Warum wird die Revolution in Deutschland von 1918/19 oft als "steckengeblieben" beschrieben?

5 Antworten

Man kann die Revolution von 1918/1919 aus dem Grund als "steckengeblieben" bezeichnen, weil sie mit den vorherigen Eliten nicht konsequent aufräumte.

Man verzichtete z.b. darauf, die Vorkommnisse des Weltkriegs systematisch aufzuarbeiten. Man verzichtete darauf gegen die ehemalige Generalität wegen Kriegsverbrechen, die sie begangen hatten (Befehl des Einsatzes von Giftgas, uneingeschränkter U-Boot-Krieg) etc. zur Verantwortung zu ziehen.

Man verzichtete auch darauf dem Volk zu erklären, wie die militärische Lage Deutschlands 1918 tatsächlich war und warum man den Krieg letztlich aufgeben musste und vor allen Dingen auch, von welcher Seite her das Waffenstillstandsgesuch ursprünglich motiviert war (nämlich Hindenburg und vor allen Dingen Ludendorff, denen nach dem Zusammenbruch der Offensive im Wesen und dem Zusammenbruch der Balkanfront, mit Gefolge der Kapitulation Bulgariens und dem Zerfall des Osmanischen Reiches, wie Österreich, klar war, dass der Krieg verloren war), stattdessen erlaubten sie diesen ihre berüchtigte "Dolchstoßlegende" zu verbreiten und gegen die Republik zu hetzen.

Außerdem versäumte man nach dem Krieg die Reichswehr von Demokratiefeindlichen Elementen zu säubern, so dass diese während der Weimarer Republik stehts ein Faktor blieb, der in der Lage war den Staat von innen heraus zu bedrohen.

Insofern waren in den frühen Jahren der Weimarer Republik bereits Entwicklungen angelegt, die später maßgeblich zu ihrem Untergang beitragen und zum Aufstieg der demokratiefeindlichen Kräften (im besonderen auf der rechten Seite, für die linke spielen andere Faktoren eine gewichtigere Rolle) sollten.

Außerdem verhielt man sich seitens der Regierung in Sachen "Spartakusaufstand" verdammt ungeschickt, in dem man vollkommen unnötiger Weise zu überzogenen Gewaltmaßnahmen griff.

Das beruhigte zwar kurzfristig die Lage, sorgte aber langfristig mit dafür, dass die politische Linke der Weimarer Republik in das demokratische Spektrum zunehmend nicht mehr zu integrieren war und sich stattdessen ab Mitte der 1920er Jahre prononciert Stalin an den Hals warf.

Hätte man in einigen entscheidenden Fragen 1918-1920 hier anders gehandelt, hätte man die prekäre Situation der Demokratie ín den späten 1920ern und frühen 30ern möglicherweise verhindern können.

So konnte sich die Republik nicht wirklich stabilisieren, weil man den Strukturen der Extremisten, insbesondere von rechter Seite her die Möglichkeit bot ein paralleles Schattendasein zu führen und sich schließlich in Kriesenzeiten wieder zu erheben.

Hätte man von vorn herein mit den Resten des Kaiserreichs aufgeräumt, die tatsächlichen Verantwortlichen für Kriegbeginn und Kriegsniederlage, sprich die Verantwortung der kaiserlich-deutschen Politik am Ausbruch des Krieges und die verhängnissvollen Entscheidungen der 3. OHL, die den Kriegseintritt der USA provozierten, wie auch deren letztendliche Feststellung der Notwendigkeit den Krieg verloren zu geben, öffentlich bekannt gemacht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen, wären die Strukturen der politischen Rechten ziemlich tot und ihr selbst der ideologische Boden entzogen worden, weil sich dann Gestalten wie Hindenburg und Ludendorff niemals mehr als populäre Galeonsfiguren geeignet hätten.

Wäre man so verfahren, wäre es zu einem Reichspräsidenten von Hindenburg sehr wahrscheinlich nicht gekommen und dieser wiederrum spielte letztlich bei der Machtübernahme Hitlers eine ganz entscheidene Rolle.

Am Ende läuft es auf den gleichen Punkt hinaus, man gestattete der Reaktion zu überleben und hielt es auch so gar nicht für nötig diese zu bekämpfen, womit man zuließ, dass diese ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wieder zu den politisch einflussreichen Kräften werden konnte.

atzef  28.04.2018, 17:07

Das ist teils eine lediglich retrospektive Wertung, die mit der Zeitaktualität nicht zu tun hat. Der Einsatz von Giftgas z.B. wurde zeitgenössisch nicht als Kriegsverbrechen gewertet. Diese Wertung erwuchs erst aus dessen Einsatz in den Folgejahren...

Teils bleibt sie in stalinistischen Verklärungen der damaligen Ereignisse selber stecken. Die KPD ist bis zum Hamburger Aufstand durch die KI nunmal zu einer sektiererischen Strategie auf militante Abschaffung und Überwindung der bürgerlichen Demokratie verpflichtet worden. Insofern entsprach ihr Ausschluss aus dem demokratischen Spektrum zwingender demokratischer Vernunft, etc. pp.

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verreisterNutzer  28.04.2018, 17:20
@atzef

Das stimmt so nicht. Diese Dinge wurden mitunter durchaus als Kriegsverbrechen gesehen, nicht zuletzt gehörte zu den Forderungen der Entent hinsichtlich Friedensvertrag ursprünglich auch die Auslieferung des Kaisers und der führenden Genaralität des Weltkrieges um diesen wegen Kriegsverbrechen den Prozess machen zu können, eine Forderung, die man aus dem Endgültigen Abschluss noch rausverhandeln konnte, mit dem Angebot, dass man die entsprechenden Peersonen vor deutschen Gerichten aburteilen würde, was dann aber nicht passierte.

Die stalinistische Verklärung ist mir durchaus bekannt, nur dieselbe sektiererische Strömung und die entsprechende Nähe großer Teile der Linken kam über die Maßnahmen die gegen sie ergriffen wurden zum Teil erst zustande.

Liebknecht/Luxemburg hatten 1919 > 10.000 Anhänger. Nachdem man aber gewaltsam und unter Missachtung jeder Verhältnismäßigkeit gegen sie vorging (das ging so weit, dass man mitten in der Berliner Innenstadt mit Artillerie um sich schoss, wobei mehr unbeteiligte Zivilisten ums Leben kamen als Aufrührer) , machte man sie zu Märthyrern und brachte Teile der Arbeiterschaft erst dazu sich zu radikalisieren.

Literaturhinweis dazu hatte ich weiter unten schon gegeben, z.b. Mark Jones "Am Anfang war Gewalt"

Das ist nicht linksextremistische Verschwörungstheorie, sondern aktuelle historische Debatte.

Linksextremistische Verschwörungstheorie ist darüber hinausgehend das Postullieren von "Klassenmordphantasien" etc., die hier auch klar abzutrennen ist.

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Nik7778  28.04.2018, 17:14

,,(Befehl des Einsatzes von Giftgas, "

Der Einsatz von Giftgas war kein Verbrechen.

,,uneingeschränkter U-Boot-Krieg"

War auch kein Verbrechen und wurde auch nie so irgendwo verurteilt.

,,öffentlich bekannt gemacht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen, wären die Strukturen der politischen Rechten ziemlich tot und ihr selbst der ideologische Boden entzogen worden, weil sich dann Gestalten wie Hindenburg und Ludendorff niemals mehr als populäre Galeonsfiguren geeignet hätten."

Naja auf der anderen Seite standen die extremen Linken, die sich eben sehr an der Sowjetunion hielten und was das hieß, sah man im russischen Bürgerkrieg oder während den Säuberungen.

Du bist viel zu sehr durch deine politische Meinung gefärbt und willst anscheinend allein ,,den Rechten“ die Schuld für die Miesere geben. Was für dich ,,die Rechten“ sind, müsstest du nochmal genauer erläutern.

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verreisterNutzer  28.04.2018, 17:26
@Nik7778

Inwiefern der Einsatz von Giftgas mit der Haager Landkriegsordnung konform war, bin ich mir gerade nicht sicher, es gibt jedenfalls Argumentationslinien, die das sehr entschieden anzweifeln.

Der uneingeschränkte U-Boot krieg, war vom Standpunkt des Seerechts her gesehen in jedem Fall ein Verbrechen.

Die extremen Linken hatten 1918 in Berlin ein paar 1.000 Männchen und die Sowjetunion kämpfte im russsichen Bürgerkreig ums Überleben. Stand 1918 sah es so aus, als würden die Bolschewisten untergehen. Im Bürgerkrie in Russland terrorisierten beide Seiten reichlich, insofern nimmt sich da weiße vs. rote nicht allzu viel.
Die stalinistischen Säuberungen fanden in den späten 1920er und 1930er jahren statt, von denen konnte die damalige Weimarer Staatsführung überhaupt noch nichts wissen.

Insofern, derjenige, der hier von politischen Ansichten gefärbt ist und weniger historisch akkurat als viel mehr teleologisch motiviert diekutiert bist du.

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atzef  28.04.2018, 19:23
@verreisterNutzer

Der uneingeschränkte U-Boot-Krieg stellte definitiv einen Bruch mit bis dahin gültigen Seekriegsregeln dar. https://www.ndr.de/kultur/geschichte/chronologie/Uneingeschraenkter-U-Boot-Krieg,ubootkrieg104.html

Andererseits ist aber auch auffällig, dass deswegen nach dem Krieg auch die Alliierten keine rechtliche Aufarbeitung dieses Bruchs betrieben. Das deutet darauf hin, dass diese Fehlhandlungen zeitgenössisch noch nicht wirklich als Kriegsverbrechen behandelt und thematisiert wurden...

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Nik7778  28.04.2018, 20:24
@verreisterNutzer

Ach du willst auch wieder nichts verstehen... Ich rede hier im Fall, wenn die Kommunisten in einem spekulativen Bürgerkrieg in Deutschland gewonnen hätten, das diese dann genauso wie die UDSSR gesäubert hätten. Das ist reine Spekulation.

Beim U-Boot-Krieg habe ich mich nicht genug genau ausgedrückt, was ich damit meint das es aus damaliger Sicht nicht wirklich als Kriegsvebrechen behandelt wurde, das was schon atzef sagte.

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Der Begriff ist mir neu, aber logischerweise muss wohl von einem Kommunistischen Blickwinkel die Revolution stehengebliebenen sein. Das soll wohl bedeuten, dass die Revolution für Kommunisten einen negativen Ausgang hatte. Nämlich, dass sich die Sozialdemokraten durchgesetzt haben. Aus deren Sicht ist dann die Oktoberrevolution in Russland nicht steckengeblieben, da sich die Bolschewisten durchgesetzt haben. Wie geschrieben kommt auf den Blickwinkel an. Das sahen die Sozialdemokraten dann wohl anders.

So, ich versuche es jetzt noch mal, nachdem ich die beiden Revolutionen verwechselt habe: (Man muss eben lesen können ;-)
Die Revolution von 1918/1919 kann man insofern als steckengeblieben bezeichnen, als sie zum einen nicht im linken Sinne weiter gegangen ist (Rätemodell, direkte Demokratie), zum anderen den Weg in Richtung Machtergreifung zumindest indirekt ermöglicht hat (Zu geringe Verantwortung der Parteien, starke Stellung des Reichspräsidenten, der zunächst Präsidialkabinette ermöglicht hat und schließlich sogar auf diesem Wege Hitler zum Reichskanzler ernannt hat.)
Diese Sichtweise macht es sich aber zu einfach, weil sie zu wenig die allgemeine Situation Ende 1918, Anfang 1919 berücksichtigt. Auf der einen Seite bestand die Gefahr eines Bürgerkriegs in einer allgemeinen Not Situation (weiterbestehende britische Blockade Von Nahrungsmittellieferungen, Notwendigkeit der Versorgung von Millionen von Soldaten), Auf der anderen Seite hatte Lenin zusammen mit Trotzki in Russland gezeigt, wie eine extreme Fortsetzung einer Revolution aussehen kann, Und die wollte in Deutschland kaum jemand.
Von daher kommt mir hier beim Wort stecken bleiben das Bild in den Sinn, dass ein Auto ohne Allrad antrieb auch in der Wüste nicht weit kommt.

?

Diese Einschätzung und Bezeichnung ist mir so noch nie untergekommen.

"Oft" wird sie daher wohl so nicht bezeichnet.

Und wenn, dann allenfalls aus einer antiquierten, anachronistischen und abwegigen linksextremistischen Perspektive, die den voluntaristischen, blanquistischen Putsch in Gestalt der russischen Oktoberrevolution als "logisch nächsten Schritt" darzustellen versucht.

Epochal muss man aber in Wahrnehmung des kläglichen Scheiterns dieses voluntaristischen Vorgriffs auf die Entwicklung der Menschheit aber bei der Oktober"revolution" eher von einer Konterrevolution sprechen, die weit hinter den Errungenschaften der Französischen Revolution von 1789 und der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1918 zurückblieb.

triggi 
Fragesteller
 28.04.2018, 16:36

"oft" steht auf dem Arbeitsblatt, das ich im Unterricht bekommen habe

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atzef  28.04.2018, 16:37
@triggi

Was steht denn da noch? Wer konkret kritisiert die Novemberrevolution denn so?

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verreisterNutzer  28.04.2018, 17:08
@atzef

Nicht die Novemberrevolution, sondern die Art und Weise. Kritiker, auch aus dem nicht sozialistischen Lager gab und gibt es en masse.
Siehe etwa, zeitgenüssisch einen Sebastian Haffner oder in jüngerer Zeit Mark Jones (Titel: "Am Anfang war Gewalt").

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verreisterNutzer  28.04.2018, 17:04

Das hat mit abwegiger linksexrtemistischer Perspektive für sich genommen erstmal nichts zu tun.
Linksextremistisch wäre zu behaupten, die Revolution sei stecken geblieben, weil man den parlamentarismus nicht beseitigte und die Macht in die Hände einer sozialistischen Diktatur legte.
Man kann sie aber durchaus auch aus demokratischer Perspektive als "stecken geblieben" bezeichnen, weil eine Abrechnung mit den Exponenten des alten Systems und zwar aus Basis belastbarer Kriterien (Internationales Kriegsrecht etc.) unterblieb und man diesen erlaubte sich zu reorganisieren und Politik gegen die Republik zu machen.

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atzef  28.04.2018, 17:12
@verreisterNutzer

Ok. Ich kenne solch eine Kritik bislang halt nicht und hätte daher eher auf ein Narrativ des Linksextremismus getippt. Mir erscheint aber eine solche Kritik schon sehr bemüht aus einer retrospektiven Optik. Hast du mal einen Link auf eine geschlossene Kritik im Sinne des "Steckenbleibens"?

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verreisterNutzer  28.04.2018, 17:34
@atzef

Eine entsprechende Online-Plattform mit ausführlichen Argumentationslinien ist mir in der Hinsicht leider gerade nichth bekannt.

Was ich anzubieten hätte, wäre eine Rezension betreffent Jones benanntem Werk:

https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-27742

Ich denke mal, das H/Soz/Kult als in geisteswissenschaftlicher Hinsicht durchaus genügend Reputation besitzt mal auf deren Zusammenfassungen zu verweisen.

Ich möchte an der stelle auch noch einmal ausdrücklich darauf hinweise, dass ich mich von linksextremistischen Narativen deutlich distanzieren und es hier nicht um retrospektive paradigmen von Schuldzuweisungen geht, sondern ich vertrete hier lediglich, was mir an neuerer Literatur zu diesem Thema untergekommen ist.

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verreisterNutzer  28.04.2018, 17:42
@atzef

Obiges, hinsichtlich der Ereignisse 1918/1919, die Kritiken kann ich so unterstützen, einige Thesen überspitzen, aber das gegenseitige Hochschaukeln ist, meine ich einigermaßen akkurat darsgestellt.

Im besonderen die Zuspitzung, dass die Ausgeübte Gewalt den Weg ins 3. reich mehr oder minder vorzeichnete ist überzogen. Sie entfremdete aber zweifellos die politische Linke auf Dauer, was für die Republik zu einer Belastung wurde.

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Ein Buchtipp hierzu: Die deutsche Revolution 1918/1919 von Sebastian Haffner.