Ist Faust eine Tragödie?
Goethe hat Faust bekanntlich die Gattungsbezeichnung Tragödie beigegeben, aber worin liegt das Tragische. Ich zerbreche mir gerade etwas den Kopf, da ja das Tragische in der Gretchen-Tragödie klar zu finden ist, aber wo bei Faust? Ich habe einen Text gefunden, in dem steht, dass Gretchen die Tragik des Fausts als Tragödie bekräftige und ermögliche,. Darüber hinaus sei sie Verweis auf und Opfer für die Tragik Fausts. Ich bin damit nicht ganz zufrieden. Ich suche den entscheidenden Hinweis, warum Faust eine Tragödie sein soll: die katharsis Fausts bleibt aus, er erkennt seine Schuld nicht; gerade darin liegt doch aber das Tragische der Gretchen-Tragödie: Gretchen nimmt sich nicht nur passiv war, als determiniert durch ihre gesellschaftlichen Bedingungen und als Opfer Fausts, sondern spätestens in der Kerker-Szene als aktiv Handelnde, die ihre Schuld anerkennt und gerade deshalb "gerettet" wird.
Könnt ihr mir aus diesem Dilemma helfen?
LG
4 Antworten
Eine Handlung wird dann als tragisch bezeichnet, wenn der Held/Protagonist an den bestehenden Verhältnissen scheitert. Die Vorstellungen einer Beziehung von Faust und Gretchen sind vollkommen verschieden. Wenn Faust ihren Anforderungen gerecht werden will, müsste er sein Streben nach vollkommenem Wissen aufgeben und sich grundlegend verändern. Dazu ist er jedoch nicht in der Lage, sodass die Beziehung der beiden scheitert, also tragisch endet.
Gleichzeitig hat Gott Faust in seiner Wette mit Mephisto als Vertreter der Gattung Mensch ausgewählt. Indem sich Faust am Ende Mephisto zuwendet, begibt er sich auf einen Pfad, mit welchem er die an ihn gesetzten Ansprüche verletzt.
Gut im ersten Abschnitt! - Wo wendet sich Faust am Ende Mephisto zu? Er wird am Ende (von Faust II) gerettet ("Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen!"). Am Ende von Faust I muss er den Weg mit Mephisto weitergehen, weil die Zeit seiner Prüfungen noch nicht vorbei ist. Der Herr selbst hat ja dem Mephisto (im Prolog) den Auftrag gegeben "ihn, kannst du ihn erfassen, auf deinem Wege mit herab" zu führen. Der Herr wusste: "Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange, ist sich des rechten Weges wohl bewusst." So wird denn Faust auch am Ende erlöst.
Hey, schau dir doch mal das Deutschabitur von 2020 in Schleswig Holstein an. Da war es die Aufgabe zu erörtern, ob es sich bei Faust I um eine Tragödie, Komödie oder Tragikomödie handelt. Dort kannst du dir dann auch den Erwartungshorizont anschauen. Das sollte deine Frage, dann glaube ich beantworten. :)
Im Mittelpunkt der Tragödie steht ein unlösbarer Konflikt, der zum unausweichlichen Untergang bzw. zum unausweichlichen Scheitern des tragischen Helden führt. Also nicht unbedingt der Tod des Helden muss am Ende erfolgen. Hauptgesichtspunkt ist die Unausweichlichkeit des Unterganges oder des Scheiterns, wobei der Held noch tapfer gegen diesen Prozess ankämpft.
Bei Gretchen ist die Sache klar. Ihr Untergang ist
beschlossen und besiegelt (deshalb: Gretchentragödie). Auch Faust endet tragisch, nicht durch Untergang, sondern durch Scheitern. Dieses Scheitern (seiner Liebe, seines Glückes) ist unausweichlich. Darauf hat schon sirena15 hingewiesen. Faust hätte Gretchen, um sie zu retten, heiraten müssen; dann hätte er in das kleinformatige (kleinbürgerliche) Leben des Bürgermädchens Gretchen eintauchen müssen. Das war unmöglich, angesichts des hohen Strebens Fausts nach dem, „was die Welt im
Innersten zusammenhält“.
Mephisto hätte das ja eigentlich recht sein müssen, denn das kleinbürgerliche Leben bedeutet geistigen Stillstand. Faust hätte da gewiss einmal gesagt: „Verweile doch, o Augenblick, du bist so schön!“ - schon wäre er Mephisto ausgeliefert gewesen.
Doch Mephisto wusste, Gretchen war schon wahnsinnig geworden; außerdem hatte sie ihr Kind umgebracht; sie schied als kleinbürgerliche Partnerin für Faust aus. Indessen kämpfte Faust weiter um die Rettung Gretchens („Du sollst leben!“), doch das Schicksal Gretchens ist (unausweichlich) besiegelt. Faust, als tragischer Held, kämpft dennoch, aber sein Kampf um sein Glück ist vergeblich, das Scheitern unausweichlich (wegen Gretchens Wahnsinn und Schuld – sie wird hingerichtet; vorher schon, weil sie als Kleinbürgerin unmöglich den nach Höherem strebenden Faust an sich binden kann). Tragischer für Faust geht es nicht; deshalb also mir Recht: "Faust, der Tragödie erster Teil"! - Schwieriger ist die Begründung des Tragischen im zweiten Teil (Scheitern von Fausts Liebe zu Helena; tragische Schuld wegen Philemon und Baucis?).
Erkennt Faust am Schluss nicht, dass sein Wissensdrang, der ihn ja sogar dazu treibt, sich mit dem Teufel einzulassen, die Menschen um ihn herum ins Unglück gestürzt hat, vor allem das Gretchen?
Weiß nicht, den Faust 2 hab ich nicht gelesen. Eine Tragödie ist, glaub ich, durch das Unausweichliche gekennzeichnet, das Determinierte, das heißt die Figuren haben gar keine andere Möglichkeit sich so zu verhalten, wie sie es tun und alles wird in den Abgrund gezogen. Ich würde sagen, der Schwerpunkt liegt hier auf dem Wissensdurst Fausts, der soweit geht, dass er sich sogar mit dem Teufel einlässt und ab diesem Zeitpunkt, kann er dem Ganzen auch nicht mehr entkommen.
Bereits bei Faust I?