Warum kam es in der Weimarer Republik zu mehreren Reichstagsauflösungen?

4 Antworten

Der Reichstag wurde für 4 Jahre gewählt (Artikel 23 der Verfassung der Weimarer Republik). Tatsächlich wurde der Reichstag mehrmals vorzeitig (vor Ablauf der vollen Legislaturperiode von 4 Jahren) aufgelöst.

Die Entscheidung traf der Reichspräsident, wobei die politische Lage eine Rolle spielte und es Einflüsse auf ihn gab.

Zur Ermittlung der genauen Gründe ist es nötig, die einzelnen Fälle zu untersuchen. Ein wichtiger Umstand war die Schwierigkeit, eine Reichsregierung zu bilden, die im Reichstag eine sie unterstützende Mehrheit hatte.

Die Verfassung der Weimarer Republik (Artikel 25) gab dem Reichspräsidenten die Befugnis, den Reichstag aufzulösen.

Artikel 25:

„Der Reichspräsident kann den Reichstag auflösen, jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlaß.

Die Neuwahl findet spätestens am sechzigsten Tage nach der Auflösung statt.“

Die Entscheidung lag also rechtlich beim Reichspräsidenten.

Weil für alle Anordnungen des Reichspräsidenten für ihre Gültigkeit eine Gegenzeichnung des Reichskanzlers (oder eines zuständigen Ministers) erforderlich war (Artikel 50), konnte der Reichspräsident nicht ganz allein die gültige Anordnung zur Reichstagsauflösung geben, sondern nur mit Zustimmung des Reichskanzlers. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung; Verfassung der Weimarer Republik) bot einem Zusammenwirken von Reichspräsident und Reichkanzler die Möglichkeit, Neuwahlen zum Reichstag herbeizuführen.

Der Reichspräsident ernannte den Reichskanzler. Insbesondere in Zeiten ohne klare politisch handlungsfähige Mehrheit im Reichstag bestand so die Möglichkeit, jemanden zu ernennen, der in großem Ausmaß zu einer Politik entsprechend den Absichten des Reichspräsidenten bereit war. Dies konnte allerdings zu einem Konflikt mit dem Reichstag führen, wenn dort eine Mehrheit gegen diese Politik war. Denn Reichskanzler und die Reichsminister bedurften zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstages und mußten bei einem ausdrücklichen Beschluß einer Reichstagsmehrheit, ihm das Vertrauen zu entziehen (Mißtrauensvotum), zurücktreten (Artikel 54).

Der direkt gewählte Reichspräsident hatte eine große Machtfülle (vor allem durch die Kombination von Artikel 25 [Auflösung des Reichstags], Artikel 48 [Notverordnungen] und Artikel 53 [Ernennung und Entlassung des Reichskanzlers]). Ein Reichskanzler ohne eine Mehrheit im Reichstag, die ihn unterstützte war stark vom Reichspräsidenten abhängig (ein Stichwort dazu ist „Präsidialkabinett“). Wenn es im Parlament (Reichstag) keine handlungsfähige politische Mehrheit gab, konnte der Reichspräsident eine entscheidende Rolle spielen. Das praktisch unbegrenzte Recht, den Reichstag aufzulösen, gab ihm dann ein deutliches Übergewicht.

Dadurch bestand die Gefahr einer Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie.

Der Reichspräsident konnte im Fall eines Notstandes (über dessen tatsächliches Vorliegen es Deutungsspielraum gab) unter anderem Notverordnungen erlassen.

Artikel 48 Absatz 2:  

„Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.“

Der Reichspräsident mußte die Maßnahmen (z. B. Notverordnungen) dem Reichstag mitteilen und auf Verlangen einer Mehrheit des Reichstags waren die Maßnahmen außer Kraft zu setzen (Artikel 48 Absatz 3).

Albrecht  27.06.2015, 07:09

Reichstagsauflösung 1924

Der Reichstagsauflösung wurde am 13. März 1924 angeordnet. Die Wahl zum neuen Reichstag war am 4. Mai 1924.

Eine Minderheitsregierung (Reichskanzler: Wilhelm Marx, Zentrumspartei), getragen von Zentrumspartei, DDP (Deutscher Demokratischer Partei, BVP (Bayerischer Volkspartei) und Deutscher Volkspartei), war von einer Reichstagsmehrheit befristet (8. Dezember 1923 – 15. Februar 1924) ermächtigt worden, Verordnungen ohne Zustimmung des Reichstages zu erlassen (es ging um ein Notprogramm zur Stabilisierung). Dann nahm der Reichstag am 20. Februar 1924 die Gestaltung bei der Gesetzgebung wieder auf. Es kam zu Aufhebungs- und Änderungsanträgen der SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschland) und der DNVP (Deutschnationale Volkspartei). Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) löste auf Bitte der Reichsregierung deshalb noch vor Abstimmung über die Anträge den Reichstag auf (dessen Legislaturperiode 4 Wochen später ohnehin beendet gewesen wäre).

„Nachdem die Reichsregierung festgestellt hat, daß ihr Verlangen, die auf Grund der Ermächtigungsgesetze vom 13. Oktober und 8. Dezember 1923 (RGBl. I 943 und 1179) ergangenen und von ihr als lebenswichtig bezeichneten Verordnungen zur Zeit unverändert fortbestehen zu lassen, nicht die Zustimmung der Mehrheit des Reichstags findet, löse ich auf Grund des Art. 25 der Reichsverfassung den Reichstag auf.

zweite Reichstagsauflösung 1924

Der Reichstagsauflösung wurde am 20. Oktober 1924 angeordnet. Die Wahl zum neuen Reichstag war am 7. Dezember 1924.

Es gab wieder nur ein Minderheitsregierung (Reichskanzler: Wilhelm Marx, Zentrumspartei), weil eine Abneigung gegen eine große Koalition stark war und die DNVP deutlich zu weitgehende Forderungen stellte. Grund der Reichstagsauflösung durch Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) war das Nichtzustandekommen der Bildung einer Regierung, die im Reichstag von einer Mehrheit unterstützt wurde. Eine Hoffnung war, nach Neuwahlen dafür bessere Aussichten zu bekommen.

„Parlamentarische Schwierigkeiten machen die Beibehaltung der gegenwärtigen Reichsregierung und gleichzeitig die Bildung einer neuen Regierung auf der Grundlage der bisher befolgten Innen- und Außenpolitik unmöglich. Auf Grund des Art. 25 der Reichsverfassung löse ich deshalb den Reichstag auf."

Reichstagsauflösung 1928

Der Reichstagsauflösung wurde am 31. Oktober 1928 angeordnet. Die Wahl zum neuen Reichstag war am 20. Mai 1928.

Innerhalb der Reichsregierung (Reichskanzler: Wilhelm Marx, Zentrumspartei), getragen von Zentrumspartei, BVP, DDP, DVP und DNVP – eine sogenannte «Bürgerblock»-Regierung – nahmen die Gegensätze zu. Das Ende kam mit dem Scheitern des Entwurfs eines Reichsschulgesetzes, in dem es um die Einrichtung von Konfessionsschulen ging. Eine Mehrheit für gemeinsame umfassende Gesetzgebungsvorhaben war nicht mehr vorhanden. Reichspräsident war Paul von Hindenburg. Neuwahlen (die sonst im Herbst 1928 stattgefunden hätten) konnten eventuell klarere Mehrheitsverhältnisse bringen.

„Nachdem der Reichstag mit den gestern verabschiedeten Gesetzen das sogenannte Notprogramm erledigt hat, und da nicht zu erwarten ist, daß noch weitere größere gesetzgeberische Arbeiten in dieser Wahlperiode zum Abschluß gebracht werden können, löse ich auf Grund des Art. 25 der Reichsverfassung den Reichstag auf.“

Reichstagsauflösung 1930

Der Reichstagsauflösung wurde am 18. Juli 1930 angeordnet. Die Wahl zum neuen Reichstag war am 14. September 1930.

Eine Minderheitsregierung (Reichskanzler: Heinrich Brüning, Zentrumspartei), stark abhängig vom Reichspräsidenten, hatte keine Mehrheit im Reichstag für eine Vorlage zur Deckung der Ausgaben des Reichshaushaltes. Am 16. Juli 1930 wurde sie mit 256 : 193 Stimmen abgelehnt. Notverordnungen (gestützt auf Artikel 48 Absatz 2), mit denen die abgelehnte Vorlage verfügt wurde, setzte der Reichstag am 18. Juli mit 236 : 221 Stimmen außer Kraft. Reichspräsident Paul von Hindenburg gab dies als Grund für die Reichstagsauflösung an.

„Nachdem der Reichstag heute beschlossen hat, zu verlangen, daß meine auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung erlassenen Verordnungen vom 16. Juli außer Kraft gesetzt werden, löse ich auf Grund des Art. 25 der Reichsverfassung den Reichstag auf.“

2
Albrecht  27.06.2015, 07:14

erste Reichstagsauflösung 1932

Der Reichstagsauflösung wurde am 4. Juni 1932 angeordnet. Die Wahl zum neuen Reichstag war am 31. Juli 1932.

Der Reichskanzler Franz von Papen und seine Reichsregierung hatten 1932 eine sehr große Mehrheit im Reichstag gegen sich. Reichspräsident Paul von Hindenburg begründete die Reichstagsauflösung offiziell damit, die Zusammensetzung des Reichstags entspreche nicht dem politischen Willen des deutschen Volkes.

„Auf Grund des Art. 25 der Reichsverfassung löse ich mit sofortiger Wirkung den Reichstag auf, da er nach dem Ergebnis der in den letzten Monaten stattgehabten Wahlen zu den Landtagen der deutschen Länder dem politischen Willen des deutschen Volkes nicht mehr entspricht.“

Inhaltlich ist dies fragwürdig, weil die Wahl für die volle Legislaturperiode von 4 Jahren galt.

Absichten bei der Reichstagsauflösung waren:

1) Nutzung einer Zeit, in der weder ein Mißtrauensvotum noch ein Außerkraftsetzen von Notverordnungen durch den Reichstag möglich war

2) Bemühen um die Duldung der Regierung durch die NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei), die in Verhandlungen Neuwahlen (in denen sie mit Zugewinn rechnen konnte) als eine Bedingung gefordert hatte

zweite Reichstagsauflösung 1932

Der Reichstagsauflösung wurde am 12. September 1932 angeordnet. Die Wahl zum neuen Reichstag war am 6. November 1932.

Es gab weiterhin eine Minderheitsregierung mit Reichskanzler Franz von Papen, abhängig vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg.

Gespräche mit der NSDAP über eine Unterstützung der Regierung waren gescheitert. Die Begründung der Auflösung war, es bestehe die Gefahr, daß der Reichstag die Aufhebung der Notverordnung des Reichspräsidenten vom 4. September dieses Jahres verlangt.

Inhaltlich ist dies fragwürdig, weil dem Reichstag die Ausübung eines Rechts, das ihm nach der Verfassung zustand, vorgeworfen wurde. 

Noch nach Hinlegen der Verfügung zur Auflösung ist ein Mißtrauensvotum gegen Reichskanzler Franz von Papen durchgeführt worden.

„Auf Grund des Art. 25 der Reichsverfassung löse ich den Reichstag auf, weil die Gefahr besteht, daß der Reichstag die Aufhebung meiner Notverordnung vom 4. September d. J. verlangt.“

Reichstagsauflösung 1933

Der Reichstagsauflösung wurde am 1. Februar 1933 angeordnet. Die Wahl zum neuen Reichstag war 5. März 1933 (nur noch eingeschränkt eine freie demokratische Wahl).

In einem Bündnis von konservativ-autoritären Kräfte mit den Nationalsozialisten war eine Minderheitsregierung mit Adolf Hitler (NSDAP) als Reichskanzler gebildet worden.

Reichspräsident Paul von Hindenburg verwies auf eine fehlende Mehrheit im Reichstag (mehr zum Schein geführte Verhandlungen mit der Zentrumspartei hatten nicht zu einer Erweiterung der Regierungsbasis geführt).

„Nachdem sich die Bildung einer arbeitsfähigen Mehrheit als nicht möglich herausgestellt hat, löse ich auf Grund des Art. 25 der Reichsverfassung den Reichstag auf, damit das deutsche Volk durch Wahl eines neuen Reichstags zu der neugebildeten Regierung des nationalen Zusammenschlusses Stellung nimmt.“

Hitler hatte bei der Regierungsbildung Neuwahlen verlangt. Im Besitz des staatlichen Machtapparates konnte er eine Mehrheit erwarten. Dies bot die Chance zu einem weiteren Machtausbau. Der Reichstag war erst einmal aufgelöst und mit einer Mehrheit im neuen Reichstag war er nicht mehr auf Notverordnungen des Reichspräsidenten angewiesen. Die Konservativen wehrten die Forderung nicht geschlossen ab, gingen eher widerstrebend darauf ein. Hitler hatte versichert, die Reichsregierung beizubehalten. Die nächsten Wahlen würden die letzten parlamentarischen Wahlen für eine lange Zeit sein. Franz von Papen und anderen rieten Hindenburg zu einer Zustimmung. Anziehend war für diesen die Vorstellung, sich aus dem politischen Tagesgeschäft stärker zurückziehen und damit aus einem Bereich entfernen zu können, wo seine Entscheidungen als verfassungsrechtlich bedenklich eingeschätzt werden konnten und er politisch stärker angreifbar war. Hindenburg wollte seinen charismatischen Nimbus von so etwas möglichst ungetrübt glänzen sehen. Die politische Entwicklung schien im Großen in eine gewünschte Richtung zu gehen, zu einer Einheit der Nation gemäß seinen Vorstellungen, mit einer „Regierung der nationalen Konzentration“. Bei den Konservativen hat es Illusionen über die Möglichkeit einer Kontrolle und Beaufsichtigung gegeben.

3

Es war eine der Krankheiten der Weimarer Republik  - Folge der Parteienzersplitterung und mangelnder Konsensfähigkeit.

Ich habe aber auch mal gelesen, dass es von Hindenburg und seiner Kamarilla zuletzt mutwillig praktiziert wurde - um die Demokratie zu schwächen, ja selbst ad absurdum zu führen Leider mit Erfolg und verheerenden Folgen.

Hier wird das auch diskutiert: http://geschichte-forum.forums.ag/t493-krankheiten-der-weimarer-republik-die-reichstagsauflosungen#4407

Hi. 

Google mal "Artikel 48" der Weimarer Verfassung. 

Gruß, earnest

PeVau  26.06.2015, 21:51
DH!
1
earnest  27.06.2015, 07:11

... und Artikel 25.

1

schau mal welche rolle die zentrums partei (= heute liberale) für eine rolle hatte.

Fontanefan  27.06.2015, 05:12

Die Zentrumspartei war die Partei der katholischen Wähler, links von der heutigen CDU. - Gemeinsam mit der FDP war ihr, dass sie in den meisten Regierungskoalitionen vertreten war, weil sowohl bürgerliche Parteien wie SPD gut mit ihr zusammenarbeiten konnten.

3
robi187  27.06.2015, 06:41
@Fontanefan

und das volk es nicht mehr ertagen konnte diese unterwürfigkeit zu gewisse kreise. leider wurde dies nie anders?

0
earnest  27.06.2015, 07:12
@robi187

Das hat mit der Fragestellung nur sehr wenig zu tun ...

0
robi187  27.06.2015, 07:24
@earnest

finde ich schon das dies mit der fage zu tun hat. denn wir wollen nieee mehr sowas erleben?

0