Blickwechsel 16. März 2022
Deine Fragen an einen Rechtsextremismus-Experten
Alles zum Blickwechsel

Wieso ist es ok, einen Salafisten oder einen Rechtsextremen zu verurteilen, aber keinen Follower des Chabad Lubawitsch oder Schabbtai Zvi?

2 Antworten

Ich möchte zunächst anmerken, dass ich kein Religionswissenschaftler bin und auf diesem speziellen Gebiet nicht sonderlich versiert bin. Auch ich weiß selbstverständlich nicht alles, und kann daher nicht fundiert einschätzen, ob es sich bei den von dir genannten Bewegungen um Sekten handelt, oder nicht. Sehr wahrscheinlich bist du was diese Thematik betrifft besser informiert als ich.

Aus meiner beruflichen Perspektive finde ich deine Überlegungen aber sehr interessant und würde daher vielleicht vorschlagen, dass wir unser Wissen bündeln und ein wenig darüber diskutieren, wenn du magst.

In diesem Kontext hätte ich zunächst ein paar Fragen:

- Welche Zielsetzungen verfolgen die genannten Bewegungen/ Organisationen?

- auf Welche Aktivitäten wird dabei zurückgegriffen, um diese Zielsetzungen zu verfolgen?

- wird dabei auf Gewalt zurückgegriffen, oder werden Eher nicht- gewalttätige Ansätze bevorzugt?

- Gibt es bei diesen Bewegungen / Organisationen charakteristische Ideologien, Weltbilder, Betrachtungen von "Fremd" und "Eigen/Selbst"?

- haben diese Bewegungen/ Organisationen konkrete, abgrenzbare Feindbilder?

- richten sich die Aktivitäten gegen ein bestimmtes Feindbild?

- in welchem Kontext gingen diese Bewegungen/ Organisationen (wo zuerst) hervor ?

Ganz grundsätzlich vertrete ich den Standpunkt, dass alle Formen von Extremismus "gleichrangig sind". Egal ob Rechts-, Links-, oder religiös fundamentalistischer Extremismus, alle drei Phänomene sind im Prinzip unterschiedliche Facetten bzw. Erscheinungsformen der selben, zugrundeliegenden Problematik: dem Extremismus im Allgemeinen.

Allerdings hast du in jedem Fall recht wenn du sagst, dass sich im politischen und gesellschaftlichen Diskurs eine gewisse "Rangordnung" dieser drei Extremismusformen entwickelt hat. Einzelne Formen werden als "schwerwiegender", "gefährlicher", "schlimmer", "relevanter" als andere dargestellt.

Wohlgemerkt ist dabei zu beachten, dass diesen drei Extremismusformen abhängig von den jeweiligen soziokulturellen Rahmenbedingungen ein Unterschiedliches Maß an Aufmerksamkeit gewidmet wird.

- der Rechtsextremismus zur Zeit des dritten Reiches, bzw. Nach dem Niedergang des dritten Reiches.

- Der Linksextremismus zur Zeit der terroristischen Aktivitäten der RAF

- Der religiös fundamentalistische Extremismus/ bzw. Der Dschihadismus nach dem 11. September bzw. Mit den zunehmenden Anschlägen und Aktivitäten im In- wie im Ausland im Laufe der Jahre.

Der Bedrohungsgrad der Extremismusform, bzw. Die dieser gewidmeten gesellschaftlichen wie politischen Aufmerksamkeit, hängen somit von der jeweiligen "Aktualität" der Problematik ab.

Was allerdings auch irreführend sein kann: die (mediale) Aktualität einer Thematik ist längst kein Indikator mehr für die Bedrohungslage und Aktivität einer Extremismusform.

Wenn Rechtsextremisten beispielsweise verstärkt auf nicht-gewalttätige Aktivitäten zurückgreifen, und weniger auf Anschläge, Morde und Gewalt, ist die mediale Aufmerksamkeit geringer - was aber nicht bedeutet, dass die Bedrohung auch geringer ist.

Unser Gehirn hat interessanterweise eine Sortierfunktion für Schmerzen, und für die Gefahren/ Bedrohungen, vor welchen diese Schmerzen warnen. Wir registrieren immer nur den Schmerz der am stärksten ist, immer nur die Gefahr die so am dringlichsten erscheint.

Ebenso interessant ist, dass dies nicht nur für die Warnehmung eines einzelnen Menschen gilt, sondern auch für menschliche Gefüge wie Kulturen und Gesellschaften.

Wenn also über längere Zeit nur auf die Gefahr einer einzelnen Extremismusform (beispielsweise Rechtsextremismus) aufmerksam gemacht wird, wenn diese Gefahr (aus politischen Gründen!) unverhältnismäßig aufgebauscht wird, führt das dazu dass wir andere Gefahren vermindert wahrnehmen, oder gar nicht wirklich registrieren.

Wobei natürlich KEINE Form des Extremismus "okay" ist, oder "akzeptabler" als die anderen.

Außerdem führt das dazu, dass Extremisten Pathologisiert werden, als schlichtweg böse dargestellt werden, ohne ein Bewusstsein für die dieser Entwicklung zugrunde liegenden strukturellen Defizite zu schaffen. Was das ganze Extremismusproblem weiter verschlimmert.

Aus diesen dargelegten Gründen, und der damit verbundenen Konsequenz, dass die Menschen die von dir genannten Bewegungen/ Organisationen überhaupt nicht oder unzureichend auf dem Schirm haben, lässt sich deine Beobachtung "erklären".

Ganz im Allgemeinen: unser Ansatz beim VPN lautet "Wir reden mit Extremisten. Nicht über sie." Daher VORURTEILEN wir diese Menschen auch nicht, egal welcher Extremismusform sie zuzuordnen sind. Zum Einen, weil dies unsere Arbeit erschweren oder mitunter unmöglich machen würde. Zum anderen, weil wir im Gegensatz zu Behörden der Strafverfolgung nicht nach Schuldigen suchen, denen dann die gesellschaftliche Missstände und Fehler des Systems angelastet werden, sondern nach den zugrundeliegenden Ursachen und Dynamiken, die Gewaltbereite Extremisten immer wieder hervorbringen.

《Anmerkung: sämtliche Beiträge zum Thema Rechtsextremismus spiegeln meine persönlichen Auffassungen und Erfahrungen wieder, ich spreche in dieser Hinsicht in keinster Weise für das VPN.》

Woher ich das weiß:Berufserfahrung

Klar datfst du die Verurteilen es kommt nur auf die Art an wie du es machst.

Und kein extremismus is ok leider knickt der Staat oft ein und dekleriert sowas als normal zb Zeugen Jehova

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin/war am leben ⛤ (halt irgendwas dazwischen)