Kann man Komplexität objektiv messen?

6 Antworten

Zumindest für die Komplexität von Fragestellungen (z.B. bezüglich Zeit- oder Platzbedarf) liefert die Komplexitäts- und Berechenbarkeitstheorie einige wichtige Resultate. So gibt es etwa die Komplexitätsklassen



die genau die formalen Sprachen enthalten, die auf einer deterministischen bzw. nichtdeterministischen Turingmaschine in polynomiell beschränkt vielen Schritten entschieden werden können.

Für die Komplexität von Systemen gibt es mangels präziser Definition des allgemeinen Begriffs des Systems meines Wissens keine formale Definition, aber gewiss für Spezialfälle. Man muss ein Maß spezifizieren, das man betrachten will und das ist typischerweise gar nicht so einfach, wenn man das System noch gar nicht vollständig verstanden hat.

Man hat schlicht eine beschränkte Sicht und kann deshalb die Komplexität in der Regel gar nicht wirklich einschätzen, weil man eben nicht weiß, was noch alles im System steckt. Deshalb würde ich sagen nein, es ist nicht möglich - natürlicherweise -, die Komplexität eines Systems, das man nicht vollständig kennt, präzise zu definieren.

Höchstens könnte man sich auf Erfahrungswerte stützen, etwa wie lange es im Schnitt bis zu neuen Erkenntnissen jeweils gedauert hat, aber das ist natürlich alles andere als formal präzise.

Scobel - 3SAT

Komplexe Systeme

https://www.3sat.de/wissen/scobel/scobel--mit-komplexitaet-leben-100.html

Mit Komplexität leben

Komplexe Systeme gibt es sowohl in der Natur als auch in vielen Bereichen der Gesellschaft. Aber wie lassen sie sich genau beobachten, verstehen und steuern?

Menschen neigen in Entscheidungen und Handlungen zu einfachen Lösungen. Dabei werden häufig Zusammenhänge und Wechselwirkungen übersehen: Denn Natur und Gesellschaft sind komplexe Systeme. Wie können wir nachhaltiger und verlässlicher mit solchen Systemen umgehen?

Je mehr, desto besser

Für den Umgang mit Komplexität werden in der digitalisierten Moderne vor allem schnelle Hochleistungsrechner, lernfähige Algorithmen und Daten herangezogen. Je mehr, desto besser, sagen viele Forscher. Tatsächlich ermöglichen Big Data, Algorithmen und KI-Forschung die Verarbeitung von gigantischen, unüberschaubaren Datenmengen, die von Menschen allein gar nicht mehr zu bewältigen wäre - und zwar in einer unvorstellbaren Geschwindigkeit.

Problematisch sind dabei die Verlässlichkeit, die Vollständigkeit und das Verstehen von Daten. Ebenfalls problematisch sind die Überprüfbarkeit der Erkenntnisse und die Schlussfolgerungen, die man aus der Flut an Informationen zieht. Wie lassen sich das exponentiell steigende Wissen und die Datenmenge überhaupt noch überprüfen und wissenschaftlich beurteilen?

Exponentielles Wachstum und komplexe Prozesse

Immer mehr Wissenschaftler passen sich den digitalen Veränderungen an, auch wenn Studien dieses Verhalten kritisch hinterfragen. Viele Theorien sind, nicht zuletzt in Politik und Gesellschaft, enttäuschend linear, monokausal - und damit unpassend, um Komplexität zu verstehen.

Auch wenn Forscherinnen und Forscher versuchen, möglichst viele Einflussfaktoren in ihre Untersuchungen mit einzubeziehen. Exponentielles Wachstum und komplexe Prozesse sind in Wirtschaft, Finanzwelt und Gesellschaft ebenso allgegenwärtig wie in der Natur, in der Klimadebatte oder bei der Bekämpfung der Coronapandemie.

Gefühl des Unbehagen

Für die Bewältigung der vielen Transformationen, mit denen wir gegenwärtig konfrontiert sind, ist ein Verstehen von Komplexität unerlässlich. Wie aber wirkt sich gesteigerte Wahrnehmung von Komplexität auf das Fühlen, Denken und Handeln aus? Erhöhen sich dadurch Kompetenzen und Wissen? Entsteht vielleicht sogar ein neues Bewusstsein für die Transformationen der Gesellschaft? Oder werden die Subjekte von der Datenflut überrollt und kapitulieren vor der Unübersichtlichkeit mit einem Gefühl des Unbehagens?

Wenn du ein System mit wenig Information beschreiben kannst, weisst du, dass es einfach ist. Aber wenn du es nicht mit wenig Information beschreiben kannst, gibt es keinen Weg zu beweisen, dass es nicht einfach ist. Vielleicht hast du nur die einfachste Beschreibung noch nicht gefunden. Wenn ich mich recht erinnere, ist der Begriff dazu 'algorithmisch komprimierbar'. Wenn du einen langen Text auf einen kurzen komprimieren kannst, hast du ein einfaches Muster gefunden. Das heisst er ist einfach.

sigma03  17.07.2021, 20:56

Der Ansatz ist an sich interessant, aber das Ergebnis, also wie "komplex" etwas ist, ist immer noch stark von der gewählten Methode zur Beschreibung abhängig. Man kann nicht ausschließen, dass die Komplexität nur durch die eigene Art der Beschreibung zustande kam - möglicherweise existiert immer eine weniger komplexe Darstellungsmöglichkeit, die man nur nicht gefunden hat. Die Komplexität wäre also entweder variabel oder unbestimmbar - was nicht sein darf. Dem Anspruch einer absoluten Angabe würde man damit nicht gerecht werden.

Ich hätte gerade die Idee, dass man die Atomanzahl oder die Anzahl subatomarer Teilchen in einem System als Maß für die Komplexität von diesem nimmt. Beispielsweise können aus zwei Atomen weniger komplexe Dinge gebildet werden als aus sechs Atomen. Ein Stück weit fraglich bleibt natürlich, ob diese einfache Definition so akzeptabel ist - wenn man eine CPU und einen Eisenwüfel mit gleicher Atomanzahl hat, so könnte das erstere System mehr als das letztere.

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diderot2019  17.07.2021, 21:06
@sigma03

Das ist tatsächlich so, dass die Komplexität von der Methode der Beschreibung abhängt. Man könnte Komplexität z. B. definieren als die Anzahl Bit (oder Qubit), die gebraucht wird, um das System vollständig zu beschreiben. Aber wie gesagt, damit kannst du nur angeben, wie viele Bit du höchstens brauchst. Ob es noch einfachere Beschreibungen gibt, kannst du nicht wissen.

Ich weiss nicht mehr, wo ich dies gelesen habe. Vermutlich war es entweder bei Roger Penrose, 'Computerdenken' oder bei Gregory Chaitin, 'Limits of Mathematics'. John Barrow, 'Warum die Welt mathematisch ist' kommt auch in Frage.

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sigma03  17.07.2021, 21:23
@diderot2019

Ich würde mal behaupten, dass die Komplexität der Fragestellung, wie man Komplexität allgemein und mit dem Anspruch an einen absoluten Maßstab definieren soll, sehr groß ist.

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Energiekugel 
Fragesteller
 18.07.2021, 19:59
@sigma03

Kann Komplexität überhaupt als objektive Eigenschaft existieren? Man muss immer berücksichtigen was der Mensch mit bestimmten Begriffen eigentlich meint und ob es davon wirklich eine objektive Realität gibt. Beispielsweise könnte man auch fragen ob man Schönheit objektiv messen kann. Wie schön ist etwas? Man kann dafür Kriterien bilden und anhand dessen eine Messung durchführen. Aber sind die Kriterien universell gültig? Oder sind sie nur eine Möglichkeit von vielen? Vielleicht existiert Komplexität nicht, sondern ist nur ein abstrakter Begriff der menschlichen Psyche. Als ein Begriff dass Systeme meint, die man nicht trivial durchschauen kann. Das heißt dass gewisse Zeit, Arbeit oder Vorwissen notwendig ist. Damit würde der Bergriff Komplexität vielmehr einen Zustand der menschlichen Wahrnehmung beschreiben und weniger eine reale Eigenschaft von Objekten.

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Wie viele Einzelteile sind mit einander vernetzt?

Solch eine Beurteilung erfolgt ganz objektiv.

Natürlich urteilt man da im Alltag eher intuitiv, denn wer misst in Alltagssituationen, wie Komplex ein Ereignis oder ein Objekt ist.