Privater Notfallrucksack/Rettungsrucksack?

4 Antworten

dass viele NFS/RS oder ähnliche abgeneigt von privaten Notfallrucksäcken sind aber warum?

Lustiges Beispiel aus dem Ehrenamt: Ein Kollege eines anderen Ortsvereines meinte letztens vor der Prüfung zum Sanitäter (ca. 48h-Lehrgang im DRK), er wolle sich für sein Auto ebenfalls einen eigenen Notfallrucksack zusammenstellen. Wir reden hier also nicht mal von höher qualifiziertem Personal in Form von NFS/RS, sondern vom Basislehrgang des ehrenamtlichen Katastrophenschutzes. Selbiger stand auch am ersten Lehrgangstag mit eigenem Stethoskop und Rettungsmesser sowie Schere am Holster vor mir.

In erster Linie ist es meiner Meinung nach - je nachdem, was man mit führt - schlichtweg überflüssig. Angenommen du triffst als Sanitäter auf einen Verkehrsunfall - was bringt es dir, dort von möglichen Patienten sämtliche Vitalparameter zu erheben, wenn der Rettungsdienst nach knapp 10 Minuten eintrifft und das Ganze sowieso eigenständig nochmal wiederholt, einfach weil es zu deren Basismaßnahmen gehört (und ich aus Sicht des Rettungsdienstes einem dahergelaufenem Typen, der sich als Sanitäter ausgibt, sowieso keineswegs vertrauen würde).

Grundsätzlich findet man alles für eine Erstversorgung als Ersthelfer in einem handelsüblichen Verbandskasten, alles andere wird von den angeforderten Rettungsmitteln mitgebracht und eigentlich auch nur von dort genutzt. Es bringt meinem Kollegen recht wenig, wenn er vor Ort schon Zugang & Infusion vorbereitet hat und der Rettungsdienst das selbe Prozedere in unter 30 Sekunden erneut durchführt weil dieser nicht sicher gehen kann, das die Vorbereitung meines Kollegen korrekt, sauber & hygienisch durchgeführt wurde.

Zusätzlich müssen viele medizinische Produkte regelmäßig geprüft und gewartet werden. Im Ehrenamt ist das für mich in erster Linie erst einmal zweitrangig, für sowas gibt es Medizinproduktebeauftragte, welche sich bei uns darum kümmern - und auch im Fall, das etwas nicht ordnungsgemäß von ihnen geprüft wurde, den Kopf dafür hinhalten. Privat hast du eine solche Absicherung nicht und wenn doch etwas schief geht, weil das Produkt a) entweder nicht korrekt geprüft wurde und deshalb defekt ist oder du b) nicht genügend Routine hast, deshalb Fehler passieren oder du c) erst gar keine richtige Einweisung darauf erhalten hast, stehst du komplett alleine da.

man direkt als "Rettungsrambo" bezeichnet wird?

Als weiterer Grund gibt es vermutlich Menschen, welche mit vollgepacktem Holster und Rettungsrucksack im Kofferraum einfach ihr Selbstwertgefühl steigern möchten (vgl. Profilneurose oder sowas in der Art). Selbiges habe ich im Ehrenamt schon bei Kollegen beobachtet, welche den halben Tag in ihrer Dienstkleidung (welche bei uns üblicherweise Zuhause gelagert wird) herumlaufen, sprich: nach dem Dienst noch einkaufen, tanken und währenddessen alles auf sozialen Medien präsentieren.

Von Experten SaniOnTheRoad und iwaniwanowitsch bestätigt

Nun ja, komplette Notfallrucksäcke sind eigentlich vollkommen übertrieben und das sollte das entsprechend qualifizierte Rettungsfachpersonal (NotSan, RettAss, RettSan und ferner RH) kraft seiner Ausbildung eigentlich auch wissen!. Wir alle lernen/ wissen, dass eine erweiterte notfallmedizinische Versorgung eigentlich nur in Teamarbeit überhaupt möglich ist, weswegen ja auch die Rettungsmittel immer mit mindestens zwei fachlich qualifizierten Personen besetzt sind. Eine leitliniengerechte-/konforme erweiterte Erstversorgung ist nur mit mindestens zwei professionellen Helfer*innen möglich. Beispielsweise, bietet der HWS- Stützkragen alleine keine ausreichende Immobilisation bei Verdacht auf eine HWS- Verletzung sondern nur in der Kombination mit der Vakuummatratze oder dem Spineboard mit Kopffixierungssystem, sodass die HWS auch nach der Anlage eines Stützkragens bis zur vollständigen Immobilisation weiterhin manuell stabilisiert werden muss. Zudem gilt der HWS- Stützkragen bei einem schweren SHT mittlerweile als kontraindiziert, da er den venösen Abfluss behindert und dadurch den Hirndruck noch weiter erhöhen kann. Was für einen Benefit bringt der Stützkragen also noch, wenn man als professioneller Helfer alleine vor Ort ist?, keinen wenn man ehrlich ist. Für Infusionslösungen bietet das Privatfahrzeug nicht die erforderlichen Lagerungsbedingungen, die Rettungsmittel, haben ja nicht umsonst ein Thermofach hierfür. Einmal gefrorene Infusionslösungen, müssen ausgetauscht werden, versehentlich kalt infundierte Infusionslösungen, sind für den Patienten zumindest wenn sie in einer größeren Menge infundiert werden gefährlich bis hin zu lebensbedrohlich. Medikamente, sind alleine und ohne Ausstattung um eventuelle Komplikationen zu beherrschen ebenfalls lebensgefährlich, zumal ebenfalls die Lagerungsbedingungen nicht erfüllt werden können. Die einzige Ausnahme würde ich bei Adrenalin sehen, denn das rettet bei einem anaphylaktischen Schock wirklich Leben, muss allerdings ohne Kühlung alle vier Wochen ausgetauscht werden, was privat ebenfalls nicht möglich ist. Abschließend würde ich sagen, besteht die Hauptsache in zwei Fragen:

1.) Was ist wirklich für den Patienten lebensrettend und

2.) Was kann alleine sinnvoll angewendet werden.

Wenn man diese zwei grundsätzlichen Fragen beachtet, dann bleibt sehr wenig übrig, was wirklich einen Sinn ergibt. Im Wesentlichen sind dies eine Beatmungsmaske und ein Tourniquet, das war's dann aber meiner Ansicht nach auch schon.

Mfg

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Rettungsdienst🚑, sehr großes Interesse an Notfallmedizin.
Oberfranke123 
Fragesteller
 23.05.2022, 14:18

Das nenne ich eine sehr sachliche Meinung. Danke! jetzt wo du es so schreibst kommt es natürlich logisch rüber nur meisten sieht man Kommentare wie "Lachnummer" oder Rettungsrambo"

1
Von Experte Rollerfreake bestätigt

Hi,

Hoffe ihr könnt mir das erklären wiese das heutzutage so ist :)

Nun, im Grunde genommen ist das nicht nur "heutzutage" so - die Einstellung gibt es in Rettungsdienstkreisen seit Jahrzehnten.

Man muss hier letztendlich die Fragen betrachten

  • Was kann man tatsächlich sinnvoll gebrauchen?
  • Was kann man alleine sicher anwenden?
  • Was ist im Erstangriff tatsächlich wichtig? und
  • Was hat tatsächlich eine lebensrettende Konsequenz für den Patienten?

Spätestens hier wird auffallen, dass

  • Material zur erweiterten Versorgung entweder unter speziellen Bedingungen überhaupt (z.B. die Lagerung von Infusionen, wie Rollerfreake schon angesprochen hat) oder nur zu zweit korrekt angewendet werden kann und
  • eine sinnvolle Erstversorgung - inklusive Absicherung, sauberen Notruf und lebensrettenden Sofortmaßnahmen - nicht nur das A und O ist, sondern die Zeit bis zum Eintreffen der Regelrettung problemlos überbrückt. Und dafür braucht man erstaunlich wenig.

Erweiterte Versorgungsmaßnahmen kommen überhaupt erst dann ins Spiel, wenn die Basismaßnahmen abgefrühstückt sind. Und wenn erweiterte Versorgungsmaßnahmen ergriffen werden müssten, ist eine weitergehende Versorgung durch den (frühzeitig) alarmierten Regelrettungsdienst sichergestellt.

Kurzum: man wird selten überhaupt in die Verlegenheit kommen, irgendwelches Profi-Equipment einzusetzen, wenn man korrekt arbeitet und entsprechend eskalierend vorgeht. Von wenig zu viel, Basismaßnahmen zu erweiterten Maßnahmen.

Rechtliche Probleme - wie z.B. bei der Bevorratung von Medikamenten - sind bei dieser Betrachtung noch völlig außen vor.

Warum also verpönt?

Im Grunde genommen zeigt die massive Aufrüstung des Privat-PKW oft einfach eines: der Betroffene hat sich wenig bis gar keine Gedanken gemacht (oder weiß es einfach nicht), was sinnvoll und notwendig ist.

Eine unzureichende fachliche Einschätzung der Notwendigkeit und die Tendenz, als Privatperson bei der Erstversorgung "zu übertreiben" und an die Grenzen der Kompentenz zu gehen, kommt berechtigterweise bei den Kollegen nicht gut an. Man könnte auch sagen: in gewisser Weise zeigen sich so zumindest fachliche Defizite.

Es mag dabei mitunter auch "Wichtigtuerei", Selbstüberschätzung oder der Befriedigung einer Profilneurose dienen - das wären durchaus auch charakterliche Schwächen, die den Kollegen bisweilen sauer aufstoßen.

Persönliche Meinung

Es objektives "Brauchen" gibt es hier nicht - ich kann selbst in der letzten Ecke Deutschlands davon ausgehen, dass bei rechtzeitiger Alarmierung und soliden Basismaßnahmen spätestens dann ein RTW vor mir steht, wenn ich tatsächlich erweiterte Maßnahmen anwenden müsste.

Und für eine solide Erstversorgung gibt es tatsächlich nichts, was man tatsächlich über ein Standard-KFZ-Verbandkasten hinaus benötigen würde.

LG

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Notfallsanitäter, Blogger, Medizinstudent

Zur Hilfe ist ja sowieso jeder verfplichtet, auch wenn es nur den Notruf wählen ist oder eine Betroffene Person nicht alleine lassen...

Von ausgebildeten Personen würde ich erwarten das sie Eigeninitiative zeigen und bei zufälligen Begegnungen mit einem Unfall, einer Verletzung und Co, wissen was zu tun ist, anderen Ersthelfer anleiten können...

Eine halbe Rettungswagen ausstattung muss aber keiner mit sich rumtragen. Bringt auch nichts wenn man einiges eh nicht alleine anwenden kann. natürlich kann man nichts dagegen sagen wenn jemand eine Basisausrüstung dabei hat, die mehr als ein Erste Hilfe Set ist... Wenn man damit nur einer person mal irgendwann helfen kann, hat es sich doch schon gelohnt.

Immer dabei hat man das ja auch nicht...