Sagt die Ringparabel (Nathan der Weise) aus, dass die drei Weltreligionen unwahr sind?

6 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Die Ringparabel ist ein wichtiger Teil des von Gotthold Ephraim Lessings verfasstem Stück „ Nathan der Weise“.In ihr lässt der Sultan Saladin den Juden  Nathan zu sich holen und fragt diesen, welche der drei monotheistischen Religionen er für die wahre halte. Nathan bemerkt sofort, dass er nun in einer Zwickmühle steckt.Wählt er seine Religion, das Judentum aus, stellt er sich damit offenkundig gegen den muslimischen Herrscher. Versucht er dies mit der Erwählung des Islam zu verhindern, verleugnet er seine eigene Abstammung.
Nathan entschließt sich zu einer List, um die drohende Gefahr abzuwenden und erzählt Saladin ein Gleichnis.In diesem geht es um einen Ring, der angeblich die magische Kraft besitzt, seinen Träger „ vor Gott und Menschen angenehm zu machen“ (Vers 1916 f.). Dieses Schmuckstück  wurde über viele Generationen hinweg vom Vater an den Sohn vererbt, welchen er am meisten liebte.Doch einer der Väter hat sich nun in einem Dilemma befunden: Er hat alle drei Söhne gleich geliebt, deshalb ließ er zwei Duplikate anfertigen und überreichte jedem Sohn einen Ring, mit der Versicherung, dieser sei der Echte.
Die drei Söhne gehen nach dem Tod ihres Vaters vor Gericht, um endlich Gewissheit zu erhalten. Jedoch sieht sich der anwesende Richter außerstande, den wahren Ring zu ermitteln. Schließlich meint er, dieser sei womöglich verloren gegangen, da sich bei keinem der Drei dessen Kräfte zeigen. Am Ende rät er ihnen, sich einfach so zu verhalten, als ob jeder den Wahren hätte und so dessen Wirkung herbeizuführen.

Die in der Parabel vorkommenden Personen kann man als Symbole sehen: Der Vater für den gütigen Gott, die drei Ringe für die drei monotheistischen Religionen, die drei Söhne für deren Gläubigen und der Richter für Nathan selbst. Eine Deutungsmöglichkeit wäre demnach, dass Gott allumfassende Liebe zu Menschen aller Konfessionen  gleichermaßen pflegt, da alle existierenden  Religionen  und alle Menschen sein Werk  seien. Allerdings ist es auch sehr wahrscheinlich, dass der von Nathan zuallererst genannte Mann, der erste Ringbesitzer („Vor grauen Jahren lebt´ ein Mann im Osten, /Der einen Ring von unschätzbarem Wert´/Aus lieber Hand besaß.) ( Vers 1911 ff.) Gott darstellt. Der Grund hierfür ist, dass Gott selbst  den Ring andernfalls von seinem Vater erhalten erhalten hätte müssen, was in der Vorstellung dieser Religionen unmöglich erscheint.Am Ende der Parabel spricht Nathan von einem anderen Richter, vor den der erste die Kinder und Kindeskinder der drei Brüder laden wird: “So lad ich über tausend tausend Jahre / sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird / ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen / als ich; und sprechen. (…)”  ( Vers 2050 f.)Diese tausend mal tausend, also eine Million Jahre, verweisen auf einen endzeitlichen Richter. Am Tag des Jüngsten Gerichts selbst wird Gott ein Urteil über sie fällen. So steht Gott als Vater und als Richter am Anfang und am Ende der Parabel, nach jüdisch-christlicher Auffassung. Die Frage, woher er selbst den “echten” Ring hat, ist dann ebenfalls überflüssig.. Gott überwindet die Zeit selbst, er hat ihn sozusagen schon vor dem Tage der Schöpfung.
Ohne die Richterszene würde der Ringparabel die Pointe und auch die Moral der Geschichte fehlen. Sie ist ein Kernstück, oder besser gesagt das Kernstück des gesamten Werkes. Wäre sie nicht vorhanden, würde der Leser annehmen, es gäbe nicht einmal einen Konflikt zwischen den drei Brüdern, ein völlig anderer Sinn entstünde. Der zuvor genannte Konflikt zieht sich wie ein roter Faden durch das Drama, beispielsweise im Falle Dajas, welche ihrem Arbeitgeber Nathan vorwirft, die ursprünlich christliche Recha wie ein jüdisches Kind erzogen zu haben. Erst gegen Ende gelingt es, diese Grenzen zu überwinden.

Man kann auch eine andere Lehre daraus ziehen: Die Menschen sollen endlich dieses Konkurrenzdenken aufgeben, dass nun auch Einzug in die Welt des Spirituellen gehalten hat. Der Glaube, es gäbe nur eine, „ vollkommene“ Religion, führt zu Fanatismus, Fundamentalismus und Ausgrenzung. Außerdem sollten Menschen nicht ihre Eltern für eventuellen vererbten „ Irrglauben“ verantwortlich machen. Der  Glaube ist eine höchst subjektive Angelegenheit. Da das Maß der Echtheit des ersten Ringes darin zu sehen ist, dass er “beliebt macht vor Gott und Menschen”, wäre jeder Ring echt, der dies erfüllt; jeder unecht, der dies nicht erfüllt. Keiner der Brüder aber zeigt zu diesem Zeitpunkt auch nur den Ansatz eines Verhaltens oder einer Einstellung, die dieser Bezeichnung gerecht wird. Ein Maßstab für die „ Qualität“ einer Religion seien  danach  nicht die exakte Auslegung der Glaubenssätze, sondern vielmehr die von ihren Anhängern gelebte Liebe und Güte.
Die Frage nach der Echtheit eines Ringes ist also im Prinzip unbedeutend, da ein solcher überhaupt nicht existiert.

http://hausaufgabenscout.de/interpretation-der-ringparabel-nathan-der-weise/

arevo  30.05.2015, 11:16

Ausgezeichnete Antwort !!!

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ColonZero 
Fragesteller
 30.05.2015, 13:12

Wow, das ist wirklich mal eine ausführliche Antwort, auch wenn sie von einer Seite kopiert wurde, deren Name vielleicht auf etwas anspielen soll (oder interpretiere ich da jetzt zu viel hinein?) ^^ Jedenfalls ist das hier keine "Hausaufgabenfrage", sondern eine rein aus Interesse heraus gestellte Frage. Daher finde ich die Antwort zwar gut, aber deine persönliche Interpretation hätte mich mehr interessiert. Vielleicht denkst du aber genauso, wie es in dem Text steht. Wie auch immer, danke für die Antwort :)

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So habe ich das nicht verstanden. Es bedeutet eher, alle Wege sind richtig und man sollte deshalb keinen Religion als den einzigen Weg ansehen.

ColonZero 
Fragesteller
 29.05.2015, 21:00

Interessant, könntest mir das genauer erklären, wie du auf diesen Gedanken gekommen bist? :)

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Dummie42  29.05.2015, 21:14
@ColonZero

Schau dir die Geschichte der drei monotheistischen Religionen an. Es begann mit dem Judentum und endete mit drei Religionen, die alle dieselbe Wurzel haben, sich auf den selben Gott berufen und anfingen bis aufs Blut darum zu streiten, welche nun die einzig wahre sei.

Lessing - oder Nathan - möchte nun Frieden ermöglichen, indem er sie als gleichwertig und auch alle drei von Gott gewollt beschreibt. Keiner der Söhne (3 Söhne = Judentum, Christentum und Islam) soll nun versuchen, die anderen zu besiegen oder zu überzeugen, sondern alle sollen ihren Glauben nach bestem Wissen und Gewissen leben und Toleranz für die anderen beiden Bruderreligionen aufbringen. Das ist einer der wichtigsten Gedanken der Aufklärung. Wer denn recht hat - wenn denn überhaupt einer recht hat - wird sich das am Ende aller Tage zeigen, wenn es denn eine Gottesgericht geben sollte. Bei dem könnte aber auch herauskommen, dass einfach jeder recht hatte, seine Religion zu leben, weil es einfach im Prinzip alles dasselbe, nur in unterschiedlichem Gewand ist. Und wenn es niemals ein Endgericht geben sollte - das ist ja auch ein Gedanke der Aufklärung - dann hat man immer noch recht gehandelt, weil man menschlich gehandelt hat.

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Dummie42  29.05.2015, 21:34
@Dummie42

Falls ich mich unklar ausgedrückt habe: Toleranz, nicht nur in Religionsfragen ist ein wichtiger Gedanke der Aufklärung (und Lessing war ein wichtiger Geist dieser Zeit), genauso, wie die Überlegung, dass es vielleicht gar keinen Gott - oder Götter - gibt und deshalb möglicherweise auch alle Religionen falsch liegen.

Man könnte es so zusammen fassen: entweder haben alle Religionen recht, oder keine einzige, aber man darf sich nicht bekämpfen, weil man glaubt, man sei mit seiner Religion allein im Besitz der einzigen Wahrheit. Das gilt für alle Religionen weltweit heute und zu allen Zeiten, denn viele Religionen sind bereits wieder verschwunden, bei der Parabel gar nicht im Blickfeld oder werden noch kommen. Und wenn jemand gar nicht glauben möchte (kann) ist das auch ok, solange er menschlich, also im Sinne des Humanismus, handelt und das wäre in Kurzform der bekannte Sinnspruch frei nach Kants Kategorische Imperativ: Was du nicht willst, das man dir tu, das für auch keinem anderen zu.

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Dummie42  29.05.2015, 21:39
@Dummie42

Könnte es sein, dass ich im Eifer, mit meiner humanistischen Bildung zu protzen, gerade deine Hausaufgaben gemacht habe?

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ColonZero 
Fragesteller
 30.05.2015, 13:05
@Dummie42

Nein, wir hatten das Thema zwar erst vor Kurzem im Unterricht, aber diese Frage habe ich aus reiner Neugier gestellt. Denn ich habe doch bemerkt, wie unterschiedlich die Auffassungen über die Ringparabel sind. Daher wollte ich gerne wissen, wie noch Andere darüber denken und ob die Ringparabel denn nun auch aussagt, dass die drei Weltreligionen unwahr sind. Vielleicht hätte ich das nicht mal fragen brauchen, aber dafür habe ich sehr interessante Antworten bekommen, die Interpretationen zeigen, auf die ich wohl gar nicht erst gekommen wäre. 

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Nein, bei der Ringparabel erweist sich als der wahre Ring jener, dessen Träger damit Erfolg hat, der sich des Ringes würdig erweist.

Kommt darauf an, wie man sie interpretiert. Man könnte auch sagen, dass alle wahr sind oder nur eine, bloß weiß man nicht welche. Wie man es eben sehen will.

ColonZero 
Fragesteller
 29.05.2015, 20:58

Wieso könnten denn alle wahr sein? Es gibt höchstens einen echten Ring, also können ja nicht alle drei Ringe echt sein und somit nicht alle drei Weltreligionen.

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Dummie42  29.05.2015, 21:59
@ColonZero

Es gibt eben keinen echten Ring, es gibt einen älteren Ring, aber die neueren sind ihm gleichwertig. Sie sind vom Wert her nicht unterscheidbar.

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Nutellacookie13  30.05.2015, 09:07

Dadurch dass man eben nicht weiß welche die richtige ist, kann jede wahr sein, es kommt darauf an, was man daraus macht. Man kann alles auf so verschiedene Weise interpretieren, dass es im Grunde wieder egal ist.

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Die Parabel sagt aus, dass Frage und Antwort unwichtig sind, ob eine der monotheistischen Religionen wahr ist.