Könntet ihr euch vorstellen, in einem Kindergarten zu arbeiten?

8 Antworten

Könnte ich mir absolut vorstellen. Ist was Schönes und viel besser als ganz viele andere Berufe, deren Stressfaktor für mich viel unangenehmer wäre, eben auf ganz andere Weise.


Ich arbeite seit über 20 Jahre in Kitas, seit über 15 Jahren in der Kita in der ich heute angestellt bin und ja, es ist ein Horrorberuf. Und ich liebe ihn, weil kein Tag wie der andere ist. Nimm dir einen Kaffee, es wird ein längerer Text, aber spannend....

Ich gebe dir mal ein paar Beispiele aus meinen Tagesabläufen. Ich habe bei mir im Haus schon alle Abteilungen durch. Springer, Krippe, Kita, Hort. Über 400 Kinder und eine Öffnungszeit von 6.00 Uhr bis 17.30 Uhr. Das ganze ist eine Kita im Kiez, sprich, soziales Randgebiet. Migrantenanteil sehr hoch, Behinderte Kinder in der Gruppe, Kinder mit erhöhten Förderbedarfen in Sozialem, Motorik, Sprache. Eltern fern der Bildung, teilweise Rechts, die wenigsten arbeiten, teilweise radikal Islamisch, teilweise Drogenabhängig. Soviel zu den Bedingungen. Nun die Beispiele:

Da ist der Junge, der daheim Po*nos schaut, GTA spielt und Squid Game schaut. Er kann sämtliche Fäkalsprache aus dem FF. Er kann nicht lachen. Wenn es was zum lachen gibt sagt er: Jo Rofl oder lol. Möchte er etwas zum Trinken haben, dann kommt die Sprache nicht mehr aus dem FF, wie etwa die Fäkalsprache. Da heißt es dann: Tu mia kiepn drinkn tuten? Die Eltern hören das auch. Man redet 3 Jahre, das Kind braucht Logopädie. Die Eltern hören nicht. Dann kommt der Tag der Einschulungsuntersuchung. Und: Das Kind wird auf Grund der Sprache nicht eingeschult. Warum ist das so: Ja die Erzieherin hat nie was gesagt...... dumm nur das sie die Protokolle der Entwicklungsgespräche unterschrieben haben.

Da ist das Mädchen das morgens in die Kita gebracht wird. Die Fleecejacke voll mit Blutspritzern. Ich ziehe das Kind aus um zu schauen ob es verletzt ist. Das Kind hat keinen einzigen blauen Fleck, aber irgendwo muss das Blut ja herkommen. Ich bin mit der Jacke zum Chef, der ruft Eltern und Jugendamt an, die Jacke wird vorgelegt, der Vater sagt: Och, das ist vom Pitbull. Den musste ich verwackeln, weil der sich beim Kind in der Jacke verbissen hat. Ein paar Wochen später fällt auf, das das Kind Montag morgens bis zu 9 scheiben Brot isst. Was hast du denn als letztes gegessen. Da sagt die kleine Griesbrei. Den Griesbrei gabs am Freitag davor. Die Kleine hat das ganze Wochenende nichts zu Essen bekommen. Ein paar Wochen später muss das Kind in eine Pflegefamilie, wegen Vernachlässigung.

Da ist die Mutter. Sie ist taubstumm. Sie hatte 3 Kinder. Der Vater ist nicht zugegen. Die Kinder waren Unfälle aber sie liebt die Kinder und die Kinder geben ihr die Liebe zurück. Das erste Kind stirbt im Kindbett. Das zweite Kind bekommt im Bett nachts Krämpfe und stirbt. Das dritte Kind sitzt vorm TV während die Mutter in der Küche den Abwasch macht. Sie hört nicht wie das Kind im Wohnzimmer krampft und erstickt. Ein halbes Jahr später hat die Mutter ihrem Leben ein Ende gesetzt. Sie kam mit dem Verlust nicht klar.

Da ist das Mädchen das über Tisch und Bänke geht. Sie kloppt sich auch gerne mit anderen Kindern. Ein anderes Kind wehrt sich und sie bekommt einen blauen Fleck am Arm. Die Mutter bearbeitet das Kind. Du musst sagen das das deine Erzieherin war. Das Kind sagt das, ich habe meine erste Anzeige. Ein paar Tage später verhaspelt sich das Kind und sagt das es ein anderes Kind war und das andere Kind gibt es zu. Das andere mal war ich im Urlaub. Das Kind war mit der Mutter nachmittags auf dem Spielplatz. Das Kind fällt auf die Anti-Fall- Matten und die Knöchel der Hand waren leicht aufgeschürft. Die Mutter bearbeitet das Kind wieder. Sie soll sagen das ich es war. Dumm nur das ich im Urlaub war. Die Anzeige, meine zweite verlief dann gleich im Sand. Ich habe dann darum gebeten, das das Kind die Gruppe wechselt. Da ging das Spielchen dann von vorn los, aber mit den anderen Erziehern. Auch hier Anzeigen und das gleiche Spielchen. Ein Anruf beim Jugendamt brachte dann Klarheit. Das hat die Mutter mit älteren Kindern auch schon in anderen Kitas abgezogen. Und zwar immer dann, wenn die Erzieherin beobachtet wurde wie ein dunkelhaariges oder dunkelhäutiges Kind ihrem Kind bevorzugt wurde. ZB in der Anziehzeit nach der Mittagspause. Wenn ihr Kind nicht die erste war sondern zB klein Ali mal der erste war, wurde die Mutti aktiv. Wir haben die Mutter dann mal in den Sozialen Netzwerken gesucht und wurden fündig. Sie folgte Gruppen wie "Deutsche Mütter" "Nein zum Heim" "Heim ins Reich" usw....

Dann war da das Kind, das morgens um 6 im Schlafanzug von der Polizei gebracht wurde. Kennen sie dieses Kind? Ja, die gehört in meine Gruppe, was ist denn passiert. Ja, sie weiß nur ihren Vornamen und geisterte morgens um 4 im Schlafanzug auf der Straße und wollte zum Spielplatz. Einfach mal von Zuhause abgehauen.

Da ist der Junge, der ein zweites Stück Kuchen wollte, aber ein Nein bekam. Danach rastete er komplett aus. Legte den Gruppenraum in Schutt und Asche. Ich habe nur noch die anderen Kinder in Sicherheit bringen können. Stühle flogen in die Fensterscheiben. Autos und Bauklötze fungierten als Geschosse. Geschirr und Besteck flog durch die Gegend. Mutter und Krankenwagen wurde verständigt. Der Krankenwagen war zuerst da. Die Herren brauchten fast 10 Minuten um ihn einzufangen und ruhig zu stellen. Die Mutter kommt und ihre Frage war nicht wie es dem Kind geht. Ihre Frage war nicht, ob sich ein anderes Kind verletzt hat oder ich. Sie steht inmitten dem Chaos und fragte, ob sie irgendwelche finanziellen Repressalien zu erwarten hatte. Der Gruppenraum musste komplett neu eingerichtet werden samt neue Fenster und Lampen. Es entstand ein Totalschaden von über 6000 Euro.

Und wenn es nicht die Kinder/Eltern sind die Chaos veranstalten, dann sind es die internen umstände. Jede Gruppe hat 20 Kinder. Ist es eine Regelgruppe ohne behinderte Kinder, dann ist nur ein Erzieher in der Gruppe, sind behinderte Kinder dabei, dann sind es nur 16 Kinder und ein Heilerzieher als zweiter Mann. Wenn eine Gruppenerzieherin krank ist wird die Gruppe aufgeteilt. Das heißt man sitzt manchmal mit 25 oder 30 Kinder da und verhindert nur noch die Katastrophen. Die in der Krippe sind dabei noch schlimmer dran. Nach jeder Mahlzeit müssen Windeln gewechselt werden. In einer Gruppe sind 18 Windelstürmer und 2 Erzieher. Ist eine Erzieherin in Urlaub oder Krank, dann fängst du nach dem Essen mit Wickeln an. Und wenn du 18 Windeln im Akkord gewickelt hast, dann kannst du von vorn beginnen. Zeitdruck ohne Ende. Dabei dürfen keine Verletzungen bei den Kindern passieren. Es müssen die Kinder auch gefördert werden. Das heißt in dem Chaos müssen Beschäftigungsangebote und Dokumentation unter gebracht werden. Dienstliche Pause? Fehlanzeige! Überstunden? Ich liege derzeit bei über 50 und habe vor Jahresende nicht die Chance die abzubummeln. Sie werden am Ende des Jahres verpuffen, denn ich darf sie nicht mit ins Folgejahr nehmen. Dankt es mir einer? Hin und wieder kommt mal ein Lob von der Chefin. Aber das wars.

Kann ich mich auf mein Gehalt verlassen? Nein. Das Gehalt richtet sich nach Anzahl der Kinder und deren Betreuungszeit. Ich bin auf 30 Stunden angestellt. 40 Stunden könnte ich arbeiten wenn mindestens 10 Kinder einen 8 Stundenvertrag haben. So einen Vertrag bekommen nur Eltern die Arbeiten und sich 8 Stunden leisten können. Ich liege derzeit bei 30 Stunden plus 6. Dafür werden mir aber mehr Kinder in die Gruppe gesteckt. Sonst kommt die Stundenzahl nicht zusammen. Derzeit geht das auch noch, weil Stellen nicht besetzt werden können. Gibt keine Erzieherinnen. Sollten die Stellen jemals besetzt werden, dann gehen meine Stunden automatisch wieder auf 30 und das heißt weniger verdienen. Angefangen haben ich vor 15 Jahren mit einem Gehalt von netto 785 Euro. Ich habe Abitur und 6 Jahre Ausbildung hinter mir. Das volle Programm. Kinderpflegeschule 2 Jahre, Sozialassistentenschule 2 Jahre, pädagogische Fachschule für 2 Jahre. Davor war ich erst in einer Maßnahme inklusive Hartz 4. Da hatte ich mehr Geld. Heute ist das etwas anders. Azubis fangen mit 1200 Euro an, wobei ich nicht weiß ob es brutto oder netto ist.

In dem 15 Jahren durchliefen etwa 100 Erzieherinnen diese Kita. Sie waren ein paar Monate da und gingen dann wieder. Sie wurden nicht übernommen, weil ihr Vertrag befristet war. Dann waren etliche dabei, die hätte man übernommen, aber die wurden anderweitig vergrault, weil zusagen seitens der Leitung über Bord geworfen wurden. Andere sind weggebrochen. Burnout, Depressionen, Weggemobbt. Dann gibts noch die Erzieher, welche komplett durch sind. Etwa alle 2 Jahre lässt sich eine Erzieherin einweisen wegen der Psyche. Ich habe das damals als junge Frau nie verstanden. Man sitzt in der Dienstversammlung und du hast da eine ältere Kollegin, die vielleicht älterer Natur ist und die bricht vollkommen weg. Die sitzt da, ist ein Häufchen Elend und einfach fertig mit den Nerven. Sie sitzt da und heult nur noch weil sie nicht mehr kann. Ein paar Tage später sind sie meist in einer Fachklinik. Das habe ich schon mehrfach im Kollegium erlebt. Hinter vorgehaltener Hand sagen wir: Die ist in der Klapper. Man hat sie kaputt gespielt. Als junge Frau verstand ich das nicht. Aber ich bin jetzt Mitte 40 und erlebe jedes Jahr aufs neue verrückte Dinge. Du denkst es kann nicht mehr sonderlicher werden, aber ich werde jedes Jahr auf ein neues eher negativ überrascht.

So schlimm das alles auch ist, ich mag diesen Beruf. Es ist anstrengend und mies bezahlt, ja, aber es wird nie langweilig. Und es sind viele Herausforderungen vorhanden jeden Tag. Und man muss kämpfen für jeden Erfolg den die Kinder haben. Wenn ich Azubis neben mir habe, dann erkenne ich meist in den ersten Tagen, ob er oder sie für diesen Beruf geeignet sind. Ich sage dann immer, wenn ihr diesen Weg weiter geht, dann überlegt euch, ob so eine Einrichtung das richtige ist für euch. Es gibt Kitas und Kitas. Und da wo ich bin, das ist sehr speziell. Da kann nicht jede Erzieherin arbeiten. Da muss man knallhart sein. Wenn man das nicht ist, wenn der Himmel voller rosa Geigen hängt weil die Kinder ja auch so süß sind und man sie am liebsten den ganzen Tag knuddeln und rumschleppen will, und wer kein dickes Fell hat, der geht in so einer Kita unter. Das ist nicht der kleine 3 Gruppen Kindergarten auf dem Dorfe, sondern eine Großkita mit Schwerpunkt Kiez. Und da kann nicht jeder arbeiten. Wenn man frisch von der Schule ist, da will man die Welt noch verbessern. Ist voller Elan, aber in so einer Kita wird man schnell ausgebremst.

Wollte ich diesen Beruf lernen?
Nein. Ich wollte was mit Sprache machen. Dolmetschen oder ähnliches. Aber ich gammelte nach der Schule rum. Teeny halt. Und meiner Mutter war das zu viel. Die sagte ich melde dich da an und du machst das. Und so habe ich das gemacht. Ich wollte nie mit Kindern arbeiten und auch nie eigene Kinder haben. Eigene Kinder habe ich immer noch nicht. Aber der Beruf ist schon toll, wenn man Herausforderungen mag.

Und die Eltern?
Da ist es durchwachsen. Die welche Arbeiten sind auf den Platz angewiesen. Die meisten Eltern arbeiten gegen uns, versuchen uns auszuspielen. Und dann hast du die Eltern, die eigentlich froh sind wenn das Kind weg ist. Viele Eltern haben auch keine Handhabe über das Kind. Das wurde in Zeiten des Lockdowns sichtbar. Die Eltern, welche einen 11,5 Stunden Vertrag haben, waren die ersten Eltern, die panisch anriefen, weil sie nicht wussten wie sie mit dem Kind umgehen sollten und was sie mit dem Kind machen sollten. Der Lockdown wo nur die Systemrelevanten Eltern ihre Kinder bringen konnten hat gezeigt, wo die Probleme zwischen Eltern und Kind liegen, wenn sie mal längere Zeit auf das Kind selber aufpassen müssen.

So, das war jetzt viel Text, aber ich denke mal, ich konnte ein wenig deine Fragen beantworten. Sorry wegen möglicher Rechtschreibfehler.... ist schon spät heute...

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Ich arbeite seit über 20 Jahren mit Kindern und Jugendlichen

Candia00 
Fragesteller
 28.09.2023, 15:12

Wow. Was für eine Antwort, vielen Dank!

Ich habe bei weitem noch nicht so viel erlebt, aber schätze mal das kommt dann wohl auch noch...

0
Anonym13592  06.10.2023, 14:39

Echt krass. Bei uns ist das komplett anders, aber wie du auch sagtest, dort im Kiez und generell im städtischen Kindergarten geht es echt so dahin. Wenn ich es nicht wusste, dass du im KG angestellt bist, hätte ich diese Geschichten auch mit einem Polizisten vergleichen können - respekt!

0

Ich habe in einem Kindergarten ein Praktikum gemacht und kam da traumatisiert raus. Ich wusste vorher gar nicht, wie schwierig der Job ist. Man denkt sich immer, dass es super einfach ist mit Kindern zu "arbeiten". Das ist leider nicht so. Jedes Kind ist einfach total ganz anders drauf. Du versucht natürlich gleich mit allen umzugehen aber bei manchen Kindern musst du halt eben anders reden und vorgehen. Das sind Kinder die Probleme haben, Schreikind etc. sind. Es gab auch Engelskinder, die habe ich total geliebt und auch gerne mit denen gespielt. Aber ich würde nicht als Erzieherin dort im Kindergarten arbeiten, vielleicht hinten in der Küche als Koch *lach*.

Ich kann mir diesen Beruf für eine langfristige Perspektive nicht sehen.


Candia00 
Fragesteller
 28.09.2023, 15:14

Ja, es ist schwierig, definitiv. Ich glaube auch dass es nicht das richtige für jeden ist. Aber war das Praktikum für dich nur schlimm oder auch schön? Und wie alt warst du als du es gemacht hast?

1
shandy794  28.09.2023, 15:55
@Candia00

Es war schön gewesen, ich habe meine alte Erzieherinnen wieder gesehen und das hat echt gut getan. Ich habe das Praktikum in 2009 gemacht, ist schon länger her aber war eine Erfahrung der Wert gewesen.

1
Candia00 
Fragesteller
 28.09.2023, 15:55
@shandy794

Ach krass, du hast es sogar an deinem eigenen alten Kindergarten gemacht?

0

Nix für mich, Kinder sind für mich nur erträglich weil sie sich weiter entwickeln und weil es ja „das eigene Kind ist“. Stelle ich mir vor ständig neue Kinder zu bekommen, bekomme ich schon mehr graue haare


Candia00 
Fragesteller
 27.09.2023, 21:59

Aber dafür entwickeln die so eine krasse Beziehung zu dir, das ist wirklich sehr rührend oft

0

Nein. Ich könnte das nicht. Vielleicht mal als Aushilfe für ein paar Tage - aber dann müsste ich mich ein paar Wochen davon erholen ;-)

Ich bin schon froh, wenn ich meine Enkel wieder abgeben kann :-)