Ich orientiere mich bei der Willensfrage an der Philosophie Schopenhauers und Nietzsches. Nach Schopenhauer existiert ein Urwille, der sich in Milliarden Einzelwillen aufsplittert, sei es in der Pflanzen- und Tierwelt und schließlich in der Menschenwelt. Dieser „Urwille“ ist zutiefst böse. Er ist schlicht und einfach ein „Wille zum Leben“ und äußerst sich in den vielfältigsten Formen, z.B. als Nahrungstrieb, Sexualtrieb und Glücksstreben. Dieser Wille ist - beim Menschen - durch die Vernunft nur schwer zu steuern, er ist einfach nur auf Erfüllung aus: beim Nahrungstrieb drängt er auf Stillen der Hungergefühle, beim Sexualtrieb auf Befriedigung der Sex-Gelüste und beim Glücksstreben auf bedingungslose Verwirklichung des angestrebten Glückszustandes. Hinzu kommt gerade beim Glücksstreben, dass (vom Urwillen aus, der ja zutiefst böse ist) eine starke Verlockung auf den Menschen ausgeübt wird dergestalt, dass man sein Glücksziel nur durch stärkste Mobilisierung aller Willenskräfte erreichen könne. Deshalb steigert sich der Wille bis hin zum Egoismus. Endziel dieser Steigerung sind alle die herrlichen irdischen Güter der Welt, die man mit Glücklich-Sein verbindet: Reichtum, hohes Ansehen, verbunden mit einem glänzenden Beruf (+ hohem Einkommen), Erfolg in der Liebe u.a.m. Da alle auf diese irdischen Glücksziele hinarbeiten, muss es zu gewaltigen Konkurrenzkämpfen kommen, die für die meisten im Unglück und im Leiden enden. Erst durch die nachfolgende Einsicht des Menschen, dass der Wille ihn in betrügerischer Absicht ins Unglück hat stolpern lassen, kommt er auf die Idee, dass man Unglück und Leid ja auch vermeiden oder zumindest abmildern kann, indem man seinen Willen verneint oder jedenfalls stark zurücknimmt. Damit verneint man ja auch die Folgen des „entfesselten“ Willens bzw. dämpft sie stark ab: eben das Leiden. Durch diese Verneinung wird der Mensch auch zum Mitleid befähigt, überhaupt entfalten sich hierdurch auch die sonstigen, im Menschen ruhenden edlen Antriebe (s. Goethe: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut..!“).
Bei Nietzsche ist es ähnlich. Nur sieht er die Welt und die Menschen positiv, dem Leben gibt er seine Faszination und seinen Zauber, den es auf den Menschen ausübt, zurück. Nur muss man die Welt und die Mitmenschen illusionslos und realistisch einschätzen, d.h. sie so sehen, wie sie an sich sind, nämlich Wille zur Macht. Macht als Metapher verstanden. Jeder muss in sich ein Potenzial entdecken, das er entwickelt und aufbaut, sei es ein Talent, eine Befähigung jeder Art, die ihm Macht, Ansehen, Bedeutung, Geltung, Autorität verleiht. Wer kein solches Potenzial in sich trägt, gehört nach Nietzsche zu den Viel-zu-vielen, den Herdenmenschen, die „nichts auf der Pfanne haben“, die zu den Schwachen gehören, „deren Schwäche darin besteht, dass sie nur gehorchen können.“ (Nietzsche)
Wer sich in der Welt umsieht, bemerkt, dass Nietzsche recht hat. Nur wer irgendein Machtpotential in sich trägt und daraus eine Stärke, eben Macht, entwickelt, hat etwas auf dieser Welt “zu melden“ und kann glücklich werden, Glück nicht als Weideglück der Lämmer (wieder Nietzsche) verstanden, sondern als heroisches, erfolgreiches und erfülltes Leben.
Nietzsche sagt aber noch mehr über diesen Willen zur Macht: Der Mensch sei Wille zur Macht und nichts außerdem. Zum Beispiel sei auch Güte Wille zur Macht. Das heißt, nur der könne gütig sein, der etwas abzugeben hat. Wer nichts hat, könne auch nicht gütig sein. Ob dieser Zusatz „und nichts außerdem“ zutrifft, ist zweifelhaft. Also, nach Meinung Nietzsches zählen Moral, Humanität, Altruismus nichts. Es zählt nur der Wille zur Macht. Nietzsche geht hier m. E. zu weit. Der Mensch wäre dann ja im Wesentlichen nur eine Ausgeburt des Egoismus, er wäre ein höheres Tier. Allerdings, da Güte auch Wille zur Macht ist, könnte er durch freiwilliges Abgeben von seinem Machtpotenzial seinen Egoismus zügeln.
Selbst Schopenhauer ist so weit nicht gegangen, dass er im Menschen beinah nur einen Ausbund des Willens bzw. des Egoismus gesehen hat. Er hielt eine Verneinung des Willens für möglich, sodass der Mensch auch zum Mitleid und zu anderen edlen Handlungen fähig sei. In der „Menschenwelt“, so schrieb Schopenhauer zwei Jahre vor seinem Tod in sein Tagebuch, treten „stets von Neuem uns überraschend, Erscheinungen der Redlichkeit, der Güte, des Edelmuts … auf. Nie gehen diese ganz aus: sie schimmern uns, wie einzelne glänzende Punkte aus der großen dunklen Masse entgegen. Wir müssen sie als ein Unterpfand nehmen, dass ein gutes und erlösendes Prinzip in dieser Welt steckt, welches zum Durchbruch kommen und das Ganze erfüllen und befreien kann.“