Wing Tsun, Aikido oder doch Krav Maga?

8 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Es gibt deutliche Unterschiede zwischen Kampfsport, Kampfkunst und Selbstvertzeidigungssystem, die man berücksichtigen sollte.

Was ist Kampfkunst, Kampfsport und Selbstverteidigung?
  • Kampfkünste haben neben körperlicher Wirksamkeit vor allem den Anspruch, Persönlichkeit und Charakter zu schulen. Man lernt also nicht primär um jemand anderen zu besiegen - auch wenn man mit Kampfkünsten leicht Personen töten könnte - sondern vor allem zur eigenen Selbstentwicklung. Beispiele wären traditionelles Karate und Aikido

und

  • Kampfsport ist dagegen auf Wettkampf ausgelegter Sport. Hier wurden alle zu gefährlichen Techniken entfernt, um beispielsweise auch Vollkontakt-Kämpfe durchführen zu können. Hierzu gehören zB Sportkarate, oder Kickboxen. Charakterlich lernt man hier etwa Fairness und Respekt.

und

  • Selbstverteidigungssysteme dienen dazu, einen körperlichen Angriff so schnell und Effektiv wie möglich abzuwehren und den Angreifer kampfunfähig zu machen. Hier geht es also eher um körperliche Aspekte, auch wenn manche Systeme auch psychologische Aspekte einbeziehen.
Was sind Aikido, Krav Maga und Wing Chun?

Aikido ist eine Kampfkunst, die einem Angriff nicht mit Gegengewalt begegnet, also zB einen Fauststoß mit dem Unterarm abwehrt, sondern die Bewegungsenergie des Angreifers in eine kreisförmige Bahn umleitet. So kommt der Angreifer durch seinen eigenen Krafteinsatz aus dem Gleichgewicht und kann dann geworfen, oder durch einen Gelenkhebel fixiert werden.

Da Aikido eine Kampfkunst ist, umfasst es nicht nur Techniken, sondern soll auch zur Charakterschulung und Persönlichkeitsentwicklung beitragen. So kann es Ängste abbauen, mehr Ausgeglichenheit fördern, positiv auf das Selbstbewusstsein wirken usw.

Krav Mage ist ein Selbstverteidigungssystem, das ursprünglich aus der israelischen Armee stammt. Hier geht es darum, den Angreifer möglichst schnell und effektiv kampfunfähig zu machen, oder unter Kontrolle zu bringen.

Anders als Kampfkünste haben Selbstverteidigungssysteme in der Regel keinen besonders philosophischen Ansatz, sondern lehren, gerade bei Frauen-, eher deeskalierende Verhalten und Selbstbehauptung.

Wing Chun ist ein Stil des Kung Fu, hat aber nichts mit akrobatischen Handstandüberschlägen, Sprungtritten, oder Rumgefuchtel mit Säbeln zu tun, sondern ist von seinen Konzepten her, meiner Ansicht nach schon eher im Bereich Selbstverteidigung einzustufen. Auffallend ist die Anwendung der Techniken, die wenig Platz beansprucht.

Welches ist das beste System?

Das beste System gibt es meiner Meinung nach nicht - Werbung mit einer solchen Behauptung ist meiner Meinung nach schlichtweg unseriös.

Vielleicht die wichtigste Eigenschaft in einem realen Kampf ist die Fähigkeit, sich den äußeren Umständen und ungewohnten Techniken anpassen zu können.

Weder die 108 geheimen Techniken der Shaolin noch das krasseste Militär-Türsteher-Selbstverteidigungssystem bringen etwas, wenn man mit der Situation überfordert ist.

Reale Kämpfe laufen grundsätzlich immer ganz anders ab als eingeübt, oder antrainiert, richtige "Bilderbuchkämpfe" aus dem Lehrbuch wird es kaum geben.

  • Wenn ein erfahrener Boxer sich von den akrobatischen Techniken und den Luftsprüngen eines Kungfu-Anfängers beeindrucken lässt, kann er sich nicht auf die ungewohnten Tritte einstellen und den Kampf wahrscheinlich verlieren.

aber

  • Wenn der Boxer ruhig bleibt und seine Erfahrung nutzt, dann kann er sich auch auf die bislang unbekannten Trittechniken einstellen. Er blockt dann so lange, bis der Möchtegern Bruce Lee nicht aufpasst - und verpasst ihm einen rechten Haken.

Außerdem sind reale Umstände ganz anders, als im frisch gewaschenen Kampfanzug barfuß auf der Matte zu stehen.

  • Im Winter in einer dicken Jacke, mit schweren Stiefeln, Handschuhen, Mütze tief im Gesicht und Schal vor dem Mund auf rutschigen Boden zu kämpfen ist etwas, dass man kaum je im Standardunterricht lernen wird.

Außerdem gilt noch die Regelfreiheit

Wenn du im Winter dem Angreifer Schnee in die Augen werfen, oder eine Schneeschaufel um die Ohren hauen kannst - versuche es. Ist nicht fair, sieht nicht schön aus und im Wettkampf würdest du disqualifiziert - das zählt hier jedoch nicht.

Fazit: Effektivität ist, was du draus machst - nicht der Stil
Woher ich das weiß:Hobby – Seit etwa 40 Jahren Training des Aikido
Enzylexikon  28.10.2014, 14:21

Ich persönlich liebe Aikido und kann eigentlich jedem empfehlen, es zumindest einmal bei einem Probetraining für sich auszuprobieren. Ich habe sowohl mit Kindern, als auch mit Frauen und Behinderten positive Erfahrungen gemacht.

Neben einer rein körperlichen Verteidigungsfähigkeit, die trotz der ästhetischen Bewegungen nicht unterschätzt werden sollte, profitiert man auch anderweitig.

Hier habe ich einmal ausführlicher erklärt, wieso ich Aikido schätze

http://www.gutefrage.net/frage/gute-kampfkunst-gesucht

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Rottx1512 
Fragesteller
 28.10.2014, 15:18
@Enzylexikon

applaus geilste Antwort die ich bis jetzt gelesen hab ;) den stern hast du dir mehr als verdient :)

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Rottx1512 
Fragesteller
 28.10.2014, 15:19
@Rottx1512

Ich glaube ich werde Krav Maga wählen..Wing Tsun ist glaub ich nix für mich ^^ auch wenns den charakter schult. Aikido wär auch cool, aber ich glaub da steckt nicht sooo viel action drinen. und Action ist genau das was ein typ wie ich braucht :)

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Enzylexikon  28.10.2014, 16:39
@Rottx1512

Vorab um Missverständnissen vorzubeugen: Ich will niemanden davon überzeugen Aikido jetzt unbedingt lernen zu müssen, weil es irgendein "obercoler endskrasse Super-Stil" ist, sondern nur die Gelegenheit nutzen um zu ein wenig zum Thema "Action und Aikido" zu erzählen.

Jetzt also los mit der Märchenstunde. ;-)

Dir sagt vielleicht der Name des einst international erfolgreichen Action-Filmschauspielers Steven Seagal ("Alarmstufe rot") etwas.**

Seagal ist mit dem 7. Dan (Aikiai) recht hoch graduierter Aikido-Lehrer, der mittlerweile seinen eigenen Stil ("Tenshin Aikido") vertritt

Auch wenn die Techniken natürlich dramaturgisch für die Filme "aufgemotzt" wurden, bleibt das gezeigte im Grundzug dennoch Aikido. Das ganze kann somit durchaus spektakulär und actionlastig aussehen.

Das Aikido nicht nur visuell schön, sondern auch effektiv ist, lässt sich durch einen Actionfilm natürlich nicht belegen.

Daher hier mal ein paar YouTube-Tipps.

  • Die Videos von Stefan Stenudd (6. Dan Aikikai) zeigen Aikido in ziemlich direkter Anwendung

Er zeigt beispielsweise, dass auch in scheinbar konventionellen Bewegungen Atemi - Techniken auf empfindliche Körperstellen "versteckt" sind, oder wie man Aikido zum Ausweichen bei tritten nutzen kann.

Link: youtube.com/user/Aikidostenudd/about

  • Interessant vom Standpunkt konkreter Anwendung sind vielleicht die Videos von Doug Wedell (7. Dan Seidokan Aikido).

Er befasst sich mit der Selbstverteidigung gegen Faustschläge und verschiedene bewaffnete Angriffe.

Link: youtube.com/user/MasaKatsuAiki/about

Abschließend dann noch mal ein bisschen was aus meinen persönlichen Erlebnissen mit Aikido.

Eigene Erfahrung.

Wie ich ja in meinem Link oben schon sagte, war ich selbst bereits dreimal in Situationen, in denen ich andere Personen und in einem Fall davon auch mich, verteidigen musste.

Ich bin nicht stolz darauf, einem Angreifer Schmerzen zugefügt zu haben und fand es jetzt auch nicht toll, endlich mal die "Effektivität" ausprobieren zu können - aber es wurde zumindest niemand dauerhaft schwer verletzt.

In einem Fall war es ein versuchter Raubüberfall mit einem Messer. Die Situation eskalierte, da ich kein Bargeld oder Mobiltelefon dabei hatte (ich besitze nicht mal eines. ^ ^)

Damals war es ein "kote-gaeshi" der mir half, heil aus der Situation herauszukommen.

https://www.youtube.com/watch?v=o8RipNS85bQ

Es gibt vom Standpunkt der Selbstverteidigung wahrscheinlich bessere, sichere oder effektivere Techniken in dieser Situation - und garantiert hatte ich verdammt viel Glück, denn bei Messerangriffen würde ich im Normalfall sofort kooperieren ("kein Geld" glaubte er mir einfach nicht)

Mir hat Aikido damals jedenfalls geholfen, um anschließend die Beine in die Hand nehmen und mich aus dem Staub machen zu können.

Da der Angreifer nicht geübt war richtig zu fallen, wird er sich vermutlich das Handgelenk ziemlich übel verletzt haben - wir haben aber beide überlebt. :-)

Für mich ganz persönlich waren auch die beiden anderen Situationen Gelegenheit genug um festzustellen, dass Aikido ziemlich "Action" bringen kann.

Wie gesagt, das soll hier kein Bekehrungsversuch oder Überzeugungsarbeit sein - es ist einfach so, dass "mangelnde Action" oder "wenig Effektivität" beides Punkte sind, die beim Thema Aikido immer wieder mal auftauchen.

Hoffe, es war zumindest etwas interessant. :-)

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Enzylexikon  30.10.2014, 13:30

Vielen Dank für den Stern. :-)

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Eigentlich kann dir Wikipedia schon einiges dazu sagen. Ganz soviel Zeit, das hier auszubreiten, habe ich nicht. Die östlichen Stile haben schon mal einen philosophischen Hintergrund und zielen auch auf Persönlichkeitsentwicklung. Krav Maga zielt darauf ab, den Gegner möglichst effektiv ausser Gefecht zu setzen. Rücksicht auf dessen Gesundheit oder grundsätzlicher Respekt voreinander sind da eher Fehlanzeige.

Meine Empfehlung wäre übrigens "Jiu Jitsu".

Rottx1512 
Fragesteller
 28.10.2014, 09:23

Persönlichkeitsentwicklung? das hört so so an als wärs weit von "kampf" entfernt. Was lernt man denn in Jiu Jitsu ??

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volkri  28.10.2014, 09:51
@Rottx1512

La, leider ist diese Seite im im westlichen Training immer etwas unterbelichtet.

Meine Meinung: Ein Kämpfer hat Persönlichkeit, ein Schläger nicht.

Jiu Jitsu: Jetzt mal ganz einfach ausgedrückt: Werfe Aikido und Judo in einen Topf, dann bekommst du Jiu Jitsu. Kominiere Jiu Jitzu mit Boxen und du hast Krav Maga. Jiu Jitsu ist die Basis vieler heutiger Kampfsport- und Selbstverteidigungsarten. Wikipeia meint dazu: "Jiu Jitsu ist eine von den japanischen Samurai stammende Kampfkunst der waffenlosen Selbstverteidigung. Jiu Jitsu soll ein breites Spektrum von Möglichkeiten zur Selbstverteidigung und – unter anderem durch Stärkung des Charakters und Selbstbewusstseins – auch zur friedlichen Lösung von Konflikten bieten.

Jiu Jitsu wurde von Samurai praktiziert, um bei einem Verlust oder Verbot der Hauptwaffen (Japanisches Schwert (Katana), Speer, Schwertlanze, Bogen) waffenlos oder mit Zweitwaffen weiterkämpfen zu können. Es wurde zunächst als geheime Kunst nur innerhalb des Adels weitergegeben, im Laufe der Zeit wurde es aber auch von nichtadligen Japanern ausgeübt.

Ziel des Jiu Jitsu ist es, einen Angreifer – ungeachtet dessen, ob er bewaffnet ist oder nicht – möglichst effizient unschädlich zu machen. Dies kann durch Schlag-, Tritt-, Stoß-, Wurf-, Hebel- und Würgetechniken geschehen, indem der Angreifer unter Kontrolle gebracht oder kampfunfähig gemacht wird. Dabei soll beim Jiu Jitsu nicht Kraft gegen Kraft aufgewendet werden, sondern – nach dem Prinzip „Siegen durch Nachgeben“ – so viel wie möglich der Kraft des Angreifers gegen ihn selbst verwendet werden."

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Rottx1512 
Fragesteller
 28.10.2014, 10:03
@volkri

Jiu Jitsu ist also Selbstverteidigung? Gefällt mir ;) ich habe leider grade erfahren dass es in meinem Umfeld nirgends einen Krav Maga club aber dafür einen Jiu Jitsu club gibt ;) wenn das wirklich selbstverteidigung ist so wie du es gesagt hast dann interessierts mich. Aber mal was anderes: Was ist "brazilian Jiu Jitsu"?? soviel ich weiß rollen die nur am boden rum oder so

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volkri  28.10.2014, 10:11
@Rottx1512

Das genau ist der Bodenkampf, ein Teilbereich des Jiu Jitsu, der langweilig aussieht aber enorm effektiv ist, da hier die meisten Hebel und Würgetechniken eingesetzt werden. Im Vergleich zum originalen Jiu Jitsu sind im brasilianschen Jiu Jitsu die spektakulär aussehenden Tritte/Schläge/Würfe eher unterepräsentiert. Die brasilianische Variante wurde speziell dahin entwickelt, gegen an Größe und Kraft überlegene Gegner zu bestehen.

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Rottx1512 
Fragesteller
 28.10.2014, 11:30
@volkri

Interessant. Darum wird brazilian jiu jitsu auch im MMA verwendet stimmts? :)

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volkri  28.10.2014, 11:35
@Rottx1512

So isses, hat sich mittlereile durchgesetzt, da es eben erfolgreich ist. Diese Techniken lernst du allerdings auch im normalen Jiu Jitsu, nur eben gleichberechtigt neben den "Standtechniken". Schau doch einfach mal bei dem Club in deiner Nähe vorbei. Letztenendes entwickelt im Laufe der Zeit ohnehin jeder den Stil, der am besten zu ihm passt.

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Kannst Du denn nicht einfach bei jeder der Sportart mal mit einer Probestunde "rein schnuppern"?

Ich kann zu Aikido wenig sagen aber ich habe Wing Chun und Krav Maga trainiert und finde beide Systeme durchaus gut. Am Ende des Tages ist es aber auch immer einer Frage von wie oft und wie intensiv zu trainierst.

Du solltest Kampfkunst von Selbstverteidigung unterscheiden, das sind verschiedene Dinge. Kampfkunst, wie der Name schon sagt, hat etwas mit Ästhetik, verschnörkelten Bewegugen(nicht abwertend gemeint) und Tradition zu tun, wärend Selbsverteidigung für die Strasse gedacht ist.

Wenn Du was für die Strasse willst mach Krav Maga, Systema oder etwas ähnliches.

Rottx1512 
Fragesteller
 28.10.2014, 09:19

Okay, angenommen ich mache jetzt eine Kampfkunst..was genau lerne ich dann dort? Ästhetik??? Nein danke. Ich brauche schon etwas Action

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Raetselknacker  28.10.2014, 13:00
@Rottx1512

Nein, auch bei Kampfkunst gibt es Action. Entscheident ist nur wofür Du es lernen willst. Steht selbstverteidigung im Vordergrund, dann mach etwas was auf "Effizienz" ausgelegt ist.

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