Wie ähnlich sind sich die skandinavischen Sprachen?

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Ich spreche Norwegisch, Schwedisch, Dänisch, einigermaßen Isländisch und kriege auch ein paar wenige Brocken auf Färöisch hin.

Zunächst einmal sollte man zwischen den festlandskandinavischen Sprachen (also Norwegisch, Dänisch und Schwedisch) auf der einen Seite und dann Isländisch und Färöisch auf der anderen Seite unterscheiden.

Während sich die festlandskandinavischen Sprachen durch diverse Einflüsse (Pest und Tod vieler Schriftgelehrten durch diese, Einfluss des Deutschen durch die Hanse, ...) nämlich völlig vereinfacht und verändert haben, sind Isländisch und Färöisch noch nahe an den altnordischen "Originalsprachen". Was heute in Island gesprochen wird, ist - zugegeben, mit einigen Veränderungen - das Norwegisch von vor 1000 Jahren. Island wurde von Norwegen aus besiedelt und die Sprache konnte sich dort weitgehend erhalten.

Also, wenn du einen Isländer Isländisch sprechen hörst: so ähnlich haben die Wikinger damals gesprochen! ;-)

Norwegisch, Schwedisch und Dänisch sind sich sehr ähnlich, aber es gibt doch Unterschiede. Dass Dänisch anders klingt, als Schwedisch und Norwegisch, hört man auch, wenn man keine der Sprachen sprechen kann. Zwischen Norwegisch und Schwedisch hört man den Unterschied aber erst, wenn man eine der beiden Sprachen spricht. Für mich klangen die beiden Sprachen damals auch gleich.

Wenn man eine der drei festlandskandinavischen Sprachen lernt/spricht, versteht man automatisch auch die anderen. Dänisch und Norwegisch (Bokmål) ähneln sich vom Schriftbild sehr, die Aussprache ist aber komplett anders, während sich Schwedisch und Norwegisch von der Aussprache ähnlich anhören, aber ein wenig anders geschrieben werden.

Norwegen hat noch die Besonderheit, dass es aufgrund der Dialektvielfalt zwei offizielle Schriftsprachen gibt, Bokmål ("Büchersprache") und Nynorsk ("Neunorwegisch"). Die Unterschiede sind in etwa, wie zwischen geschriebenem Hochdeutsch und geschriebenem Schweizerdeutsch. 80-85% der Norweger schreiben Bokmål, Nynorsk wird in Westnorwegen verwendet (ungefähr das ganze Gebiet zwischen Kristiansand und Ålesund). Wenn du in Deutschland Norwegisch lernst, lernst du Bokmål.

Im Norwegischen und Dänischen gibt es die Buchstaben æ, å und ø, im Schwedischen wird anstatt æ und ø ä und ö benutzt, das å gibt es auch hier.

Die Grammatik ist in den drei Sprachen weitgehend, bis auf minimale Unterschiede, gleich. Es gibt keine Fälle (nur Nominativ und Genitiv) und bei den Verben gibt es nur eine Form für alle Personen. Konjunktiv gibt es nicht, dieser wird mit Vergangenheitsformen ausgedrückt (Ausnahme: einige wenige Formen im Schwedischen). Es muss jedoch eine weitgehend feste Satzstruktur eingehalten werden. Der bestimmte Artikel wird hinten ans Wort gehängt (z.B. Norwegisch: Haus = hus, das Haus = huset, also "Hausdas"). Im Norwegischen und Schwedischen gibt es als Besonderheit noch eine doppelte Bestimmung, die gibt es im Dänischen nicht. Also zum Beispiel: Das rote Haus, wäre auf Norwegisch "det røde huset" und Schwedisch "det röda huset", also wörtlich übersetzt "das rote Hausdas". Auf Dänisch ist es nur "det røde hus".

Von der Aussprache sind sich S und N wie schon gesagt sehr ähnlich. Das r wird oft gerollt (also Zungenspitzen-r), es gibt jedoch auch Dialekte, wo das r wie bei uns ausgesprochen wird, in Norwegen ist das der Westen und in Schweden der Süden, genauer gesagt Skåne, also z.B. Malmö. Beide Sprachen klingen "melodischer", als das Dänische.

Die Dänische Aussprache ist von den drei Sprachen die schwierigste und völlig anders. Das r ist immer ein Rachen-r, wie bei uns. Das u ist wie unser u (auf S/N eher wie ü). Zusätzlich gibt es das "weiche d" und einen Stoßvokal, was es in den anderen Sprachen und auch im Deutschen nicht gibt. Das d musst du dir vorstellen, wie ein hartes th (wie in Englisch "this"), das aber so stark abgestumpft ist, dass es nur "angedeutet" ist und für ungeübte fast wie ein L klingt. Und beim Stoßvokal sprichst du einen langen Vokal, würgst diesen aber sozusagen sofort wieder ab. Gibt noch ein paar andere Besonderheiten, aber das wäre jetzt zu viel :-)

Besonderheit im Schwedischen ist der sogenannte sj-Laut, der bei sj, sk und ch vor bestimmten Vokalen Auftritt. Dieser Laut klingt, als würde man ein ch wie in "Buch" und ein sch gleichzeitig aussprechen.

Vom Wortschatz sind sich alle Sprachen sehr ähnlich, nur Schwedisch weicht manchmal ab.

Beispiele: beginnen = N begynne DK begynde S börja. Frage = N spørsmål DK spørgsmål S fråga. Geht auch andersrum: rolig = N ruhig DK ruhig S lustig.

Isländisch ist ganz anders. Es gibt zunächst zwei ungewohnte Buchstaben, ð und þ. Das ð wird wie das th in engl. "this" ausgesprochen und das þ wie th in "think". Oft wird das þ gerade als Großbuchstabe (Þ) als P interpretiert, es ist aber kein p. Dann gibt es noch das æ, das dort aber "ai" ausgesprochen wird. Doppel-L wird fast immer "dl" oder "tl" ausgesprochen.

Die altnordische Grammatik hat sich in Island erhalten können und hat es in sich. Hier die Kurzfassung: es gibt drei grammatische Geschlechter und vier Fälle nach denen alles, auch Zahlen von 1-4 und Namen, gebeugt wird. Es gibt bei den Verben Formen für alle Personen, Konjunktiv I und II und das alte Mediopassiv. Als zusätzliche Gemeinheit gibt es den u-Umlaut: folgt bei der Beugung auf ein a im Wort ein u, wird aus dem a ein ö. Anna im Akkusativ wäre also Önnu. Außerdem gibt es im Isländischen keine Fremdwörter, es werden eigene erschaffen: Mikroskop = smásjá ("Kleinguck"), Passkontrolle = vegabréfaeftirlit ("Wegbriefnachguck"), Guide/Reiseführer = leiðsögumaður ("Weggeschichtenmann"), Smartphone = snjallsími ("Schlaudraht" oder "Schlaufaden"), Strom = rafmagn ("Bernsteinkraft"). Viele Wörter erkennt man aber, z.B. land, bréf, egg, skip, að fara, að ganga, að lesa, veður, steinn, bók, Akkusativ von maður = mann, já, nei, ... . Nur die Grammatik legt einem halt viele Steine in den Weg.

Hui, ganz schön langer Text geworden :-D aber wenn man mich nach den Unterschieden zwischen den Sprachen fragt, gebe ich den Leuten gerne mal eine ausfährlichere Antwort als "Joah, die Sprachen sind sich ähnlich" :-) Falls du noch Fragen hast frag ruhig ;-)

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich spreche Norwegisch, Dänisch, Schwedisch, Isländisch
pheephy 
Fragesteller
 05.05.2018, 13:09

Hey, tut mir leid dass ih erst jetzt antworte, aber deine Antwort ist irgendwie in meinem Posteingang untergegangen. Tausend Dank, dass war um einiged hilfreicher, als ich es mir je erhofft hätte. Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, das alles zu erklären!!!

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nordlyset  16.10.2018, 23:25
@pheephy

Hab deine Antwort auch jetzt erst gesehen, sorry meinerseits dafür und Danke für das "Sternchen"!!

Ich bin ein Skandinavienfan und spreche die Sprachen, mir macht es Spaß, darüber zu schreiben :-) und wie gesagt gebe ich den Leuten lieber eine lange, dafür aber ausführliche Antwort, als einen halbherzig hingehusteten halben Satz.

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Ich spreche von den genannten nur Schwedisch, ich kann aber auch Norwegisch und Dänisch lesen (Norwegisch ist beim Hören zumeist verständlich, Dänisch weniger). Beim Norwegischen gibt es 2 Hauptvarianten (Nynorsk weicht deutlich ab, das wird z.B. in Bergen gesprochen, in Oslo spricht man anders).

Isländisch und Färöisch sind vom Hören her unverständlich, ich kann aber einen gewissen Teil (nicht alles) beim Lesen verstehen.

Das verstehe ich z.B. auch auf Färöisch:

"Kaninin liggur ein dagin fløt sum ein pannukøka á vegnum,

og so er spurningurin: skalt tú bara ganga framvið og látast sum onki,

ella kann ein fløt kanin brúkast til okkurt?

Hundurin og rottan vita eina loysn,

so sjálvt flatar kaninir kunnu koma til sín rætt."

Also: beim Lesen versteht man recht viel von den anderen Sprachen, vom Hören her sind sich Schwedisch/Bokmål-Norwegisch einigermaßen ähnlich (aber die Wortstellung ist z.B. anders). Ansonsten aber ist es allein vom Hören her schwierig, die anderen zu verstehen.

pheephy 
Fragesteller
 07.03.2018, 20:02

Danke, das war sehr hilfreich!

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OlliBjoern  07.03.2018, 20:06
@pheephy

Es gibt einige Isländer, die auch Schwedisch können (die haben z.B. Verwandte in Schweden). Umgekehrt ist es seltener (kaum jemand in Schweden spricht Isländisch).

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nordlyset  26.04.2018, 16:34

Nynorsk und Bokmål sind reine Schriftsprachen und werden nicht gesprochen. Man spricht Dialekt und schreibt BM oder NN.

Aber es stimmt, Nynorsk wurde für die Dialekte Westnorwegens geschaffen und Bokmål basiert auf dem Osloer Dialekt.

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Dann könntest Du auch sagen italienisch und spanisch klingen sehr ähnlich. Es sind trotz klingender Übereinstimmungen eigenständige Sprachen.

pheephy 
Fragesteller
 07.03.2018, 19:33

Naja, aber es ist ja zum Beispiel so, dass ich als Deutsche niederländisch lesen und verstehen kann. Darum geht es mir, verstehen sie sich untereinander?

Sprichst du eine der Sprachen?

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extrapilot351  08.03.2018, 06:03
@pheephy

ja, ich spreche norwegisch. Hatte auch Kontakte zu Schweden und Dänen und kam mit norwegisch nicht zurecht.

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Ich bin Norweger: Ich kann Schwedisch leicht verstehen. Ich kann Dänisch lesen, aber es ist schwerer zu verstehen, wenn jemand spricht.

Faeroses und Isländisch ist zu schwierig. Ich verstehe nur ein bisschen davon.