Wie definiert Kant "Vernunft" und ist diese Definition die allgemeine im Rationalismus?

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Immanuel Kant gibt selbst Definitionen zum Begriff «Vernunft», wobei auch das Verhältnis und die Abgrenzung zu dem ähnlichen Begriff «Verstand» eine Rolle spielt.

Zwei Bedeutungen sind zu unterscheiden, «Vernunft» in einem weiten Sinn und «Vernunft» in einem engen Sinn.

In einem weiten Sinn bestimmt Immanuel Kant Vernunft als Gesamtheit der oberen/höheren Erkenntnisvermögen (Erkenntnisfähigkeiten). Dazu gehören Vernunft in einem engen Sinn, Verstand und Urteilskraft (untere/niedere Erkenntnisvermögen sind Sinnlichkeit/Anschauung).

In einem engen Sinn bestimmt Immanuel Kant Vernunft als das Vermögen (die Fähigkeit), das Schlüsse zieht und dabei Urteile des Verstandes unter Prinzipien (allgemeine Bedingungen) zu bringen versucht. Grundsatz der Vernunft ist, zur bedingten Erkenntnis des Verstandes das Unbedingte einer Idee zu finden und so eine Einheit zu erreichen. Verstandesurteile bringen Erscheinungen unter Verstandesregeln, Vernunft dagegen ist nicht direkt auf Wahrnehmung bezogen, sondern auf Verstandeserkenntnisse über wahrnehmbare Gegenstände. Die Vernunft ist eine Denkfähigkeit, aus Erkenntnissen Schlüsse zu ziehen und verschiedene einzelne Erkenntnisse in einer umfassenden übergeordneten Aussage zusammenzubringen.

Die Vernunft bezieht ihre Erkenntnis auf zwei Arten auf einen Erkenntnisgegenstand:

a) theoretische Vernunft: erkennende Bestimmung des Gegenstandes und seines Begriffs

b) praktische Vernunft: neben erkennender Bestimmung auch Bezogenheit auf die Verwirklichung des Gegenstandes (z. B. eine Grundsatz moralisch guten Verhaltens), also eine Umsetzung in ein Wollen und in Handlungen

Kants Definition von Vernunft ist nicht in vollem Ausmaß eine für den Rationalismus allgemeine. Kant selbst hat keinen Rationalismus in Reinform vertreten, sondern eine Synthese vom Rationalismus und Empirismus versucht. Es gibt beträchtliche Übereinstimmungen mit dem allgemeinen Ansatz des Rationalismus (z. B. ein Wissen a priori, vor aller Erfahrung), aber das genaue Verständnis von Vernunft beruht teilweise auch auf Kants besonderem eigenen Ansatz, seiner Transzendentalphilosophie.

Auch ein sprachlicher Gesichtspunkt ist zu beachten. In der antiken griechischen Philosophie war eine Unterscheidung zwischen einem diskursiven (hin- und herlaufenden, schrittweise analysierenden und in erörternder Begründung vorgehenden) Erkenntnisvermögen (διάνοια [dianoia] ist dafür eine Bezeichung) und einem einsehenden, etwas in einer begrifflichen Einheit geistig erfassenden Erkenntnisvermögen (νοῦς [nous] und νόησις [noesis] sind dafür Bezeichnungen) verbreitet. In der lateinischen Sprache ist dies in einer Unterscheidung zwischen ratio und intellectus aufgenommen worden. In der deutschen Sprache ist zuerst überwiegend ratio mit Vernunft und intellectus mit Verstand wiedergegeben worden. Nachdem einige Philosophien der Aufklärung in ihrem Sprachgebrauch davon schon etwas abgewichen waren und die Vernunft aufgewertet hatten, hat Immanuel Kant eine begriffliche Umkehrung vollzogen, die Vernunft als Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien einem diskursiven Verstand überzuordnen. Diese sprachliche Wende hat die deutsche Philosophie der Folgezeit weitgehend übernommen.

In anderen Sprachen gibt es dazu keine genaue Entsprechung, so stehen das englische reason und das französische raison sowohl für Vernunft als auch für Verstand.

Albrecht  24.03.2015, 06:33

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. 1. Auflage 1781. 2. Auflage 1787. I. Transscendentale Elementarlehre. Zweite Abtheilung. Die transscendentale Dialektik. Einleitung. II. Von der reinen Vernunft als dem Sitze des transscendentalen Scheins. A. Von der Vernunft überhaupt. A298 - 299/B355/AA III, 237:  

„Alle unsere Erkenntnis hebt von den Sinnen an, geht von da zum Verstande, und endigt bei der Vernunft, über welche nichts Höheres in uns angetroffen wird, den Stoff der Anschauung zu bearbeiten und unter die höchste Einheit des Denkens zu bringen.“

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. 1. Auflage 1781. 2. Auflage 1787. I. Transscendentale Elementarlehre. Zweite Abtheilung. Die transscendentale Dialektik. Einleitung. II. Von der reinen Vernunft als dem Sitze des transscendentalen Scheins. A. Von der Vernunft überhaupt. A302/B359/AA III, 239:  

„Der Verstand mag ein Vermögen der Einheit der Erscheinungen vermittelst der Regeln sein, so ist die Vernunft das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Principien. Sie geht also niemals zunächst auf Erfahrung oder auf irgend einen Gegenstand, sondern auf den Verstand um den mannigfaltigen Erkenntnissen desselben Einheit a priori durch Begriffe zu geben, welche Vernunfteinheit heißen mag und von ganz anderer Art ist, als sie von dem Verstande geleistet werden kann.“

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. 1. Auflage 1781. 2. Auflage 1787. II. Transscendentale Methodenlehre. Drittes Hauptstück. Die Architektonik der reinen Vernunft. A 835/B863/AA III, 540:  

„Wir begnügen uns hier mit der Vollendung unseres Geschäftes, nämlich lediglich die Architektonik aller Erkenntniß aus reiner Vernunft zu entwerfen, und fangen nur von dem Punkte an, wo sich die allgemeine Wurzel unserer Erkenntnißkraft T heilt und zwei Stämme auswirft, deren einer Vernunft ist. Ich verstehe hier aber unter Vernunft das ganze obere Erkenntnisvermögen, und setze also das Rationale dem Empirischen entgegen."

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. 1. Auflage 1781. 2. Auflage 1787. Vorrede zur zweiten Auflage. B IX - X/AA III, 8: 

„So fern in diesen nun Vernunft sein soll, so muß darin etwas a priori werden, und ihre Erkenntniß kann auf zweierlei Art auf ihren erkannt Gegenstand bezogen werden, entweder diesen und seinen Begriff (der anderweitig gegeben werden muß) bloß zu bestimmen, oder ihn auch wirklich zu machen. Die erste ist theoretische, die andere praktische Erkenntniß der Vernunft.“

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für mich ist vernunft ein sinnvolles und braves verhalten, mit dem man immer richtig liegt und das zukünftig keine probleme bereitet.