Psyche des menschen im Mittelalter, Antike?

6 Antworten

Ich hatte gerade einen interessanten Artikel gelesen. Da ging es um die evolutionäre Anpassung an die Pest, und dass die Menschheit das sehr schnell machen musste, also in wenigen Jahrzehnten - Jahrhunderten. Normal dauern Anpassungsleistungen länger. Die Resistenz gegen Pest ist aber ausgerechnet auf den Genen verortet, die auch verantwortlich sind für

  • Autoimmunerkrankungen
  • Allergien

Das heißt also, dass die Menschen vor dem 15. und 16. Jahrhundert weit weniger anfälliger waren, und sich später die genetische Ausstattung immer weiter verschlechtert hat. Mittlerweile gibt es die These, dass psychische Erkrankungen viel mit Autoimmunerkrankungen beispielsweise des "Darmhirns" zu tun haben, oft gekoppelt mit einem Reizdarm etc zum Beispiel Depression.

Ist nur eine These, fände ich aber interessant.

https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/die-pest-hat-unser-erbgut-gepraegt/

Woher ich das weiß:Hobby
KingKawu 
Fragesteller
 27.11.2022, 00:18

Habs durchgelesen. Sehr interessant!

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Das dunkle, brutale und rechtlose Mittelalter ....

Bild zum Beitrag

Erfolgreiche Erboerung von Jerusalem

... hat es so nie gegeben!

Guten Morgen, King!

Schön, dass du dich für Geschichte interessierst und für die Menschen der Antike und des Mittelalters insbesondere. Weil deine Frage ehrlich gesagt sehr umfangreich ist, werde ich mich mit der Antwort auf das Mittelalber beschränken. Allerdings hast du viele falsche und leider verbreitete Vorstellungen vom Mittelalter. Daher werde ich auch darauf eingehen.

Krieg und Gewalt

Bin auf den Gedanken gekommen weil die Zeiten damals ja schon recht "brutal" und blutig aus heutiger Zeit waren.

Dies ist eben eine falsche Vorstellung, die "Zeiten damals" waren nicht besonders brutal und blutig, schon gar nicht aus heutiger Sicht!

Meine Großmutter hatte zwei Weltkriege miterlebt, Flucht, den Feuersturm in den Städten, Konzentrationslager. Allein von 1914 an gab es hunderte Kämpfe, brutale Bürgerkriege, Völkermorde, Massaker ungezählt, grauenhaftem Grabenkrieg mit Millionen Toten, den Kessel von Stalingrad, die Belagerung von Leningrad, Hiroshima, die Vernichtung deutscher Städte mit einer Million toter Zivilisten, den Holocaust, brutale Diktaturen auf allen Kontinenten, die Selbstvernichtung Kambotschas, Stammeskämpfe, Vietnam, ethnische Säuberungen, Koreakrieg, der vollständigen Vernichtung ganzer Städte (und deren Einwohner), die Zerstörung großer Landschaften, all dies ist seit ihrer Geburt passiert. Und im Mittelalter soll es so brutal gewesen sein?

Im mittelalterlichen Kriegen gab es das alles nicht, keinen Willen zur Vernichtung eines Volkes, keine Millionen Tote, kein Holocaust, keine Bombadierungen. Krieg ist immer schlimm gewesen, aber nichts im Vergleich zu heute!

Die Kriege waren auch nicht total, der totale Krieg ist eine sehr neue Erfindung. Sie waren auch nicht überall. Wenn Neuss belagert wurde war dort Krieg. In Frankfurt war alles normal. Der Hunderjährige Krieg dauerte tatsächlich hundert Jahre. Doch war die meiste Zeit alles ruhig - es ist eher ein politischer Konflikt mit einer Reihe mehrerer Feldzüge, Eroberungen etc.

Wir sollten uns von der Vorstellung trennen, das Mittelalter wäre so besonders brutal gewesen oder blutig - das war es eben nicht.

Folgerung:

Daher werden die psychischen Erkrankungen aufgrund traumatischer Erlebnisse durch Kriegshandlungen etc. erheblich weniger gewesen sein als heute - auch wenn man die geringere Bevölkerungszahl einrechnet.

Aus damaliger Sicht war das ja alles normal.

Ganz im Gegenteil: einem antiken oder mittelalterlichen Menschen würde kotzübel werden, wenn er nur eine Dokumentation über einen heutigen Krieg sehen müsste. Das sind Grauen, die sich diese Menschen nicht in ihren schlimmsten Träumen ausmalen konnten.

Und dadurch das dies Menschen früher schon von klein auf mit Gewalt zu tun hatten

Hatten sie ja gerade nicht. Gerade das Mittelalter war nach dem Ende der Völkerwanderungen und im Verlauf der Jahrhunderte erheblich friedlicher als spätere Epochen! Die Heere waren klein. Ein großer Krieg im Frühmittelalter wurde selten mit 1000 Männern geführt, im Hochmittelalter konnten es bei sehr großen Schlachten auch mal 30.000 Mann sein. Allerdings dies sehr selten! Diese Zahlen zeigen ja, wie begrenzt und klein die Konflikte aus heutiger Sicht eigentlich waren.

Allein die Bombadierung Hamburgs hat in einer einzigen Nacht 30.000 Tote gekostet. Eine einzige Nacht in 6 Jahren Krieg!

Außerdem muss man auch sagen, dass die Ausbildung von Soldaten zu diesen Zeiten oft viel früher begann und generell eine andere Mentalität herrschte.

Das ist vollkommen falsch! Früh mit einer millitärischen Ausbildung wurde nur im Stand der Minestralen, später dem Niederen Adel, den Rittern begonnen. Das ist aber eine sehr kurze Zeitspanne und vor allem ging es bei den kindlichen Pagen und jugendlichen Knappen nicht nur um Kampf. Es wurde alles gelernt, was ein Ritter wissen musste: eine vollumfängliche, breit gefächerte Ausbildung. Dazu gehörten neben Reiten, Schwertkampf, Spieß und Lanze, Ringen auch Gebräuche und Sitten, Bedienen beim Tische, höfisches Benehmen, Kenntnisse über Familien, Wappen, etc., Verwaltung von Länderein, u.v.m.

Im Mittelalter gab es eigentlich überhaupt keine Soldaten, später oft Söldner. Ansonsten wurden die Heere ausgehoben. Im Frühmittelalter stellten Freie die Krieger, die ansonsten Bauern waren. Sie hatten ihre Waffen zu hause und folgten dem jeweiligen König oder Häuptling, Anführer oder Werber. Zur Ernte waren sie aber gern wieder daheim.

Im Hochmittelalter gab es neben den ständig trainierten Rittern ebenfalls nur ausgehobene Aufgebote und gelegentlich Söldner.

Da hatte niemand früh mit einer millitärischen Ausbildung begonnen!

Außerdem muss man auch sagen, das die Ausbildung von Soldaten zu diesen Zeiten oft viel früher begann und generell eine andere Mentalität herrschte.

Falsche Grundannahme: Je früher ein Mensch mit Gewalt in seiner Kindheit konfrontriert wird, deste schwerer kann der Mensch damit später umgehen, desto höher die Wahrscheinlichkeit psychischer Erkrankungen.

Jetzt zu den psychischen Krankheiten

Die Menschen in der Antike und im Mittelalter waren nicht dumm. Sie wussten sicher um die Zusammenhänge zwischen auffälligen Angststörungen und vorherigen Traumata in Kriegen. Sie wussten ebenso, dass Menschen an der Seele erkranken können, dass es ihnen schlecht geht. Sie kannten selbsteverständlich Menschen mit Verhaltensstörungen, auch wenn ihnen die tieferliegenden Ursachen sicher nicht bekannt gewesen sein mögen. Kurz: Unbekannt war ihnen das Phänomen Psychische Erkrankungen nicht.

SIe wussten auch, dass zuviel Gewalt in der Erziehung von Kindern, diese psychisch krank machen - zu problematischen, kranken oder auffälligen Kindern werden ließ. Darum gibt es bereits in mittelalterlichen Hausbüchern Hinweise, dass man Kinder eber nur dann schlagen soll, wenn es wirklich nötig ist und niemals zu hart oder ungerecht.

Gewalt gab es also in der Erziehung mehr als heute und dies wird sich ausgewirkt haben. Bitte bedenke aber, dass das Prinzip der gewaltfreien Erziehung nur in westlichen Kulturen verbreitet ist. In anderen Regionen gehört das Verprügeln der Kindern heute noch selbstverständlich dazu!

Je mehr Gewalt in der Erziehung = Desto mehr psychische Erkrankungen!

Hier hat sich die Welt (in Europa und Nordamerika) wirklich verbessert und Gewalt in der Erziehung ist allgemein geächtet, meist sogar verboten. Das wirkt sich garantiert positiv auf die psychische Gesundheit der Menschen auf und hier ist auch ein großer Unterschied zur Vergangenheit (vor 1960).

 - (Religion, Krieg, Mittelalter)
KingKawu 
Fragesteller
 26.11.2022, 10:54

Wow, danke für die ausführliche Antwort. Finde das echt spannend.

Schon irgendwie interessant das die meißten Menschen davon ausgehen das wir heutzutage so viel gesitteter sind als unsere Vorfahren. Wirkt fast so als ob je weiter unser technologischer Fortschritt ansteigt, wir psychisch immer kränker werden. .

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Möglich, dass sie auch an sowas litten. Jedoch wurden Menschen, die so eine Erkrankung hatten, nicht hoch geschätzt. Zum Durchsetzen muß man stark sein, auch stark im Verdrängen. Eine, wie es früher hieß "Melancholie" konnten sich nur Reiche leisten, die anderen hatten hart zu arbeiten für ihr täglich Brot. Bekanntlich sind körperlich arbeitende Menschen gesünder an der Psyche.

KingKawu 
Fragesteller
 25.11.2022, 22:09

Danke für die Antwort ^^

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Psychische Krankheiten treten deswegen auch öfter auf, weil wir ein Bewusstsein für die Psyche entwickelt haben. Es gibt heute noch einige Länder, denen ein solches Bewusstsein fehlt. In solchen Ländern wird Psychologen nicht vertraut.
Bei den Christen würde man wahrscheinlich als Besessener gegolten haben. Frühere Exorzisme, die noch dokumentiert sind, zeigen ja de problematischen Umgang der Kirche mit psychisch kranken Menschen.

Auch die ersten, damals noch "Irrenhäuser", genannten Kliniken waren voller Folter und Qualen. Diese schrecklichen Verbrechen werden bis heute noch aufgeklärt.

Zuletzt bin ich davon überzeugt, dass die Menschen nicht weniger anfällig für psychische Krankheiten waren. Man konnte sich halt nur keine Hilfe holen, und wenn, dann war es nicht wirklich eine Hilfe.

Psychoanalysen von SS-Männern in KZs haben gezeigt, dass die Gewalt für sie zum Alltag wurde. Während der Arbeit half man dabei, Kinder zu vergasen, und abends ging man zu seinen eigenen Kindern. Auf Grund solcher aktuellerer Phänomene bin ich auch davon überzeugt, dass die Menschen damals "abgehärtet" waren, da sie alltäglich mehr Gewalt erlebten, vor allem im Kriegsdienst (und Krieg gab es damals häufig).

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Hilfskraft (Geschichte, Mittelalter)

Danke für die Antwort. Ja, da hast du Recht. Oder manche schrieben auch das sie die Geister des Krieges verfolgten. Da wurde balt anders damit umgegangen.

Aber glaubst du, dass es prozentual mehr psychisch Kranke gab ?

Ich bin der Meinung eher weniger.