Kann man irgendwie beweisen, das jeder Mensch die Farben gleich wahrnimmt?

Beispiel - (Politik, Philosophie, Farbe)

11 Antworten

Nein, weil ein Kind von irgendjemandem ja durch Worte lernt wie die Farbe heißt: Zum beispiel "blau" - egal ob das Kind nun eine grüne, rote oder blaue Farbe sieht, es wird lernen, dass eben das was es sieht "blau" ist. Und es wird lernen diese Farbe mit seiner Sprache zu beschreiben.

Von daher kann es durchaus sein, dass Menschen unterschiedliche Farben sehen, benennen sie jedoch gleich :)

Ich fasse die Aussage

   (A1) Jeder Mensch nimmt die Farben gleich wahr

zunächst etwas genauer, um sie besser untersuchen zu können:

   (A2) Je zwei Menschen, auf deren Netzhaut derselbe Farbreiz einwirkt,
           haben in diesem Moment stets dasselbe Farberlebnis.

Mit "Farberlebnis" meine ich das subjektive bewusste Erleben das mit der Wahrnehmung einer Farbe verbunden ist. Zum Beispiel wie es sich für mich ist, wie es sich für mich anfühlt, jetzt dieses Rot zu sehen. Man nennt solche Erlebnisqualitäten auch Qualia (Singular: das Quale).

Aussage A2 lässt sich nicht beweisen, da man ihre Gültigkeit nicht bei jedem Menschen überprüfen kann. Zum Beispiel ist es unmöglich zu überprüfen, ob der jetzt durch die rote Farbe meines Routers ausgelöste und auf meine Netzhaut einwirkende Farbreiz in mir von demselben Farberlebnis begleitet wird wie derselbe Farbreiz, wenn er auf die Netzhaut des vor 5 Tagen in München verstorbenen Georg Wolf eingewirkt hätte, in ihm. „Jeder Mensch“ bzw. „je zwei Menschen“ bezieht sich nämlich auch auf alle bereits toten oder noch nicht geborenen Menschen.

Natürlich können wir versuchen, die Aussage A2 auf alle heute lebenden Menschen einzuschränken:

   (A3) Je zwei heute lebende Menschen, auf deren Netzhaut derselbe Farbreiz
           einwirkt, haben in diesem Moment stets dasselbe Farberlebnis.

Aber auch für die ca. 7,33 Milliarden heute auf der Erde lebenden Menschen ist das zur Überprüfung von A3 nötige Massenexperiment kaum durchführbar. Die dazu nötigen 3,665 Trillionen Vergleichstests mit je zwei Menschen würden, selbst wenn jeder Test nur eine Sekunde dauerte, nacheinander ausgeführt ca. 116 Milliarden Jahre dauern. Wir könnten natürlich im Prinzip allen diesen Menschen VR-Brillen und tragbare Hirnscanner geben, ihnen allen im selben Moment über die Brillen denselben Farbreiz verabreichen, von jedem einen Hirnscan anfertigen, die Scans auf einen Supercomputer hochladen und sie dort vergleichen lassen. Dann wäre es zwar theoretisch möglich, dass irgendwann einmal zufällig alle diese Scans gleich wären. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch nur zwei Hirnscans jemals identisch sind, ist extrem niedrig, etwa wie die Wahrscheinlichkeit, dass ein Stein spontan über dem Boden schwebt, oder dass sich alle Luftmoleküle meines Schlafzimmers spontan in der linken oberen Ecke des Zimmers versammeln und ich ersticke, oder dass ein Schimpanse an einer Schreibmaschine zufällig sämtliche Werke der Weltliteratur tippt.

Es gibt praktisch keine zwei identischen Gehirne. Selbst eineiige Zwillinge haben schon lange vor der Geburt unterschiedliche Gehirne, weil die sich abhängig von Umweltflüssen entwickeln, die sich schon aufgrund der unterschiedlichen Lage und Versorgung der beiden Embryos unterscheiden.

Aber mal angenommen, der extrem unwahrscheinliche Fall zweier identischer Gehirne läge in einem bestimmten Augenblick vor und, noch unwahrscheinlicher, sie hätten in einem bestimmten Augenblick dasselbe neuronale Aktivitätsmuster. Hätten dann die beiden Besitzer dieser Gehirne in diesem Augenblick dasselbe subjektive Erlebnis, z. B. dasselbe Farberlebnis? Man kann das als Hypothese formulieren:

   (S) Wenn zwei Gehirne in allen physikalischen Eigenschaften (bis auf Ort
         und Zeit) übereinstimmen, erleben ihre beiden Besitzer im jeweiligen
         Moment dasselbe.

(Man nennt übrigens die in S formulierte Abhängigkeit mentaler von physikalischen Gegebenheiten Supervenienz.)

Wie aber soll man S je beweisen? Wir könnten Fritz und Klara, die beiden Besitzer dieser Gehirne, fragen, was sie in diesem bestimmten Moment erlebten, als ihre Gehirnaktivität identisch war. Und vielleicht würden sie sogar dasselbe berichten, z. B. „der Router sah so rot aus“. Und was wäre damit bewiesen? Sie könnten lügen, sich falsch erinnern, es falsch formulieren. Jeder bewusste subjektive Erlebnisinhalt ist ja viel zu reichhaltig, um vollständig sprachlich ausdrückbar zu sein. Zum Beispiel können wir viel mehr Farben unterscheiden, als wir Farbwörter haben.

Kann man überhaupt die Erlebnisinhalte von zwei Menschen (oder anderen bewussten Lebewesen) miteinander vergleichen? Man kann ja von außen nur ihr Verhalten - einschließlich Kommunikation - beobachten. Selbst wenn sie dieselben Wörter in derselben Reihenfolge verwenden, um ihr Erleben zu beschreiben, können wir nicht wissen, ob es sich um dieselben Erlebnisgehalte handelt. Jeder Mensch hat die Wörter seiner Sprache in anderen äußeren und inneren Situationen gelernt. Dem einen fallen deshalb beim Wort „rot“ zuerst Blut und Gewalt ein, dem anderen Erdbeeren und Genuss.

Es ist deshalb möglich, dass zwei Menschen mit unterschiedlichen Gehirnen in unterschiedlichen physikalischen Zuständen - also im Normalfall - dasselbe erleben (Multiple Realisierung); auch wenn es nicht möglich ist, das innere Erleben von zwei verschiedenen Menschen zu vergleichen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Autodidaktisches Studium, Bundestagskandidatur, NGO
ReimundAcker  31.08.2015, 18:58

Teil 2  [Teil 1 siehe meine Antwort oben]

Aus all dem folgt, dass selbst die gegenüber (A2) stark abgeschwächte Aussage

   (A4) Es gibt zwei Menschen mit demselben Farberlebnis

nicht beweisbar ist. Denn selbst wenn wir S (vernünftigerweise) unbewiesen akzeptieren, müsste dazu der extrem unwahrscheinliche Fall zweier identischer Gehirne mit identischen Zuständen bei identischen Farbreizen eintreten. Und selbst wenn dies zufällig gerade im Rahmen eines wissenschaftlichen Experiments geschähe, würde es kaum wissenschaftlichen Ansprüchen für einen Nachweis von A4 genügen, weil es sicher bis zum Ende der Menschheit kein zweites Mal passieren würde, so dass die Beobachtung nicht reproduzierbar und damit nicht überprüfbar wäre. Es bleibt also nur die folgende, sehr schwache und nur wahrscheinlichkeitstheoretisch beweisbare Aussage übrig:

   (A5) Es besteht eine extrem geringe Wahrscheinlichkeit dafür, dass
          einmal im Verlauf der Menschheitsgeschichte wissenschaftlich
          beobachtet wird, wie zwei Menschen für einen kurzen Moment
         dasselbe Farberlebnis beim selben Farbreiz haben.


Andererseits lässt sich aber das Gegenteil von A2 beweisen! Dazu genügt es ein Gegenbeispiel anzugeben, also zwei Menschen zu finden, die beim selben Farbreiz unterschiedliche Farberlebnisse haben. Und die lassen sich finden, weil Menschen bekanntlich unterschiedlich viele Farben unterscheiden können. Nehmen wir also an, wir haben zwei solche Menschen gefunden, Axel und Bärbel, und zwei Farben, die Axel nicht unterscheiden kann, aber Bärbel schon. Die zu diesen Farben gehörenden Farbreize, die wir den Netzhäuten der beiden verabreichen, nennen wir mal F1 und F2. F1 führt bei Bärbel zu einem Farberlebnis, das sie gelernt hat, „Lindgrün“ zu nennen; und F2 führt bei ihr zu einem anderen Farberlebnis, das sie „Orangerot“ nennt. Für Bärbel sind also ihre Erlebnisse „Lindgrün“ und „Orangerot“ voneinander verschieden, denn sonst könnte sie ja die zugehörigen Farbreize F1 und F2 nicht voneinander unterscheiden. Bei Axel führt aber sowohl F1 also auch F2 zu ein und demselben Farberlebnis, das er für sich selbst „Lindorange“ nennt, weil es ihn verwirrt, dass andere Leute mal so und mal so zu dieser Farbe sagen.

Natürlich ist es für das Farberlebnis egal, wie es genannt wird. Axels Lindorange-Erlebnis könnte sich also für ihn genauso anfühlen wie Bärbels Lindgrün-Erlebnis oder ihr Orangerot-Erlebnis für sie. Ich behaupte aber, dass sich mindestens eines der beiden Erlebnisse Bärbels von Axels Erlebnis unterscheidet:

   (B) Axels Lindorange-Erlebnis unterscheidet sich von Bärbels
         Lindgrün-Erlebnis oder von ihrem Orangerot-Erlebnis (oder von
         beiden).

Zum Beweis von B nehmen wir an, B sei falsch, Axels Lindorange sei also sowohl gleich Bärbels Lindgrün als auch gleich ihrem Orangerot. Dann wäre aber auch Bärbels Lindgrün gleich ihrem Orangerot: da sie beide gleich Axels Lindorange wären, wären sie auch untereinander gleich. Das steht aber im Widerspruch zur Annahme, dass Bärbel ihr Lindgrün von ihrem Orangerot unterscheiden könne! Also ist die Annahme, B sei falsch, widerlegt. Also ist B richtig.

Damit ist das Gegenteil von A2 - und auch von A1 - bewiesen, denn wir haben zwei Menschen gefunden, die denselben Farbreiz (F1 oder F2) unterschiedlich erleben, also dieselbe Farbe eben nicht „gleich wahrnehmen“.

[Fortsetzung siehe Teil 3 im nächsten Kommentar]

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ReimundAcker  31.08.2015, 19:03
@ReimundAcker

Teil 3  [Teil 2 siehe meinen vorhergehenden Kommentar]

Was bedeutet es nun, wenn zwei Menschen dieselbe Farbe mit zwei verschiedene Wörtern benennen? Zunächst kann das daran liegen, dass sie verschiedene Sprachen sprechen. Dann brauchen wir nur zu übersetzen. Wenn sie aber verschiedene deutsche Farbwörter für dieselbe Farbe verwenden, so wie im obigen Beispiel Axel und Bärbel? Die beiden wissen vielleicht nicht, dass sie mit „Lindorange“ oder „Lindgrün“ eigentlich ihr jeweiliges Farberlebnis bezeichnen. Sie meinen, diese Namen stünden für Farben von Dingen da draußen in der Welt. Sie zeigen, während sie die Namen sagen, auf diese Dinge, nicht auf ihre Köpfe. Aber da draußen sind ihre Erlebnisse nicht. Da draußen sind Dinge, die zu Farbreizen auf Netzhäuten führen, die wiederum zu Farberlebnissen führen. Was erstaunlich genug ist, denn die Farbreize werden in elektrochemische Signale übersetzt, die keine Information mehr über Farbe enthält, sondern nur noch über die Intensität und den Ort des Reizes (siehe unter „unspezifischer neuronaler Code“). Und dieses Signal, das durch Bärbels Gehirn wandert und offenbar ihrem Lindgrün-Erlebnis veranlasst, ist noch nicht einmal von anderen Signalen unterscheidbar, die zu einem Seh-, Hör-, Tast-, Schmerz-, Geschmacks- oder Geruchserlebnis Bärbels führen! Wenn Bärbel also auf eine Orange zeigt und dazu „Orangerot“ sagt, so bedeutet das eigentlich, dass die Orange zu einer Reizung von Bärbels Netzhäuten führt, die Bärbels Gehirn dazu veranlasst, ihr Erlebnis „Orangerot“ zu konstruieren. Das gleiche passiert in Axel beim Anblick der Orange, nur mit dem Unterschied, dass Axel das in ihm erzeugte Erlebnis „Lindorange“ nennt. Das könnte Axel und Bärbel dazu verleiten zu glauben, dass sie unterschiedliche Farben „sehen“. Weil sie ja unterschiedliche Wörter verwenden. In Wirklichkeit könnten aber ihre Farberlebnisse trotzdem gleich sein. Was aber, wenn sie unterschiedlich wären, Axel aber gelernt hätte, sein Farberlebnis der Orange ebenfalls „Orangerot“ zu nennen? Dann würden die beiden vielleicht glauben, die gleiche Farbe zu „sehen“, weil sie ja das gleiche Wort für sie verwenden.

Wir lernen in der deutschen Sprachgemeinschaft das Wort „Orangerot“ als Kinder dadurch, das unsere Eltern, Lehrer oder andere Personen z. B. auf Orangen oder unsere Turnschuhe zeigen und das Wort „Orangerot“ dazu sagen. Wir lernen also, „Orangerot“ zu Dingen in der Welt zu sagen, die in uns Anlass für ein bestimmtes Farberlebnis geben, wie auch immer sich dieses Erlebnis für den Einzelnen anfühlen mag. Für Axel mag sich dieses Erlebnis anfühlen, wie für Bärbel ihr Erlebnis, wenn sie etwas sieht, zu dem sie gelernt hat, „Lindgrün“ zu sagen. Wenn er aber gelernt hat, sein Erlebnis „Orangerot“ zu nennen, wird Bärbel glauben, dass er beim Anblick der Orange das gleiche erlebe wie sie.

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Nein, das kann man nicht beweisen, jedenfalls nicht nach heutigem Stand der Wissenschaft. (Möglicherweise kann man irgendwann die Gehirnaktivität so genau untersuchen und interpretieren, dass man exakt die Farbwahrnehmung vergleichen kann).

So krass wie du es darstellst, wird es wohl nicht sein, aber da der Farbeindruck zu einem nicht unerheblichen Teil im Hirn stattfindet und Menschen unterschiedlich gut in der Abstufung von Farben sind, kann es gut sein, dass viele Farben etwas unterschiedlich wahrnehmen. Die Wahrnehmung von Farbabstufungen ist ein Maß dafür, ob man etwas definitiv anders sieht, genau wie z.B. Rot-Grün-Tests. Aber ob du was anderes siehst, wenn du die gleiche Farbe anguckst wie ich, da wüsste ich nicht, wie man das testen sollte. Noch kann man ja nicht so genau in den Kopf gucken ;)

Rot-Grün-Blinde sehen ja Farben anders als "normalsichtige". Und feinere Unterschiede gibt es vermutlich auch bei "normalsichtigen".

P.S.: Hier findest du so einen Farbabstufungstest: http://www.onlinesehtests.de/farbsehtest-farben-sortieren-online.php

Leichte Unterschiede beim Farbsehen bestehen durchaus - dazu gibt es auch den Test mit (ich glaube) 47 kontrastarmen Farbstreifen. Jedoch die von Grund auf unterschiedliche Farbwahrnehmung wird man mit aktuellem Wissensstand nachweisen können - es wird erst möglich sein wenn die Forschung irgendwann soweit ist, dass man die einzelnen Ströme im Gehirn messen und eindeutig zuordnen kann.

Das kannst du rein logisch nicht beweisen. Wie willst du einen objektiven Betrachter finden, der sowohl deine Farben, als auch die des anderen sehen kann. Es kann rein hypothetisch nämlich auch sein, dass die Farben, die ein anderer wahrnimmt, gar nichts mit deinen Farben zu tun haben.

Von der Art her ist es wie die Redewendungen "wenn ich du wäre, dann...". Wenn man es philosophisch nimmt, würde ich, wenn ich du wäre, das Gleiche machen und wahrnehmen wie du. Ich könnte gar nicht anders, als du zu sein.

Wissenschaftlich kann man in diesem Fall nur NAHELEGEN, was das richtige sein könnte.