Ist Jagd moralisch verwerflich?

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Es kommt darauf an, wie viel man über die Jagd weiß. Wenn man nur das nachplappert was die Jäger darüber erzählen, dann ist die Jagd natürlich notwendig.

Wenn man jedoch weiß, dass Wildtierbestände nicht unendlich wachsen sieht die Sache schon ganz anders aus. Zum Bespiel Füchse haben ein sehr kompliziertes Sozialleben. Sie regulieren ihren Bestand von ganz allein, wenn zu viele Füchse in einem Revier leben. Die Fähen bekommen dann deutlich weniger Nachwuchs. 

Umgekehrt bekommen sie bei starker Bejagung sehr viel mehr Nachwuchs. So hat man in solchen Gebieten schon Fähen mit 10 Welpen beobachtet. Die Tiere gleichen die Verluste dann einfach wieder aus. Deshalb macht die Jagd auf Füchse nur wenig Sinn. 

Ebenso ist es bei den Wildschweinen. Sie haben sogar noch ein viel komplizierteres soziales Leben als die Füchse. Bei den Wildschweinen koordiniert die Leitbache mit ihren Hormonen die Rausche aller anderen Bachen in ihrer Rotte. So werden die jüngeren Bachen in einer solchen Gruppe nicht trächtig. 

Jäger wissen das natürlich und weil es schwarze Schafe unter den Jägern gibt, schießen diese schwarzen Schafe ganz gezielt auf die Leitbache. Ohne ihre Hormone geraten alle Sauen in den Paarungsrausch und pflanzen sich fort. Der Jäger hat also deutlich mehr Schweine in seinem Revier und kann deutlich mehr schießen. Angschmiert ist natürlich der Landwirt, dessen Felder die Schweine umgraben. 

Der Waldbesitzer ist ebenfalls angeschmiert, wenn die Hirsche seine Bäume verbeißen. Doch was sollen die Hirsche machen? Sie werden durch die Jagd regelrecht in den Wald gedrückt. Dort finden sie Deckung. Eigentlich halten sich die Hirsche viel lieber auf offener Landschaft auf. Doch dort werden sie erschossen. Zudem werden die Tiere im Wald gefüttert, so bald der erste Schnee fällt. Sie werden also hinein gelockt und durch die Jagd hinein gedrückt. Im Wald stehen sie oft den ganzen Tag zwischen den Bäumen, verbeißen sie und langweilen sich bis die Sonne unter geht. Erst in der Dunkelheit wagen sie sich hinaus. Dabei sind sie eigentlich tagaktiv.

In vielen Gebieten Deutschlands ist der Bestand der Hasen seit 2006 um 80% zurück gegangen. Die Tiere stehen auf der roten Liste. Trotzdem werden sie gejagt, obwohl sie so gut wie keine Schäden in der Landwirtschaft verursachen. Sie können sich nicht von Getreide ernähren, weil sie zum Leben viele verschiedene Kräuter benötigen. Diese Kräuter gibt es aber gar nicht auf einem Acker, weil sie alle mit Glyphosat tot gespritzt wurden. Deshalb sind die Hasen auf den kleinen Randstreifen neben den Feldern angewiesen. Es gibt also keine Überpopulation, sie verursachen keine Schäden und doch werden sie gejagt. Soll sich jeder selbst ein Bild machen, ob die Jagd notwendig ist oder nicht.

Ich habe selbst lange über das Thema Jagd nachgedacht und stehe der Sache etwas gespalten gegenüber. Auf der einen Seite gebe ich einem anderen User hier recht, hätte der Mensch nicht sämtliche größeren Raubtiere aus der Umgebung vertrieben, würde die Natur das selbst regeln. Tut sie wahrscheinlich heute auch noch in großem Maße, in Form von Krankheiten usw., doch gleichzeitig finde ich es moralisch fast vertretbarer, das Fleisch von Wild zu essen, anstatt das von Schweinen, Rindern und Hühnern, die ihr ganzes Leben lang in grausamer Massentierhaltung verbringen müssen. Bei Wild weiß man wenigstens, dass die Tiere bis zu ihrem Tod ein gutes Leben in freier Natur hatten.

Ob die Jagd wirklich notwendig ist, da werden sich wohl noch für lange Zeit die Geister scheiden und ich möchte da hier auch mit meiner genauen eigenen Meinung keine Diskussion lostreten, weswegen ich dazu an sich nicht viel sagen werde. Aber wie gesagt, ich denke die Jagd ist allein soweit vertretbar, da das Fleisch, das wir dann essen, wenigstens nicht von misshandelten Tieren stammt. Also immerhin moralisch vertretbarer als Massentierhaltung.

Grüße, Eljeen

Da die bisher "hilfsreichste Antwort" nicht die gestellte Frage nach der Moral beantwortet sondern auf "Notwändigkeit" eingeht...

Ob Jagd moralisch verwerflich ist, hängt von verschiedenen Faktoren, Standpunkten und auch der Situation ab.

Nehmen wir mal ein paar Situationen, in der vermutlich die meisten die Frage der moralischen Verwerflichkeit anfangs bejahren, später verneinen würden:

  • Jagd auf aussterbende Tiere
  • Parforcejagd (Hetzjagd auf Füchse)
  • Jagd zur "Regulation" von Wildschäden
  • Jagd zur Ernährung (u.a. z.B. Eingeborene)
  • Jagd auf Raubtier, welches bereits Menschen angegriffen/getötet hat (in Deutschland glücklicherweise noch eher hypothetisch)

Vermutlich würden die meisten Menschen die Jagd auf z.B. einen Bär oder einen Wolf, der bereits Menschen getötet hätte moralisch befürworten. Die Jagd auf eine aussterbende Spezies andererseits wird wohl von der überwältigenden Mehrheit verurteilt.

Irgendwo zwischen diesen beiden Extremen wird jeder Mensch seine Grenze ziehen. Das ist allerdings sehr subjektiv. Leute die das eine oder das Extrem anders beurteilen würde ich persönlich eher in die Kategorie "Fundamentalist" stecken.

Im Prinzip sind wir Lebewesen, wie alle anderen auch. Wir können nicht (über)leben ohne anderen Lebewesen das Leben zu nehmen oder einzuschränken. Welchen Lebewesen wir das Leben nehmen oder einschränken und welchen nicht ist im Grunde willkürlich und dennoch die Trennlinie die wir ziehen, zwischen z.B. Fleischesser, Vegetarier, Veganer und allen Schattierungen. Oder auch bzgl. der "genutzten" Tierarten, Kühe in Deutschland gegenüber Indien, Hunde in Deutschland gegenüber evtl. Ländern in Asien.

Die moralische Trennlinie ist nicht ganz einfach zu ziehen. Zudem kommt es darauf an ob man sich eher als "Naturschützer" oder als "Tierschützer" sieht, was man verdammt und was man bevorzugt.

Ein Tierschützer würde möglicherweise sagen, das Tier darf nicht leiden.

Ein Naturschützer würde sagen, die Natur muss so ablaufen wie sie halt ist.

Das führt im Extremfall zu Situationen wie in Oostvaardersplassen in den Niederlanden. Dort gibt es ein Naturentwicklungsgebiet von 56km², in dem die Natur und die Tiere sich selbst überlassen wurden. Den größten Teil des Jahres über scheint das auch zu funktionieren, allerdings entwickelt sich über das Jahr ein Tierbestand der nicht über den Winter kommen kann, was teilweise zu massivem Verhungern führt. Hunderte Tiere verenden, und das nicht auf die "humanste" Art. Üblicherweise wohl 30%-60% (Zahlen von Wikipedia).

Tierschützer sagen, das geht nicht und muss gestoppt werden. Dabei gibt es dann mehrere Varianten: Zufüttern, was das Problem aber nur verschiebt und unnatürlich ist, Gebiet ausweiten und vergrößern, was aber das Problem evtl. auch nur aufschiebt, oder "erlösen" statt verhungern lassen. Wenn man die Tiere schon "erlöst", ist man von der Jagd nicht mehr weit entfernt. Der Unterschied ist dann, man "jagt" die Tiere bevor sie leiden, man "erlöst" die Tiere nachdem sie schon gelitten haben und nachdem klar wird, das Tier überlebt es sowieso wahrscheinlich nicht. Jeder wähle sein subjektiv kleineres Übel.

Naturschützer sagen, das verhungern und krepieren ist natürlich. Und im Prinzip haben sie auch recht. Die Natur schert sich nicht um Moral, das ist eine menschliche Entwicklung. Raubtiere fressen Beutetiere auch mal bei lebendigem Leib, oder zerreissen/verletzen sie. Leid zu minimieren ist nicht das Ziel von Raubtieren, fressen und überleben ist es. Das einzige Problem ist, normalerweise passiert sowas (Verhungern und auch gefressen werden) weit weg, und keiner sieht es. Deswegen sind wir davon mental so weit entfernt.

Wir kaufen unser Fleisch im Supermarkt. Anonym. Viele denken nicht mehr darüber nach was es eigendlich bedeutet, "Fleisch". Wir füttern unseren Hunden und Katzen Dosenfleisch und können verdrängen dass sie Raubtiere sind. Wir haben all unsere Verantwortung outgesourced. Wir stellen die Jagd in Frage, gehen nach Hause, essen unser Schnitzel aus dem Supermarkt und lassen die Katze raus damit sie sich ein wenig in der Natur "austoben" kann. Und wir alle wissen was das heißt. Aber wir haben ja nichts "selber" gemacht. Es sind ja nur die anderen. Wir haben nur die "Früchte".

Ob Jagd moralisch verwerflich ist? Manchmal ja. Manchmal vielleicht nein. Es gibt keine Allgemeingültigkeit.

Meine Meinung?

Vermutlich ist ein Jäger der ab und zu ein Tier jagt und dann isst, nicht mehr moralisch verwerflich als ein Mensch der sein Fleisch im Discounter holt und auf den Grill wirft. Eher weniger, denn der Unterschied ist, er weiß auch noch was das bedeutet. Er durchläuft den ganzen Prozess von vorne bis hinten, und hat die Schritte die die Moral direkt betreffen nicht jemand anderem "abgegeben". Knallköpfe die "ballergeil" sind nehme ich jetzt mal aus.

Vor jedem Vegetarier und Veganer der das ernsthaft und konsistent durchzieht habe ich einen großen Respekt, und von unserem moralischen Standpunkt aus sind das vielleicht die Gewinner. Aber auch in einer Welt von Vegetariern und Veganern mag es Situationen geben in denen Jagd mal notwändig werden könnte. Siehe Raubtiere in Zukunft, oder Schäden in der Landwirtschaft, die auch die nicht-tierischen Erzeugnisse dezimieren. Wir können uns nicht aus der Natur herausdefinieren. Wir sind Teil davon. Und nicht immer werden wir die "Verteidigung" an Tiere (z.b. Raubinsekten, Wolf, Fuchs, Luchs, Hund etc.pp.) outsourcen können. Und wir werden auch nicht alles was wir brauchen im Treibhaus wachsen lassen können damit es sicher ist vor Tieren.

Zum Thema "Alternative", es gibt immer eine Alternative. Die Frage ist, wie teuer und aufwändig wird es, und wie groß sind die Seiteneffekte. Wie kastriere ich genügend Tiere, die man ja schon nur mit Aufwand jagen kann, und dafür müsste man sie noch fangen und behandeln? Wie natürlich ist das? Wenn ich einfach "Pillen" auslege die sie fressen, wer frisst die noch? Wen sterilisiere ich damit unbeabsichtigt noch? Rotte ich damit eine andere Art aus Versehen aus? Wenn ich Zäune baue, können die Tiere nicht mehr wandern. Bei manchen Tieren ist das egal, aber andere brauchen das. Baue ich nicht dann lauter kleine Oostvaardersplassens? Was ist mit den Menschen, bekommen die dann extra Brücken oder Schleusen? Was kostet das für große Flächen? Welche anderen Tiere treffe ich damit?

Viele Punkte zu denen jeder wohl seine eigene Meinung hat.

Jagd ist in unseren Kulturlandschaften notwendig. Da die tiere kaum feinde haben müssen wir das übernehmen.

Kastration ist nicht durchführbar und würde stress und leid für viele tiere bedeuten. Weil nur ein paar wenige zu kastrieren bringt nichts. Und zuviele kann der population auch sehr schaden. Wirklich kontrolle bringt das nicht.

Was einzäunen bringt verstehe ich nicht. Die Populationen im wald wachsen auch weiter und weiter bis sie in einem winter verhungern werden. Zufüttern kann man nicht wirklich weil es das Problem nicht löst. Weil im nächsten jahr dann noch mehr tiere da sein werden.

Daher ist das Gezielte schießen von ausgebildeten jägern eine sinnvolle option.

Warum soll es verwerflich sein?

Jeder Mensch, der Fleisch isst, nimmt ja auch billigend in Kauf, dass für ihn Tiere gemästet und geschlachtet werden.

Die Wildtiere haben bis zu ihrem Tod wenigstens noch ein artgerechtes Leben und von dem Schuss merken sie nichts. Ganz anders als die Tiere, die oft über Hunderte von Kilometern eng aneinandergepfercht im Laster zum Schlachthof gekarrt werden.

Ein ökologisch-biologisches Gleichgewicht gibt es in unseren Breiten schon lange nicht mehr - die natürlichen Feinde des Schalenwildes fehlen.

Also muss der Mensch regulierend eingreifen und "richten", was er verbockt hat ....

Wildtiere zu kastrieren wäre ein Ding der Unmöglichkeit ...