Zu Beginn war ich furchtbar stolz auf mein blaues Halstuch. Das war aber nur deshalb so, weil man uns belogen hat. Die Lehrer haben uns erzählt, dass es eine ganz besondere Auszeichnung wäre, wenn wir Pioniere werden. Wir musste sogar die Erlaubnis der Eltern einholen. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Meine Eltern waren davon nämlich überhaupt nicht begeistert. trotzdem haben sie mir keine Steine in den Weg gelegt, weil sie genau wussten wie der Hase läuft. Denn alle Eltern, die ihren Kindern nicht die Erlaubnis gaben, konnten dadurch ins Visier der Stasi geraten. Das war nicht zwingend der Fall, aber die Möglichkeit bestand durchaus.
Beim ersten Pioniernachmittag habe ich dann gemerkt, was es wirklich heißt, ein Pionier zu sein. Da saßen die gleichen Leute, wie in der Schule. Es war also nichts, mit der Auszeichnung. Denn kein einziger fehlte und vorn stand die Lehrerin, genau wie immer. Die hat uns erzählt, wie toll der Sozialismus ist. Dabei musste man nur aus dem Fenster sehen und konnte sich so überzeugen, dass der Sozialismus eine einzige Katastrophe war.
Eigene Ideen waren bei den Pionieren nicht erlaubt. Wir sollten nur das nachbeten, was uns gesagt wurde. Der Sozialismus war toll und der Kapitalismus war abgrundtief schlecht. Alles was von dort kam, wurde verdammt.
Dabei rochen die Pakete, die mein Onkel uns aus dem Westen schickte, immer so herrlich. Da waren Sachen drin, die es in der ach so tollen DDR nicht gab. Für mich war da jedes Jahr eine neue Jeans drin. Damit war ich der König der Klasse und wurde von allen beneidet. Denn die wenigsten hatten Verwandte im Westen und selbst diejenigen, die welche hatten, bekamen nicht jedes Jahr eine Jeans, die auch noch perfekt passte.
Kurz, der Anspruch und die Wirklichkeit klafften meilenweit auseinander. Pionier zu sein, hatte nach einem Monat keine Bedeutung mehr für mich und nach einem Jahr habe ich das Halstuch gehasst. Es stand für den gesamten Unsinn, dem ich in der DDR ausgeliefert war. Es stand für all die leeren Phrasen, die dumme Ideologie, die über den gesunden Menschenverstand gestellt wurde. Es stand für die Unfreiheit des Denkens, für den Maulkorb, den wir in der Schule tragen mussten. Nie durften wir uns verplappern und irgend etwas erzählen, was unsere Eltern oder uns selbst in Schwierigkeiten bringen konnte.
Als wir dann von Pionieren zu FDJ-lern werden sollten, konnten wir das verhasste blaue Tuch endlich ablegen. Dafür mussten wir jetzt ein blaues Hemd tragen. Das war noch viel unangenehmer. Ich habe dieses Ding gehasst und bei mir war es angeblich ständig in der Wäsche. So musste ich es nicht tragen. Dafür haben ich mir immer wieder einen Rüffel eingefangen, aber sollte ich etwa in einem dreckigen Blauhemd zu den Veranstaltungen gehen? So ging dieser Kelch immer wieder an mir vorüber, bis wir endlich die Schule verlassen konnten und die FDJ keine Macht mehr über uns hatte.
Diese ganze Ideologisierung hat die jungen Leute nicht in die Arme des Staates getrieben, sondern das genaue Gegenteil bewirkt. Diese Symbole der Partei waren für mich eine schlimme Last, die ich nur sehr widerwillig getragen habe.
Meine Jeans hingegen habe ich mit Stolz getragen und wenn ich doch mal gezwungen war, das Halstuch oder das Blauhemd zu tragen, dann nie ohne meine Jeans. Das war immer mein Kontrapunkt, zur Ideologie der Partei.
Einmal wurde ich nach Hause geschickt, weil diese Hose angeblich nicht zum Blauhemd passte. Ich bin tatsächlich nach Hause gegangen, kam aber mit der gleichen Jeans zurück. Dort habe ich dann erzählt, dass ich keine andere Hose hätte. Das war sogar die Wahrheit. Ich besaß nicht eine einzige Hose aus DDR Produktion und so musste unser Lehrer es wohl oder übel dulden, dass ich in Jeans und Blauhemd da saß und mich langweilte.