Klassisches Drama? Iphigenie auf Tauris

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Humanitas, reine Menschlichkeit waren nicht die Ideale der antiken Klassik! Sie waren auch nur bedingt die Ideale der Weimarer Klassik. Was in der „Iphigenie“ wie auch in dem Gedicht „Das Göttliche“ ausgedrückt wird, ist ein auf dieser Welt selten mögliches ideales Handeln des Menschen: Nur unter ganz engen Voraussetzungen war dieses „rein menschliche“ Verhalten Iphigenies möglich. Dadurch, dass die Priesterin der Göttin Diana - entgegen ihren eigenen Interessen - sich zur Wahrheit bekannte, hat sie das Herz des „rohen Skythen“ Thoas gerührt. Zu diesem Verhalten Iphigenies in dem Extremfall der einmaligen Konstellation des Goetheschen Dramas ist ein Mensch durchaus fähig, da er im Gegensatz zu den Tieren mit Vernunft begabt ist, und als vernunftgeleiteter Mensch kann er auch „rein menschlich“ wie Iphigenie handeln. Doch ein Ideal war diese reine Menschlichkeit in der Weimarer Klassik keineswegs, jedenfalls nicht um den Preis der Unterdrückung der sinnlichen Natur des Menschen. Man nehme das Goethe-Gedicht „Natur und Kunst“: „Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!...Vergebens werden ungebundne Geister nach der Vollendung reiner Höhe streben....In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“ Vollendung also (so wie Iphigenie handelte) kann im Allgemeinen nicht das sein, was dem Wesen des Menschen entspricht, sondern die Beschränkung auf das für den Menschen Erreichbare und gleichzeitig Gebotene beeindruckt uns und ist auch die Voraussetzung für Meisterliches. Hier wird das „Gesetz“ genannt. Goethe verstand darunter sicher das Gesetz des Guten, die Moralgesetze, ganz im Sinne des Gedichtes „Das Göttliche“. Freiheit bringt uns dieses Gesetz insofern, als es den Menschen von der Gewalt der Leidenschaften befreit. Eine andere Freiheit ist nicht möglich, die totale Freiheit führt ins Chaos. Doch bedeutet diese Unterordnung unter das „Gesetz“ gleichzeitig die Unterdrückung und Knebelung der Naturtriebe? Nein! Nicht im Zeitalter der Klassik. Ein wesentlicher Gedanke der Weimarer Klassik war nämlich die Harmonie von Geist und Naturtrieb. Schiller grenzte sich damit von Kant mit dem Ziel ab, die Spaltung des Menschen in Körper und Geist, Natur und Freiheit vermittelnd zu überwinden. ‘Die Frage trat an ihn heran: Wie hat man sich den Zusammenhang der physischen mit der geistigen Natur des Menschen vorzustellen? Schiller hatte in philosophischer Art diese Frage in seinen «Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen» zu beantworten gesucht. Ihm war es zu tun um die Veredelung, Läuterung des Menschen. Ungeläutert erschien ihm ein Mensch, welcher unter dem Naturzwange der sinnlichen Triebe und Begierden steht. Aber ebenso wenig hielt er denjenigen für geläutert, der die Triebe und Begierden als Feind empfindet und sich unter den Zwang der moralischen oder abstrakten Vernunftnotwendigkeit stellen muss. Erst derjenige Mensch hat die innere Freiheit erlangt, welcher die moralische Ordnung so in sein inneres Wesen aufgenommen hat, dass er gar nichts anderes will, als ihr zu folgen.‘ (Zitiert nach Rudolf Steiner in einem Aufsatz) - Goethe fand sich durch diese Ideen im tiefsten Sinne befriedigt. Er schreibt darüber an Schiller, der ihm die Handschrift mitgeteilt hatte: «Das mir übersandte Manuskript habe ich sogleich mit großem Vergnügen gelesen.…. so waren mir diese Briefe angenehm und wohltätig, und wie sollte es anders sein, da ich das, was ich für recht seit langer Zeit erkannte, was ich teils lebte, teils zu leben wünschte, auf eine so zusammenhängende und edle Weise vorgetragen fand.» - Zu der Frage: "Inwiefern ist 'Iphigenie auf Tauris' ein klassisches Drama? Also welche Motive/ Merkmale/ Grundideen etc. werden aufgegriffen?" Die Antwort lautet: Iphigenies Wesen entspricht dem Harmoniegedanken der Weimarer Klassik, d.h. sie hat die innere Freiheit erlangt, indem sie die moralische Ordnung so in ihr inneres Wesen aufgenommen hat, dass sie gar nichts anderes will, als ihr zu folgen. (s.o.)

Goethe will in seinem Drama auf die (angeblichen) Ideale der antiken Klassik zurückgreifen, wobei er vor allem humanitas / Menschlichkeit (Reinheit der Seele, was immer man darunter verstehen mag) thematisiert.

Seine "Iphigenie" trieft gegen Schluss allerdings SO vor Menschlichkeit (im Gegensatz zu Sophokles'), dass ihm, Goethe, sein eigenes Drama in seinen späten Jahren nicht mehr gefiel !!

pk