Wie schafft es die Natur dann, dass trotzdem, obwohl die DNA quasi nur die Zutatenliste darstellt, ein hochkomplexes Lebewesen entstehen kann, dass also am Ende ein schmackhaftes Gericht dabei herauskommt? Die Antwort lautet: Selbstorganisation. Damit ein komplexes Ganzes funktioniert, braucht es gar keine detaillierte Anleitung für jeden einzelnen Schritt, nur ein paar einfache Grundregeln. Bleiben wir kurz bei unserem Beispiel des Kochs, der aus einer Zutatenliste ein Gericht kochen soll. Einige solcher Grundregeln könnten z. B. sein: "Du musst Eier aufschlagen", "Fleisch musst du immer durchgaren" oder "Gemüse mit harter Schale sollst du schälen". Wenn ein Koch diese grundlegenden Regeln befolgt, kommt am Ende etwas Gutes dabei heraus. Das Schöne ist: mit ein und derselben Zutatenliste lassen sich womöglich sogar drei, vier oder sogar noch mehr verschiedene Gerichte zubereiten. Ein Koch, der nicht nur stur seinem Rezeptbuch folgt, ist also viel flexibler in seinen Möglichkeiten. Er kann z. B. reagieren, wenn eine der Zutaten einmal nicht erhältlich ist oder wenn ein Gast einen Sonderwunsch hat.

Bevor wir zu den Proteinen zurückkehren, schauen wir uns noch etwas anderes Hochkomplexes an, nämlich einen Vogelschwarm. Wie schaffen es die Vögel, sich derart genau abzustimmen, dass alle urplötzlich synchron die Richtung wechseln können und dabei für uns so bezaubernd schön anzusehende Muster in den Himmel zaubern?
Forscher wollten herausfinden, welchen Regeln Schwärme folgen und haben deshalb mit Hilfe von Computern Simulationsprogramme geschrieben. In ihren Simulationen haben sie die Vögel durch Punkte am Bildschirm ersetzt. Das Überraschende ist, dass es gar nicht notwendig war, das Programm jeden einzelnen Punkt berechnen zu lassen. Es reicht, wenn das Programm einige Grundregeln zu befolgen hat, z. B. "Halte einen Mindestabstand zu deinen Nachbarn" und "wenn dein Nachbar die RIchtung wechselt, dann wechsle auch die Richtung" oder "wenn ein Feind kommt, weiche aus" (reale Feinde wie Raubvögel wurden in den Simulationen durch große Punkte ersetzt, die in den Schwarm aus kleinen Punkten stürmten). Die Simulationen verhielten sich erstaunlich genau wie richtige Schwärme. Ein Vogelschwarm folgt also gar keinem komplexen Plan, sondern nur wenigen Grundregeln und der Einzelvogel hat gar nicht den Gesamtschwarm im Blick, sondern nur das, was seine unmittelbaren Nachbarn tun.

Nun aber zurück zu den Proteinen. Obwohl ... halt, noch nicht. Wir schauen lieber noch ein anderes Beispiel an.
Es gibt heute Schachcomputer, die besser sind als Menschen. "Deep Blue" von IBM war 1996 der erste Computer, der es geschafft hat, gegen einen Schachweltmeister zu gewinnen. Man möchte meinen, dass ein Schachprogramm ein enorm komplizierter Algorithmus ist, der die gemachten Züge analysiert und jeden möglichen Ausgang berechnet, um dann mit der optimalsten Gegenstrategie den nächsten Zug zu machen. So funktioniert ein Schachalgorithmus aber nicht, so kann er auch gar nicht funktionieren. Schon nach wenigen Zügen nämlich gibt es mehr mögliche Ausgänge als es Atome im Weltall gibt! Ein Computer kann also gar nicht jede nur erdenkliche Variante durchrechnen. Es ist überraschend, aber auch ein Schachalgorithmus folgt nur einigen Grundregeln wie z. B. "du musst deinen König unbedingt schützen" und natürlich "Läufer dürfen nur diagonal ziehen", "Türme dürfen nur senkrecht oder waagerecht ziehen" usw.
Was ein Schachalgorithmus macht, ist einfach zu "beobachten", wie sich sein Gegner verhält. Welche Züge er bevorzugt macht, wie er auf diese oder jene Situationen reagiert und daraus abzuleiten, wie sein Gegner sich wahrscheinlich am ehesten verhalten wird. Auch hier braucht es keine komplexe Anleitung, ein paar einfache Grundinstruktionen genügen.

So, und jetzt kehren wir endlich zu den Proteinen zurück. Auch die falten sich, nachdem sie an den Ribosomen gebildet wurden, von ganz alleine automatisch in die richtige Richtung und bilden so ganz von selbst ihre richtige räumliche Struktur aus, ohne dass sie "wissen" müssen, welche Form sie dabei annehmen müssen. Die Proteine "folgen" dabei einfach nur ein paar grundlegenden Regeln. In diesem Fall folgen sie einfach den Gesetzmäßigkeiten, die ihnen die Atomchemie vorgibt. Die Atome in den Aminosäuren stehen ja in Wechselwirkung zueinander. Sie stoßen sich ab, ziehen sich gegenseitig an, bilden Wasserstoffbrücken aus und können sich nur in ganz bestimmten Winkeln zueinander anordnen. Ein Kohlenstoffatom beispielsweise kann vier andere Atome (z. B. Wasserstoffatome, wenn es sich um ein Methanmolekül handelt) an sich binden, wobei der Winkel in den Atombindungen immer 109.5° beträgt - immer! Es ergibt sich dabei automatisch die Form eines Tetraeders mit dem Kohlenstoffatom in der Mitte.
Ein weiteres Beispiel der atomaren Selbstorganisation sind Schneeflocken. Zwar gleicht keine Schneeflocke der anderen, aber allen gemeinsam ist, dass sie eine sechszählige Geometrie aufweisen, also immer sechs Zacken aufweisen, die aber sehr unterschiedlich aussehen können. Auch diese Struktur ergibt sich automatisch, wenn die Wassermoleküle zu Eis kristallisieren, weil die Winkel zwischen den Atombindungen der Wasserstoff- und Sauerstoffatome in den Wassermolekülen immer gleich sind und sich die Wassermoleküle in ihrem Kristallgitter nur in 60°- und 120°-Winkeln zueinander anordnen können. Niemand sagt der Schneeflocke, dass sie sechseckig werden muss, sie wird es von ganz allein. Und nichts anderes tun die Proteine. Sie folgen der Geometrie, die ihnen durch ihre Atome und die Wechselwirkungen dazwischen vorgegeben wird und falten sich von selbst in die richtige Richtung.

Die Anordnung und Ausdifferenzierung der Zellen wird einerseits genetisch vorgegeben, durch so genannte Regulatorgene. So regelt z. B. die Aktivität der hox-Gene die grundlegende Körpersegmentierung (homöotische Gene), indem ihre Transkriptionsprodukte (also die von ihnen codierten Proteine) die Aktivität anderer Gene hemmen oder fördern. Die hox-Gene legen damit z. B. die Körperachse des Embryos fest, also "vorn" und "hinten". Die unterschiedliche Aktivität der hox-Gene in den verschiedenen Abschnitten des Körpers steuert, wo Extremitäten gebildet werden sollen und wo nicht oder auch, welche Art von Extremität gebildet werden soll. Bei Insekten regeln sie z. B., ob sich aus einer Extremitätenanlage eine Antenne, ein Mundwerkzeug oder ein Laufbein entwickelt.

Andererseits erfolgt die Regulation auch durch epigenetische Mechanismen. Das betrifft v. a. die Determinierung der Zellen. Die befruchtete Eizelle (Zygote) besitzt die Fähigkeit, einen vollständigen Organismus zu bilden. Sie ist eine totipotente Stammzelle, d. h. sie kann jeden Zelltyp hervorbringen, den es in einem Organismus gibt, also z. B. Muskelzellen, Nervenzellen, Leberparenchymzellen usw. Auch die nachfolgenden Zellen sind noch totipotent. Wenn ein Embryo in dieser frühen Phase seiner Entwicklung getrennt wird, können beide Teile sich deshalb zu einem vollständigen funktionstüchtigen Organismus entwickeln. Und weil beide Teile aus derselben befruchteten Eizelle hervorgegangen sind, sind sie genetisch vollkommen identisch. Auf diese Weise entstehen eineiige Zwillinge. Etwa ab dem Zeitpunkt, bei dem am Embryo der Primitivstreifen auftritt und damit die Körperachse festgelegt wird, verlieren die Zellen ihre Totipotenz. Sie werden in ihrer Entwicklungsfähigkeit eingeschränkt und können nur noch bestimmte Zelltypen hervorbringen. Aus einer Muskelzelle können deshalb nur noch andere Muskelzellen hervorgehen, aber z. B. keine Nervenzellen - obwohl alle Zellen des Körpers (mit Ausnahme der Gameten) die gleiche DNA enthalten und damit alle die vollständige "Bauanleitung" (die, wie wir nun wissen, eigentlich keine ist). Die Zellen werden in ihrer Entwicklungsfähigkeit also festgelegt oder determiniert. Die Determination erfolgt dabei v. a. durch die Epigenetik. Damit sind Mechanismen gemeint, die die Aktivität von Genen beeinflussen (Genregulation), aber nicht den genetischen Code (die Abfolge der Nukleotide in der DNA) selbst verändern. Dazu gehört z. B. die so genannte DNA-Methylierung. Das in der DNA vorkommende Nukleotid Desoxycytidin (ein Nukleotid mit der Base Cytosin, abgekürzt C) kann mit einer Methylgruppe (–CH3) verknüpft werden. Wird ein Gen auf diese Weise methyliert, kann es von der Proteinmaschinerie der Zelle nicht mehr abgelesen werden, es wird inaktiv (man sagt auch "stumm geschaltet"), wenn es gerade nicht benötigt wird. Die DNA-Methylierung ist reversibel. Wird das Gen wieder gebraucht, können die Methylgruppen wieder entfernt und das Gen somit wieder aktiviert werden, d.h. ablesbar für die transkribierenden Enzyme. Andere Formen der Epigenetik sind nicht reversibel. Bei der Determination bilden sich somit epigenetische Muster aus, die bestimmte Gene der Zelle ausschaltet. Diese epigenetischen Muster werden bei der Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben und schränken damit auch diese in ihrer Entwicklungsfähigkeit ein. Dadurch werden beispielsweise in einer Leberparenchymzelle die Gene stumm geschaltet, die eine Leberparenchymzelle nicht benötigt, eine Muskelzelle aber schon.
Die Epigenetik ist noch ein sehr junges Gebiet der Biologie, entsprechend wissen wir aktuell noch sehr wenig über sie. Trotzdem ist schon jetzt klar: auch die Epigenetik ist kein Hexenwerk, genau wie die Regulation durch die hox-Gene. Und sie benötigt keineswegs das Eingreifen durch irgendeine höhere, schöpferisch tätige Macht. Das Leben organisiert sich ohne Zutun von außen ganz einfach selbst.

Auch wenn die Selbstorganisation biologischer Systeme keine Zauberei ist, was das Leben in all seiner staunenswerten und höchst überraschenden Vielfalt hervorgebracht hat und immer noch hervorbringt, wird dadurch nicht weniger zu einem großen Wunder.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Ja, das ist wirklich eine "gutefrage". Die meisten Menschen denken ja gar nicht soweit. Denen ist das weitgehend egal.

Ich denke das kann man nicht in wenigen Sätzen beantworten. Obwohl du von "Darwinist" schon eine sehr ausführliche und gute Antwort bekommen hast, ist damit natürlich noch nicht die Funktion aller Gene erklärt. Auch wenn du Biologie oder Medizin studieren würdest, hättest du am Ende nur eine grobe Vorstellung, wie Gene funktionieren.

Ich habe mir die Antwort von "Darwinist" nur grob durchgelesen. Aber ich denke, auch ein Bauplan ist in den Genen, wo drin steht, wie lang die Finger werden, wie die Augen aufgebaut sind, oder die Wirbelsäule. Viele Gene werden auch benötigt für einen funktionierenden Stoffwechsel, entgiftung des Körpers, und für das Immunsystem. Und natürlich für das Gehirn, die Intelligenz.

BerndBauer3  16.03.2022, 20:04

Ich habe da noch eine kleine Ergänzung. Schon für einen Regenwurm, oder eine Pflanze, oder eine Bakterie, braucht es Millionen von Genen.

Ich habe mir deine Frage noch einmal durchgelesen. Ja, ich denke auch, das es ein Wunder ist. Aber das hat sich über Millionen Jahre entwickelt. Und alles negative, und krankhafte ist ausgestorben.

Aber wirklich beantworten können das nur sehr wenige, oder vielleicht auch niemand. Aber es ist auch vieles erforscht worden, in den letzten Jahrzehnten. Man kann relativ einfach das genom von Menschen , Tieren und Pflanzen bestimmen. Auch die mrna Impfstoffe gegen Corona haben ja mit Genforschung zu tun.

Aber für mich, als Laie, ist es unvorstellbar, daß das alles in den Genen gespeichert ist. Das es sich bei einem Embryo alles so entwickelt, wie es sein muß. Jeder Knochen, jedes Gelenk, jedes Organ. Das ein Kind wächst, und wenn es ausgewachsen ist, hört das Wachstum auf. Das Immunsystem, Augen, Nase, Gehör. und das Gehirn, die Intelligenz. Auch bei Tieren, aber vor allem beim Mensch. Eigendlich ein Wunder. Aber man kann das erklären. Es ist in den Genen.

Ob es einen Gott gibt, woher das Weltall kommt, was vor dem Urknall war, das weiß ich nicht.

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Die glaeubigen Katholiken wuerden dir jetzt einen vom "lieben" Gott erzaehlen, der alles so toll konstruiert hat. Dem ist nicht so, sonst waere dieser Gott eine Flasche leer, keine Ahnung von Nix ;-(

Kann mir nicht vorstellen, ob die Menschen bisher ueberhaupt herausgefunden haben, warum dies so oder anders angeordnet ist und funktioniert. Selbst in der Natur gibt es jede Menge Fehler, die sich ein so maechtiger Gott gar nicht leisten wuerde. Deshalb:

Es wird noch viele Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern, bis wir wirklich wissen, wie alles entstand.

Tolle Frage: Danke dafuer.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Weil es in den Eigenschaften vorgeschrieben ist das Materie sich bilden und DNA komplexe Verhaltensmuster zeigt.