Was sind typische romantische Akkordfolgen?

3 Antworten

Beispiel 8: Richard Wagner, Tristan und Isolde (Schluss)

Ich glaube, dass es das wonach Du fragst, nicht gibt. Die Akkorde und auch die Akkordfolgen zumindest der frühen Romantik waren in der Klassik alle schon vorhanden, so war z.B. Beethoven oft viel "moderner"in der Harmonik als Weber. In der Romantik gibt es viel mehr chromatische Alterationen, einen viel umfangreicheren Einsatz der Medianten, viel "weitschweifenderen" Einsatz entfernterer Klänge wie Mediantparallelen und eben chromatischen Vorhalten- bis dann in der Spätromantik z.B. bei Sibelius die Grenzen er klassischen Harmoniegesetze immer öfter überschritten werden. Eine typische Akkordfolge gibt es eben nicht, sondern freieren individuelleren Umgang mit den Klängen. Auch deshalb liegen zwischen den typischen Klängen der Komponisten, die Du genannt hast, Welten. Die Harmonik Rossinis ist von der Sibelius´ ungefähr so weit entfernt wie Kant von Nietzsche...

Wofür suchst Du denn diese "typischen Akkordfolgen"?

Ich komponiere seit einigen Jahren, vorrangig klassisch, habe mich aber auch an barocken Stiltechniken versucht. Zurzeit arbeite ich mich in die angewandte Stilistik der Romantik ein. Was du sagtest passt zu dem was ich vorfand: Nirgendwo taucht ein typische Akkordfolge der Romantik auf. Meine Stücke klingen alle eher klassisch, richtung Mozart(wenn auch bei weitem nicht so perfekt), aber eben nicht nach Wagner oder Rossini, wo ich gerne hinwollen würde.

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Die Romantik war zunächst einmal vor allem ein ästhetischer Wandel in der Musik, der auf der bestehenden Harmonik der Klassik aufgebaut hat, aber sie durch einen Fokus auf Empfindungsausdruck intensiviert hat. Daher griff die Romantik auf die Harmonik der Klassik zurück, erlaubte aber im Tonsatz allmählich mehr Freiheiten, vor allem hinsichtlich der Dissonanzbehandlung. Weniger kommen Akkordfolgen gewissermaßen "neu" hinzu als vielmehr (nur) die Art des Gebrauchs bestimmter Klänge, bestimmten Skalenmaterials und einzelner Klangverbindungen.

Wendungen und Klänge, die heute mit der Romantik assoziiert werden, sind etwa Nonenakkorde und Tredezimakkorde, wenngleich diese auch schon bei Bach und Mozart im Gebrauch sind. Jedoch ist der Gebrauch der Klänge (z.B.: bei Chopin) stärker verbreitet, auch außerhalb der Regeln der Dissonanzvorbereitung im Sinne des strengen Satzes. Die Spätromantik bringt zunehmend neue harmonische Wendungen, die ursprünglich im phrygischen Modus beheimatet sind und entwickelt eine Tendenz zur Vermeidung der Tonika zugunsten einer Harmonik, die sich freier verhält und harmonisch antizipierbare Fortschreitungen vermeidet. Besonders die neudeutsche Schule führt hier in die harmonische Ambivalenz mit einem intensiveren Gebrauch von übermäßigen und verminderten Dreiklängen sowie mit verminderten und halbverminderten Septakkorden (aber selbst Wagners Tristanharmonik basiert ansonsten hauptsächlich auf Quint- und Mediantverhältnissen). Eine ganz besondere Rolle spielt der sog. "Tristan-Akkord" am Beginn des Vorspiels der gleichnamigen Oper von Richard Wagner, der zum Paradebeispiel für die mehrdeutige, sog. "vagierende" Harmonik wurde.

Ein weiteres charakteristisches Merkmal für spätromantische Harmonik wurden distanzielle Strukturen, die zu "künstlichen" Modusbildungen führten, wie z.B. der Ganztonleiter oder der oktatonischen Skala, die aus einander stetig abwechselnden Ganz- und Halbtonschritten besteht.

Es sind also eher nicht "Akkordfolgen" im Sinne von Harmonie- oder Satzmodellen, wie man sie zur Zeit der Renaissance und des Barock zuhauf kennt (z.B. La Folia, Romanesca etc.), sondern vor allem eine bestimmte Art des musikalischen Klangempfindens, der Klangbehandlung und der Einzelfortschreitung bzw. Akkordwendung...

Wenn es Deine Absicht ist, sozusagen den "romantischen Stil" als Komponist zu lernen, empfehle ich das Studium von Beethovens Klaviersonaten auf formaler Ebene (Formenlehre!) und die klassische Periodenbildung. Ebenso empfehle ich Dir das Studium von Schuberts Liederzyklen, insbesondere der "schönen Müllerin": Vergleiche diese, z.B. die "Trockenen Blumen" (oder auch die Ballade "Der Zwerg") mit Mozarts "Veilchen": Wie geht die Musik auf den Text ein und versucht, anders als Mozart, von vorne herein ein bestimmtes "Stimmungsbild" musikalisch zu generieren, in das sich der Text und das Lied wie in ein gemachtes Bett gleichsam hineinlegt und aus diesem heraus entsteht?

Es gibt schon Akkordfolgen, die häufiger mal vorkommen, aber die stehen, wie bei meinen Vorrednern aufgezeigt, nicht im Vordergrund. Ein Beispiel:

https://www.youtube.com/watch?v=_hifk5F5uJM

und:

https://www.youtube.com/watch?v=jji0k7CO-r4

Der Grund für derartige Harmonik findet sich aber wahrscheinlich eher in den Melodielinien, die sich aus der Harmonik ergeben. Wenn du also solche Musik schreiben willst, spiel am besten ein paar Stücke und versuche diesen Stil improvisatorisch zu imitieren. Orientiere dich später beim Komponieren dann einfach nur an gewisse Leitgedanken wie zB der musikalischen Mehrdeutigkeit, auf die dort recht großen Wert gelegt wurde. Denn genau wie in der Sprache auch gewinnt man dadurch an Bedeutung (siehe Gedichte: Trotz kurzem Text DICHT an Inhalt.). Das betrifft vor allem die schon erwähnt neudeutsche Schule, vagierende Harmonik etc. Alles schon genannt...

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich habe es studiert und eine Ausbildung gemacht