Wieso konnte früher ein Alleinverdiener eine Familie aleine durchbringen und heute haben sogar Doppelverdiener finanzielle Probleme?

5 Antworten

Die Ansprüche waren niedriger.

Ich bin Jahrgang 73. Wir hatten 1 Auto, das wurde gebraucht gekauft und musste mind. 15 Jahre halten. Meine Mutter hatte noch nicht mal einen Führerschein. Neue Klamotten gab es für mich als Kind, wenn ich einen Wachstumsschub hatte. Meine Eltern kauften sich nie etwas Neues. Bei der Wohnungsauflösung entsorgte ich Kleidung aus den 70ern und 80ern. Moderneres gab es nicht. Wir wohnten in einer Betriebswohnung und mein Vater konnte zur Arbeit laufen - in nicht mal 2 Minuten.

Urlaub fand in Österreich oder Deutschland statt und maximal für zwei Wochen. Wir hatten in der Wohnung einen (!) Fernseher und einen (!) Radio mit Plattenspieler. Mehr nicht. Wir gingen nie essen und bestellen gab's damals noch nicht. Allenfalls gab es zum Geburtstag mal eine Pizza, die wir holen mussten. Essen wurde sparsam gekauft und es wurde alles aufgebraucht - nichts weggeworfen. Wir hatten einen Schrebergarten und alles Obst und Gemüse wurde eingekocht und verbraucht.

Meine Eltern saßen oft nach dem Wocheneinkauf zusammen und überlegten, wie sie mit dem wenigen Geld zurecht kommen sollten und wo man noch etwas sparen könnte. Meine Mutter wollte wieder arbeiten, als ich auf die "höhere Schule" kam, wurde aber krank und starb schließlich. Mein Vater sagte immer "Wenigstens 400,- DM würden schon reichen - das wäre die Miete."

Die Wohnungseinrichtung hatte sich seit meiner Geburt kaum verändert. Einmal gab es ein neues gebrauchtes Sofa weil ein Onkel gestorben war. Der große Traum meiner Mutter - eine neue Küche - gab es nur mit Finanzspritze von der Oma. Alles andere blieb immer gleich. Wir hatten keinen Geschirrspüler und keinen Wäschetrockner. Wir haben uns am Waschbecken gewaschen und nicht geduscht.

Hobbies hatten meine Eltern nicht. Sie spielten mal Karten oder wir spielten Brettspiele. Mein Vater hat später angefangen Zinnfiguren zu gießen und zu bemalen. Mehr haben die nicht gemacht.

Der Skikurs in der 8. Klasse war ein finanzieller Kraftakt für meine Eltern und die Abschlussfahrt war fast der finanzielle Ruin. Aber ich musste mit - das durften die Anderen nicht erfahren. Ich selbst habe es auch erst viele Jahre später erfahren.

Nach der Schule hab ich erst einen Beruf erlernt, damit ich Geld verdienen konnte. Solange ich Zuhause wohnte, musste ich Anfang 50,- DM, später 100,- DM zur Miete beitragen. Bis ich zum Studium auszog.

Die Lage entspannte sich etwas, als eine Oma starb und die mal 5.000 DM hinterließ. Aber davon wurde kaum was ausgegeben, sondern für mein Studium zurückgelegt.

Wir hatten nie Geld übrig, doch es fehlte an nichts. Uns ging es gut.

Heute gibt es viel mehr Ausgaben: 2 oder mehr Autos, alle paar Jahre ne neue Wohnungseinrichtung, Flugreisen, mehrere Urlaube im Jahr, mehr Mediengeräte, Internetanschluss, Handys, Haushaltsgeräte, die Wasser und Strom verbrauchen, jeder muss mehrmals am Tag duschen, Essen gehen und Essen bestellen ist wesentlich teurer als selbst machen, ewiger Pendelverkehr, jeder hat 10 Hobbies...

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Ich habe eben mal recherchiert und tatsächlich gibt es jede Menge Google Treffer, die alle aussagen, dass das Leben heute, in Relation zum Einkommen, sogar viel billiger ist als früher.

Beispiele: Für einen fiktiven Warenkorb, für den man 1960 durchschnittlich noch eine Stunde lang arbeiten musste, reichen heute 19 Minuten. Für einen schwarz-weiß Fernseher musste man 1960 noch 339 Stunden arbeiten, heute gibt es einen Fernseher mit 4K Auflösung schon für den durchschnittlichen Netto-Arbeitslohn von 24 Arbeitsstunden.

Also stimmt, was unten schon mehrfach geschrieben wurde.

Es liegt nicht daran, dass das Leben an sich teurer geworden ist sondern die Ansprüche sind einfach viel höher, als früher.

Man muss mehrmals im Jahr in den Urlaub, und zwar am besten fliegen, anstatt maximal einmal pro Jahr in den Urlaub fahren.

Man benötigt zwei Autos, anstatt eines, und die werden nicht so lange gefahren, bis sie keinen TÜV mehr bekommen wie früher, sondern alle paar Jahre gegen das neuere Modell ausgetauscht.

Die Wohnfläche pro Person ist heute viel größer, als vor 40 oder 50 Jahren und die Ansprüche an eine Wohnung auch viel höher. Jedes Kind benötigt heute ein eigenes Zimmer und schon jede Mietwohnung hat natürlich ein Bad und ein separates Gäste-WC. Früher zu meiner Kindheit, in den 1960er und 1970er Jahren, haben vierköpfige Familien in drei Zimmern auf 70 qm gewohnt, das war nichts ungewöhnliches.

Jedes Familienmitglied braucht sein eigenes Handy, seinen eigenen Laptop, die Kinder womöglich auch noch jeder den eigenen Fernseher im eigenen Zimmer und die Eltern noch den Zweit-Fernseher im Schlafzimmer. Früher stand ein einziges Festnetz Telefon ("Tischtelefon kieselgrau", war von der Deutschen Post, heute Telekom, nur gemietet) für alle in der Wohnung und der Fernseher für alle stand im Wohnzimmer. PC, Laptop, Handy gab es natürlich noch gar nicht.

Früher wurde in vielen Familien nur sonntags Braten gegessen, heute gibt es jeden Tag Fleisch - und ein paarmal pro Monat geht man Essen. Das gab es früher überhaupt nur ein-, zweimal im Jahr zu ganz besonderen Anlässen.

Heute sind alle Schränke voll mit Zeug, das man eigentlich gar nicht braucht, aber das man mal irgendwo mitgenommen oder online bestellt hat, nur weil man es zufällig irgendwo gesehen hat und ganz nett fand, nicht deshalb weil man es schon vorher unbedingt haben wollte oder gar brauchte und gezielt danach gesucht hat.

Und auch in diesem Zusammenhang interessant: mindestens in der Generation meiner Eltern - beide über 80 Jahre alt - herrschte oft noch ein ganz anderes Denken zu diesem Thema als heute:

Meine Mutter, die vor ihrer Heirat übrigens eine bessere Berufsqualifikation erreicht hatte als mein Vater, erzählt oft, dass sie damals ganz stolz darauf war, dass sie nach ihrer Hochzeit nicht mehr arbeiten gehen "musste", weil ihr Mann genug verdient hat. Arbeiten gehen mussten nämlich nur die Frauen, deren Männer ein zu geringes Einkommen hatten. Früher galt es also auch als Zeichen von Wohlstand, nur von einem Gehalt leben zu können und vielleicht hat man sogar dafür dann auf das eine oder andere verzichtet, das man sich mit zwei Einkommen hätte leisten können. Da hat sich heute die Einstellung, was die Berufstätigkeit von Frauen betrifft, ja zum Glück gründlich geändert.

Die Ansprüche sind gewachsen.

Früher hat man auf was hin gespart und das dauerte nun mal viele Jahre.

Die heutige Generation kann nicht warten und will alles gleich haben, sei es der 3er BMW oder das neueste iPhone. Somit reicht bei vielen, obwohl sie gut verdienen dann natürlich das Geld nicht mehr oder sind immer knapp bei Kasse.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Wie andere schon richtig sagten, waren die Ansprüche viel niedriger.

Ich bin ein Kind der 1960er Jahre.

Wir waren eine Familie mit 8 Kindern. Die Mutter war Hausfrau und der Vater ging arbeiten.

Wir hatten kein Auto, fuhren nur selten in Urlaub und wenn dann in Deutschland.

Die jüngeren Kinder trugen die Kleidungsstücke der Älteren auf und sie erbten auch Rollschuhe, Fahrrad und andere Spielsachen von den Älteren.

Wenn es mal neue Klamotten gab, wurden die von der Mutter ausgesucht.

Es gab auch nicht für jedes Kind ein eigenes Zimmer. Meine gesamten Spielsachen passten in eine kleine Kommode.

Taschengeld gab es nur sehr wenig. Das reichte maximal für ein Eis am Sonntag.

Hatte man einen Wunsch, dann hat man so lange gespart bis das Geld zusammen war und ist nicht zur nächsten Bank gelaufen, um sich Geld zu leihen.

Trotzdem waren wir eine glückliche Familie. Wir hatten uns und wir haben uns Zeit füreinander genommen.

Heute ist das leider nicht mehr möglich, schon alleine, weil die Mieten und sonstigen Kosten ausgeufert sind, so dass ein Verdiener alleine das nicht mehr stemmen kann.

Daneben sind aber auch die Ansprüche gestiegen. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, ohne Auto zu leben, nicht jedes Jahr in den Urlaub zu fliegen und alle Naselang neue Klamotten zu kaufen.

Heutige Kinderzimmer sehen aus wie ein Spielzeugladen und trotzdem wissen die Kinder nicht, was sie mit sich und ihren vielen Sachen anfangen sollen.

Der Preis dafür ist, das Familien meist keine Familien mehr sind, weil sie einfach keine Zeit mehr füreinander haben. Sie müssen ja ständig dem Geld hinterher rennen.